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"Warum redest du eigentlich so viel?" Noah hasste diesen Satz. Zu oft hatte er ihn als Kind gehört. "Du bist doch kein Mädchen", hatte sein Vater stets zu sagen gepflegt. So war es kaum verwunderlich, dass er mit der Zeit immer ruhiger geworden war. Nun sprach er kaum noch, war die meiste Zeit in sich gekehrt und suchte händeringend nach Worten, musste er sich dann doch einmal mit jemandem unterhalten. Immer weiter wurde Noah in seine eigene Welt gezogen. Bald schon war er lieber mit sich alleine, hörte Musik und träumte in den Tag hinein.

Diese Welt gefiel Noah so gut, weil er dort alles hatte. Dort konnte er mit Menschen reden. Dort hatte er Freunde. Kurzum: Dort hatte er ein Leben. Dabei kam er sich oft selbst verrückt vor, doch er beruhigte sich dann stets mit Dumbledores Worten: "Natürlich passiert es in deinem Kopf [...], aber warum um alles in der Welt sollte das bedeuten, dass es nicht wirklich ist?"

In der Schule war er der Verrückte. Niemand konnte sich mit ihm unterhalten. Niemand wollte sich mit ihm unterhalten. Zu sehr war er ein Außenseiter - selbst für die. Zu präsent war es geblieben, dass Noah im Kunstunterricht eingeschlafen war und im Schlaf "I'm a Barbie Girl" gesungen hatte. Hätte er sich getraut mit seinen Eltern zu reden, hätte er vermutlich einen Schulwechsel angestrebt. So war er hilflos den Blicken ausgesetzt, die ihm viele zu warfen. Doch Noah traute sich nicht.

Eines Tages, als Noah wieder alleine den Klassenraum verließ, um sich alleine an den hintersten Tisch der Mensa, Tisch 25, zu setzen und alleine sein Pausenbrot zu essen, sprach ihn ein Mädchen an. Kalea, die braun gebrannte hawaiianische Austauschschülerin mit den haselnussbraunen Augen und Haaren so schwarz wie die Nacht, redete tatsächlich mit ihm. "Ist an deinem Tisch noch ein Platz frei?", fragte sie in gebrochenem Deutsch. " Ähm, also ich, ähm, denke schon? Aber, ähh, ich rate dir, ähm, setz dich nicht zu mir. Du unterschreibst, ähm, dein Todesurteil." "Todesurteil? Was ist das?" "Ähm, sagen wir einfach,ähm, die coolen Kids werden es dir schwer machen. Ich bin nicht gerade beliebt. Und, ähm, wenn man uns zusammen sieht, äh, dann wird niemand mit dir reden wollen. Du wirst keine Freunde finden." Noah war nicht nur der festen Überzeugung, dass er das tun musste, sondern wollte auch auf keinen Fall in seiner Traumwelt gestört werden. Kalea aber blieb standhaft: "Ist das ein Problem? Wir können doch Freunde sein. Und zu den, wie sagat du? Coolen Kids? Gehöre ich schon zuhause. Wird vielleicht Zeit für etwas neues?"

Auf dem gesamten Weg zur Mensa diskutierten die Beiden. Während Noah sich anfangs zurück hielt und stotterte, gewann er im Laufe der Unterhaltung immer mehr an Sicherheit. Bald schon war es wieder, als wäre er der alte Noah. Der Noah, der mit allen befreundet war, der Noah, der mit allen gut war, der fröhliche Noah. Immer mehr schlich sich bei Noah der Gedanke ein, dass er die Diskussion nicht gewinnen wollte. Er wollte Kalea an seinem Tisch sitzen haben. Er wollte, dass sie mit ihm weiter redete.

Tatsächlich endeten die beiden genau an Tisch 25. Sie packten ihr Essen aus, während Kalea ein Gespräch über Top Secret anstieß. Sofort war Noah Feuer&Flamme, denn die Romanreihe war seine liebste Buchreihe. Oft hatte er soch vorgestellt, wie es wäre ein Agent bei Cherub zu sein. Oder zumindest wie es wäre, so gut mit Menschen zurecht zu kommen, wie James.

Nach dem Essen tauschten die Beiden Handynummern aus, um im Kontakt zu bleiben. Dann gingen sie wieder in den Unterricht, wo Kalea sofort komische Seitenblicke trafen.

Zuhause warf sich Noah sofort aufs Bett. Auf Hausaufgaben hatte er keine Lust. Stattdessen schaltete er seine Musik ein und begann auf seinem Handy zu tippen. Dabei wechselte er immer wieder auf WhatsApp, nur um sicherzustellen, dass Kalea auch wirklich nicht geschrieben hatte. Denn er wolle unbedingt mit ihr schreiben, doch wusste nicht, wie er das Gespräch beginnen sollte.

Am nächsten Tag in der Schule war es das Gleiche. Noah sah Kalea, wollte sie ansprechen, doch hielt lieber Abstand. Zu groß fand er die Gefahr, dass sie nicht mit ihm reden wollte. Kalea störte das jedoch nicht. Munter kam sie zu ihm und begrüßte ihn. Sofort fingen sie ein Gespräch an und erneut war Noah ganz der alte.

Mittags setzten die beiden sich wieder zusammen an Tisch 25. Diesmal war es jedoch Noah, der, während Kalea genüsslich in ihr Thunfischsandwich biss, zu reden begann: „Was denkst du? Wer ist 25?" Am Vormittag waren überall in der Schule Zettel aufgetaucht. Jeder beinhaltete ein Gedicht oder eine Kurzgeschichte und alle waren unterschrieben mit einer Zahl. 25. "Puhh, gute Frage. Die Person hat auf jeden Fall Talent. Aber wer es ist? Keine Ahnung. Was glaubst du denn?" "Keine Ahnung.", antwortete er.

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Wochen vergingen und immer wieder tauchten neue Werke auf. Im Vergleich zu den ersten wirbelten sie jedoch viel weniger Staub auf. Bald hatten dich immer mehr gemeldet, die vorgaben 25 zu sein, sodass die Suche nach dem Echten unattraktiv geworden war. Trotzdem war unter den Nerds der Schule die Suche noch nicht vorbei. Auch Noah und Kalea diskutierten immernoch.

Eines Tages äußerte Kalea einen konkreten Verdacht: "Noah, jetzt sei bitte ehrlich. Du bist 25, oder?" Noah war perplex. Auf dem falschen Fuß erwischt. "Ähm, nein, bin ich nicht?", stammelte er. " Wer sagt denn, dass du es nicht bist? Immerhin schreibt 25 von Orientierungslosigkeit, von Einsamkeit, davon sich fremd zu fühlen. Wer kann das besser nachfühlen, als eine Austauschschülerin?" "Ganz einfach. Ein Außenseiter kann das. Jemand, der sich überall, wo er hinkommt, fremd fühlt." Damit traf sie Noah genau ins Herz. Eine einzige winzige Träne versuchte sich einen Weg in Richtung Boden zu bahnen. Doch Noah wischte sie hastig weg, vorgebend, er hätte etwas im Auge.

Es war nur ein kurzer Moment, doch genau in diesem verschwand Kalea. Und nicht nur sie. Ihr Essen, ihre Sachen, alles war weg. Noah hielt Ausschau nach ihr, doch es schien, als wäre sie vom Erdboden verschluckt worden.

Als einer seiner ehemaligen Freunde vorbei lief, von dem Noah sich nicht sicher war, ob er noch über die gemeinsame Freundschaft wusste, sprach er ihn deswegen an: "Hey, hast du Kalea gesehen?" "Kalea?" fragte der einstige Vertraute perplex, "Die ist doch schon vor nem Jahr zurück nach Hawaii?" Mit diesen Worten ging er.
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Unzufrieden mit dem Ende? Hier biete ich Ihnen eine Alternative ab den ******:
Für ein wenig Love in the air, drücken sie die  B

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