Chapter 36 - Harry

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"Yeah, our paper houses reach the stars 'til we break and scatter worlds apart" Paper Houses - Niall Horan

...

Ich hörte das leise Knistern des Kamins und trotz der vielen Decken, in die ich mich auf dem Sofa eingekuschelt hatte, war mir unglaublich kalt. Es war, als wäre ich von innen ausgekühlt und das lag nicht an dem Unfall von vor einer Woche, sondern vielmehr an meinem Herzen, welches in tausend Scherben zerbrochen schien.

Meine Fingerspitzen wanderten über die kleinen Erhebungen auf den Seiten meines Buches und ich stoppte meinen Lesefluss, als ich etwas nasses spürte. Ich zog die Nase hoch und wischte mir mit dem Ärmel meines Pullovers über meine feuchten Augen. Ich sollte nicht so viel weinen.

"Harry?", hörte ich plötzlich die Stimme meiner Mum. "Ich weiß, du möchtet eigentlich niemanden treffen, aber Niall ist hier." Ihre Schritte entfernten sich wieder und ich spürte, wie sich das Sofa neben mir ein wenig senkte.

"Hey", murmelte Niall leise und fuhr mir durch die Locken. "Ich vermute, das ist eine ganz miese Art des Liebeskummers, hm? Ich hab uns dein Lieblingseis mitgebracht und Schokolade, das soll ein bisschen helfen, hab ich gehört." Er stellte etwas auf dem kleinen Tisch vor uns ab. "Wie geht es dir?"

Statt einer Antwort legte ich mein Buch zur Seite, ehe ich meinem besten Freund in die Arme fiel und begann, zu weinen. "Hazza..." Ich spürte seine Fingerspitzen, die kleine Kreise auf meinen Rücken malten, vielleicht mit der Absicht, mich so irgendwie zu beruhigen.

"Ich will zu Louis", schluchzte ich. Er war das einzige, an das ich im Moment denken konnte. Ich hatte ihn verraten. Wenn ich nicht gewesen wäre, dann wäre er jetzt vielleicht irgendwo ganz weit weg, frei, glücklich. Und nicht hinter Gittern eingesperrt.

"Ich bin mir sicher, es geht ihm gerade genauso, wie dir... Gemma hat mir erzählt, was passiert ist, dass er dir das Leben gerettet hat. Es tut mir leid, dass ich gezweifelt habe, Haz. Ich hätte dir glauben sollen. Ich hätte für dich da sein müssen." Ich schüttelte den Kopf. "Das hätte nichts geändert. Es war klar, dass es so kommen würde. Ich hatte nur gedacht, wir hätten mehr Zeit."

Ich mochte mir überhaupt nicht vorstellen, wie es Louis gerade gehen mussten. Egal, wie er sich fühlte, er würde es verdrängen, es nicht zeigen und es überspielen. Ich kannte ihn gut genug, um mir dabei sicher sein zu können. Und ich hatte so unglaublich viel Angst, was aus ihm werden würde, wenn er das die nächsten Jahre in sich hinein fraß. Er konnte so kalt und distanziert sein, aber ich hatte gelernt, dass wenn man es ihm anbot, er sich ohne Widerstände lieben ließ. Weil er es so viele Jahre lang nicht wurde.

"Niall, ich muss zu ihm."

"Harry..." Niall strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. "Ich weiß, dass es wehtut und es sich wahrscheinlich anfühlt, als würde die Welt untergehen, aber du musst nach vorne sehen. Du kannst für Louis nichts tun und wenn du ihn besuchst, dann wird es für euch beide nur schwerer werden."

"Nein, du verstehst das nicht." Ich wich seiner Berührung aus. "Niall, er braucht mich. Ich kann ihn nicht alleine lassen." Ich stand vom Sofa auf und begann, im Raum auf und ab zu gehen. "Ich muss ihn besuchen." "Denkst du denn, er würde das wollen? Er möchte bestimmt nicht, dass du deine Zukunft wegschmeißt, weil du mit einem Mörder befreundet bist." "Er ist kein Mörder." Ich stoppte. "Außerdem dachte ich, du wärst auf meiner Seite." "Ich bin auf deiner Seite, Harry", verteidigte Niall sich und griff nach meiner Hand, um mich zurück auf das Sofa zu ziehen. "Ich möchte nur, dass du genau nachdenkst, bevor du jetzt handelst. Louis ist schon in Schwierigkeiten, pass auf, dass du nicht mit hineingezogen wirst. Nachher denken die noch, ihr wärt Komplizen und das wäre gar nicht gut."

Ich lachte leise. "Dann wären wir im Gefängnis immerhin zusammen." "Harry." Niall legte einen Arm um meine Schulter. "Wir finden eine Lösung. Wenn er wirklich unschuldig ist, dann ist bei den Ermittlungen damals irgendetwas falsch gelaufen. Die haben bestimmt etwas übersehen, ich weiß nicht... vielleicht... du hast doch gesagt, dass dieser Zayn Sissi vergewaltigt haben soll." Ich zuckte bloß mit den Schultern. "All so etwas wurde vielleicht gar nicht beachtet und würde Louis irgendwie entlasten, wenn es Zeugen gäbe, die das bestätigen." "Aber uns glaubt doch kein Mensch und Louis erst recht nicht", gab ich zu bedenken. "Nein", stimmte Niall mir zu. "Was Louis brauchen würde, wäre ein guter Anwalt aber ich schätze mal, das kann er sich schlecht leisten, oder?"

Ich schüttelte den Kopf und vergrub mein Gesicht in den Händen. Warum war das alles bloß so schrecklich kompliziert?

"Und ein Pflichtverteidiger? Den könnte er anfordern, das würde vielleicht schon eine Menge helfen." "Niall. Louis sitzt nicht nur wegen des Mordes, sondern auch, weil er geflohen oder entkommen oder was weiß ich nicht ist und wegen dem, was er mit mir gemacht hat. Selbst wenn er unschuldig wäre, hat er sich trotzdem genug zu Schulden kommen lassen, um einige Jahre zu sitzen. Ich mein, er ist seinem Haftbefehl ausgewichen... er hat mich gekidnappt..."

"Ich denke, er hat dich nicht gekidnappt?" "Hat er ja auch nicht... aber das wissen die ja nicht." "Wurdest du denn gar nicht von der Polizei befragt?" Ich zuckte mit den Schultern. "Meine Mum hat mich irgendwie davon befreit, wegen traumatischen Erfahrungen oder so, keine Ahnung... Sie war an dem Tag so unglaublich traurig und verzweifelt, da wollte ich sie nicht noch mehr beunruhigen und habe deswegen auch nicht weiter nachgefragt." Ich überlegte einen Moment. "Außerdem wusste ich auch gar nicht, was ich hätte sagen sollen... Dass ich Louis mehrere Wochen lang in meiner Scheune versteckt habe? Einen gesuchten Mörder? Und dann hätten sie Fragen gestellt... ich hab einfach Panik bekommen..."

Ich spürte, wie Niall mir eine Hand auf die Schulter legte. "Das kann ich total verstehen, Harry. Aber wenn wir Louis aus dem Gefängnis bekommen wollen, dann musst du eine Aussage machen, die ihn entlastet. Die wissen doch überhaupt nicht, dass er bei dir gewohnt hat. Du könntest sagen, dass ihr euch in der Stadt kennen gelernt und euch angefreundet habt, weshalb du ihn ab und zu mit zu dir genommen hast."

"Ich soll die Polizei anlügen?"

"Du musst das nicht tun, Harry. Aber du hast schon Recht, Louis sitzt nicht nur allein wegen des Mordes."

Ich nickte langsam.

"Und wegen des Haftbefehls, dem er ausgewichen ist... Hat er das wirklich getan oder meinst du, seine Freunde hatten da ihre Finger im Spiel? Dieser Zayn und dieser Liam? Wie ist er damals eigentlich raus gekommen? Ist den Zeitungsartikeln stand jedenfalls, dass er bereits zwei Jahre saß und dass er dann wieder auf freiem Fuß war."

Ich zuckte ratlos mit den Schultern. Das waren so viele Fragen, so viele Dinge, von denen ich nichts wusste. Louis hatte mir einiges über seine Vergangenheit erzählt, aber gewiss nicht alles. Es fühlte sich an, als hätte ich nur winzige Puzzleteile, die ich in meinem Kopf nun irgendwie zusammensetzten musste. Doch dieses Puzzle schien, egal, wie ich es auch hin und her drehte, so unlösbar zu sein, dass ich davon Kopfschmerzen bekam.

Louis und ich hatten uns weder zum besten Zeitpunkt, noch unter den besten Bedingungen kennengelernt. Ich erinnerte mich noch ganz genau an den Tag, an dem er mir ein Messer an die Kehle gehalten und ich mir auf der Busfahrt danach vor Angst beinahe in die Hose gemacht hatte. Dieser Tag schien so unglaublich weit weg zu sein. Und irgendwie hoffte ich, dass Louis und ich eines Tages darüber lachen konnten. Dass wir zusammen auf einer Bank im Park sitzen und uns über unsere erste Begegnung unterhalten konnten. Ohne Komplikationen, ohne Probleme. Aber diese Vorstellung schien momentan so unmöglich, dass es mir beinahe erneut Tränen in die Augen trieb.

"Ich glaube, du hast doch Recht", riss mich Niall plötzlich aus meinen Gedanken. "Du musst Louis Besuchen. Du musst die ganze Wahrheit von damals wissen, damit wir ihm helfen können und nur so hast du die Möglichkeit, ihn davon zu überzeugen, sich einen Pflichtverteidiger zu beschaffen. Er selbst hat wahrscheinlich schon beschlossen, dass es sowieso keinen Sinn hat. Du könntest seine Meinung ändern."

...

1346 Wörter - Ivy

Heart Attack - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt