Die rote Binde

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Vorab: Dicke Triggerwarnung!! Es sind Kriegsgeschehnisse und sexualisierte Gewalt (auch gegenüber minderjährigen) vorhanden.

Die Geschichte spielt 1945 nach Kriegsende in einem kleinen Örtchen in der Tschechei. Teile der Handlung beruhen auf wahren Begebenheiten. Andere Teile der Handlungen wurden aus Zeitzeugenerzählungen anderer Familien genommen und vermischt. Eine Prise Fiktion ist ebenfalls vorhanden.

Also, lasset die Geschichte beginnen:

Schnell lief sie die Straße hinunter. In ihrem Rücken zwei tschechische Soldaten. Was sie von der gerade 7 Jahre alt gewordenen Sudetendeutschen wollten? Sie wusste es nicht. Alles was sie wusste war, dass sie rennen musste. Sie kannte die Männer nämlich. Zwei Wochen zuvor waren sie bei ihrem Haus gewesen und hatten ihren Vater mitgenommen. Seitdem fehlte von diesem jede Spur. Sie konnte lediglich vermuten, dass das Verschwinden mit den 12 neuen Erdhügeln am Ortsrand zu tun hatte. Doch das war nicht der letzte Besuch. In der vorherigen Woche waren sie wieder gekommen. Dabei hatte einer von ihnen ihre älteste Schwester gepackt und in ein Zimmer gezerrt, während der andere das gleiche mit ihrer Mutter tat. Als die Soldaten gegangen waren, fand sie Schwester und Mutter weinend im Esszimmer vor. Beide hatten an Armen und Beinen blaue Flecken. An diesem Tag hatte sie die Soldaten zuletzt gesehen. Und nun war sie hier und rannte um ihr Leben. Zuvor hatte einer der Soldaten sie auf dem Weg zum Markt erkannt und war ihr gefolgt. Und nun hieß es für sie rennen. Als sie um eine Ecke bog, legte sich plötzlich ein Arm um sie. Sie wurde in eine Kiste geworfen und ein Tuch fiel über ihren Kopf. Sie wollte schnell herauskrabbeln, doch über ihr war ein Deckel verschlossen worden. Sie hämmerte dagegen, doch das Holz zeigte sich erbarmungslos und hielt stand. Ängstlich blieb sie schließlich still und wartete.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde der Deckel über ihr wieder geöffnet. Verängstigt blickte sie auf und sah in die Augen einer Frau. An der roten Binde an ihrem Arm konnte sie erkennen, dass es sich ebenfalls um eine deutsche handelte, wenn auch um eine reiche, im Gegensatz zu dem Mädchen selbst, welches eine weiße Binde tragen musste. Trotzdem blieb sie ängstlich sitzen. Sie wusste, dass sie niemandem trauen durfte, das hatte ihre Mutter ihr oft genug eingebläut. Doch die Frau sah sie freundlich an und fragte sie: Wie heißt du? A An.. Anni Anni? Das ist ein schöner Name. Keine Angst, ich habe die Männer fortgeschickt, in Ordnung? Sie werden dir nichts tun. Anni sah sie mit großen Augen an und nahm langsam die Hand, die die Frau ihr entgegenstreckte. Als sie aus der Kiste heraus war, sprang sie schnell auf die Beine, doch die Frau hielt sie zurück. Was tust du, wenn die Soldaten zurückkommen? Bleib doch hier bei mir, bis die Soldaten sich beruhigt haben. Widerstrebend blieb Anni also bei der unbekannten.

Zwei Wochen später war Anni immer noch bei der Frau, die, wie sie jetzt wusste, Theresa hieß. Sie hatte mehrmals versucht zu ihrem Elternhaus zurückzukehren, doch Therese hatte es ihr verboten und ihr stattdessen aufgetragen das gesamte Haus auszuräumen und auf einen großen Anhänger zu verladen. Nun, zwei Wochen später war es so weit, dass die aufbrachen. Anni wollte nicht, sie wollte zu ihrer Familie, doch Theresa zwang sie mitzukommen. Und das war auch gut so, denn, wie Anni ein Jahr später erfahren sollte, hatte man ihre Familie noch am gleichen Tag, an dem sie bei Theresa unterkam, aus dem Ort vertrieben.

Anni stieg also mit ihrer nun rot eingefärbten Binde auf den Anhänger, Theresa setzte sich auf den Kutschbock und sie fuhren los. Los in die ungewisse, in Richtung Deutschland. In der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Geschichtlicher Kontext: Sudetendeutsche sind Deutsche aus der Tschechoslowakei und Polen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden sie durch die Tschechoslowaken aus ihren eigenen Häusern und Wohnungen vertrieben, verfolgt und ermordet, begründet durch die Beneš-Dekrete. Außerdem mussten deutsche Binden um den Arm tragen und ein N, um als Deutsche gekennzeichnet zu sein. Rote Binden standen für Reichtum und dafür, dass sie nicht angegriffen werden durften. Weiße Binden waren arm und sozusagen Freiwild, denn mit ihnen durfte nach Belieben verfahren werden.

Nur in meinem KopfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt