Chapter 2 - Harry

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Mit rasendem Herzen steuerte ich das Einkaufszentrum an. Eigentlich war ich hier ungerne, weil es nur so von Menschen wimmelte und ich ständig in irgendjemanden hinein lief. Mit zittrigen Fingern ließ ich meinen Blindenstock über den Boden schweifen, um nicht irgendwo gegen zu laufen.

"Ich dachte schon, du kommst nie."

Mit einem Mal wurde ich an den Schultern gepackt und gegen eine Wand gedrückt. Anscheinend waren wir etwas außerhalb der Menschenmassen, denn das Stimmengewirr schien auf einmal unglaublich weit weg zu sein. Sein rauchiger Geruch stieg mir in die Nase und ich glaubte, sogar seinen warmen Atem auf meinem Gesicht spüren zu können. Er musste mir gerade unglaublich nahe sein.

"Du lässt mich bei dir wohnen und sorgst dafür, dass ich nicht verhungere, klar?"

"A-aber ich wohne noch bei meinen Eltern", stotterte ich unsicher, "Ich bin doch erst siebzehn."

"Habt ihr einen Schuppen, Keller oder irgendetwas anderes, was ein Dach über dem Kopf bietet?", drang seine raue Stimme Angst einflößend in mein Ohr.

Stumm nickte ich.

"Na siehst du, kleiner."

Siehst du. Welch eine Ironie.

"Warte mal", murmelte er plötzlich und ich spürte einen leichten Windzug direkt vor meinem Gesicht. Wedelte er etwa gerade mit seinen Händen vor meinen Augen herum? "Sag mal, bist du blind?"

Eingeschüchtert nickte ich und umklammerte meinen Blindenstock noch ein wenig mehr, um irgendwie Halt daran zu finden.

"Das heißt, du weißt nicht wie ich aussehe? Du würdest mich nicht wiedererkennen?"

Natürlich würde ich das. Die Art, wie er sich bewegte und anschleichen konnte, der intensive Geruch, der wie eine Mischung aus Rauch, Müll und etwas, das ich nicht genau zuordnen konnte, war. Die Stimme, welche irgendwie rauchig und Angst einflößend, aber auch nicht so tief, wie andere Männerstimmen war. Ich würde ihn unter tausenden wieder erkennen. Aber vielleicht sollte ich das für mich behalten, vielleicht hatte ich mehr gegen ihn in der Hand, wenn er mich unterschätzte.

"Natürlich nicht, Sir. Ich bin blind wie ein Maulwurf", erwiderte ich leise.

"Das ist ja perfekt", lachte er triumphierend.

Perfekt. Auch wenn er mir komplett fremd war und ich vermutlich keinen Wert auf sein ödes Gelaber legen sollte, versetzte es mir einen Stich ins Herz. Nein, für mich war es ganz und gar nicht perfekt, blind zu sein. Inzwischen konnte ich einigermaßen damit leben, aber dennoch gab es Tage für mich, an denen ich mir nichts sehnlicher wünschte, als Farben sehen zu können, Formen, Tiere, Pflanzen... und meine Familie, die Menschen, die für mich das Wichtigste auf der Welt waren.

Stumm nickte ich.

"Na dann auf geht's, worauf wartest du noch?", knurrte er mit einem Mal, packte mich an den Schultern und schubste mich unsanft nach vorne.

Himmel, hatte der Stimmungsschwankungen.

"Tschuldigung", nuschelte ich zitternd und bewegte mich mit weichen Knien vorwärts.

Plötzlich legte er eine Hand von hinten in meine Hosentasche und mein Herzschlag verdreifachte sich. Als ich dann auch noch seinen warmen Atem an meinem Ohr spürte, wurde mir ganz flau im Magen.

"In meiner Hand habe ich ein Messer", hauchte er leise, "Und ich würde gerne ohne eine Massenpanik durch dieses Einkaufszentrum kommen. Du sicher auch oder?"

"J-ja, Sir", antwortete ich mit rasendem Puls, ehe ich hastig einen Fuß vor den anderen setzte.

"Nenn mich nicht immer so, Kleiner", lachte er leise, "Dann komme ich mir so alt vor."

Heart Attack - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt