Der Spiegel

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Trigger Warnung: Mobbing, Selbstverletzung, toxische Beziehungen und Narben

Allein saß er in seinem Zimmer. Langsam rollte er den linken Ärmel seines Bugattihemdes nach oben. Wieder sah er auf die Narben hinab, die erst vor wenigen Wochen komplett verheilt waren. Behutsam strich er über die erste und wurde hin fortgerissen.

Er ist wieder zwölf. In der Turnhalle gebn alle mit ihren Muskeln an und er fühlt sich klein und schmächtig. Und als alle ihn vorwurfsvoll ansehen, schießen ihm Tränen in die Augen. Seine viel zu dürren Arme kommen ihm lächerlich vor. Und nicht nur ihm. Allee lachen. Alle. Auch Jonathan, sein einziger Freund.

Erschrocken nahm er den Finger weg, doch begann gleich die nächste Narbe zu streicheln.

Er ist jetzt sechzehn. Zum ersten mal hat er sich getraut, ein Mädchen anzusprechen. Sie zu fragen, ob sie etwas mit ihm machen will. Sie ist einverstanden und schlägt vor, ins Schwimmbad zu gehen. Noch Wochen später zieht Jonathan ihn auf und lacht darüber, wie er eine solche Chance hergeben konnte. Doch er war einfach zu unsicher gewesen.

Wie von selbst flogen nun seine Finger von Narbe zu Narbe.

Dort, er ist siebzehn. Er ist zum ersten Mal betrunken. Zwei Typen kommen auf ihn zu und wollen ihm sein Geld abnehmen. Jonathan steht teilnahmslos daneben, doch Wochen später lacht Jonathan, dass er mehr Muskeln brauche, dass er sich hätte verteidigen müssen.

Dann, er ist achtzehn. Er hat zum ersten Mal ein Mädchen gefunden. Er hat endlich eine Freundin, die ihm gut tut und bei der er sich nicht unsicher fühlt. Doch Jonathan beschwert sich über sie. Er verlässt sie und nicht einmal zwei Wochen später ist sie mit Jonathan zusammen.

Es ist sein neunzehnter Geburtstag. Jonathan macht ihn einmal mehr fertig. Jonathan lacht über seine Haare, zieht ihn wegen seiner Statur auf und der Tatsache, dass er am linken Arm immer langärmlig trägt. An diesem Tag schmeißt er Jonathan aus seiner Wohnung und seinem Leben.

Ein halbes Jahr später saß er nun hier. Ein letztes Mal blickte er auf diese Male, die sein Leben zeigten. Dann stand er auf, verließ seine Wohnung und joggte die fünfhundert Meter zum nächsten Tatoo Studio. Er öffnete die Tür und ließ eine Frau ein, bevor er es selbst betrat. Sie hatte ihren rechten Arm komplett verdeckt. Ihm kamen ihre roten Haare sofort vertraut vor, doch erst als sie sprach, fiel der Groschen. „Jana, bist du es?", fragte er die junge Frau, um sich zu vergewissern, dass das Mädchen vor ihm stand, das er damals verschmäht hatte. „T- Tyler?", erwiderte sie zaghaft. Sie standen da und musterten sich. Als ihnen auffiel, dass sie aus dem selben Grund dort waren, fielen sie sich in die Arme.

Nachdem sie sich aus der Schockstarre gelöst hatten, beschloss sie, als Zeichen eines gemeinsamen Kampfes, sich einen Löwenkopf tätowieren zu lassen, der sich über beide Arme erstreckte.

Heute sind die beiden verlobt, haben ein Kind,  das sie über alles lieben und während Tyler ein Tattoo Studio besitzt, ist Jana Lehrerin und Schulpsychologin geworden, um einer neuen Generation ein Trauma zu lindern, das sie erfahren musste.

Nur in meinem KopfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt