Der Ozean ist ein verräterischer Ort.
Sei gewarnt vor dem, was in der Tiefe lauert.
Wir brauchten noch mal zwei Stunden länger, als wir für den Weg nach Carnivore Island gebraucht hatten. Noch nie in meinem Leben war ich so ängstlich gewesen. Ich konnte nur an Urzeithaie und Seemonster denken, die unsere Flöße umwerfen und uns einzeln von der Wasseroberfläche pflücken und in die Tiefe ziehen würden.
Auf halber Strecke hätte ich beinahe einen Herzinfarkt bekommen, als in unmittelbarer Nähe der Flöße eine Rückenflosse aus dem Wasser auftauchte, dicht gefolgt von einem Kopf mit großen Augen und langgezogener Schnauze. Das Tier sah einem Delfin überraschend ähnlich. Sophie stieß einen hellen Laut aus und patschte mit der Hand ins Wasser.
„Bist du wahnsinnig?", rief Chiyo. „Geh weg da!"
„Das ist ein Ichtyosaurus!" Sophie strahlte mich an. Das Funkeln war in ihre Augen zurückgekehrt. „Die sind harmlos. Sie atmen Luft und gebären lebendig."
Sie sahen nicht hundertprozentig wie Delfine aus, aber sie verhielten sich so, wie ich es von Delfinen erwartet hätte. Bald kamen zu dem einen noch zwei oder drei weitere hinzu, die unsere Flotte begleiteten. Immer wieder tauchten neugierige Köpfe aus dem Wasser auf. Sie verschwanden erst, als wir uns der sichelförmigen Bucht an der Vorderseite von South Haven näherten.
Am Strand wimmelte es von Tieren. Eine Gruppe Triceratops zog nach Osten, eine Schildkröte ließ sich ins Wasser gleiten. Ein Pärchen Parasaurier knabberte an den Blättern der Bäume am Rand eines kleinen Waldes. Das Geschrei von Seevögeln erfüllte die Luft und alles wirkte so friedlich, wie es in diesem Horrorszenario möglich war.
Da keine Anzeichen von Gefahr zu erkennen waren, schoben wir die Flöße an den Strand und machten uns daran, die Insel zu untersuchen. Sie war kleiner als Carnivore Island, man konnte South Haven vermutlich innerhalb von zwei Stunden einmal komplett umrunden, aber hier gab es viel mehr Vegetation und Leben. Wir begegneten einer ganzen Schar Dodos, die meinen Magen rumoren ließ. Dodofleisch war zwar alles andere als schmackhaft, aber das Nahrhafteste, was man hier zu erwarten hatte. Auf der Rückseite der Insel fanden wir ein schmales Rinnsal, welches ins Meer mündete. Als wir es in den Wald verfolgten, wurde es breiter und wir entdeckten eine Süßwasserquelle in einem Felsen, die uns alle in Jubel ausbrechen ließ. Für eine ganze Weile saßen wir am Abhang im Gras und genossen, dass wir so viel trinken konnten, wie wir wollten. Keiner hatte es erwähnt, aber alle waren dehydriert und hätte es hier kein frisches Wasser gegeben, hätte es wirklich ernst werden können.
Himaya meinte irgendwann, wir müssten noch unsere Vorräte auffrischen und wir teilten uns mal wieder in Gruppen ein, um einen Schlafplatz zu suchen, Feuer zu machen und Essen zu jagen. Sophie und ich blieben an der Quelle sitzen und füllten die Wasserschläuche auf.
„Das ist ein guter Ort, oder?", fragte ich sie irgendwann mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich fühlte mich hier sicher. Das hatte ich nicht, seit ich am Strand der ARK aufgewacht war.
Als ich zu Sophie blickte, bemerkte ich die Tränen, die über ihre Wangen liefen.„Was ist denn los?", fragte ich alarmiert, ließ den Wasserschlauch fallen und schlang die Arme um sie.
„Ich ... ich kann nicht ... damit leben", weinte sie und klammerte sich an mir fest.
Ein Eisblock schien mir in den Magen zu fallen. Beruhigend streichelte ich Sophie über den Kopf. „Das darfst du nicht sagen. Lukas hat dich angegriffen, du hast dich doch nur verteidigt."
Sophie wurde geschüttelt von einem Weinkrampf und konnte eine Weile nicht antworten. „Ich dachte ... ich dachte ...", würgte sie hervor, „dass ich nie jemandem wehtun könnte und ... ich bin ... nicht, wer ich dachte –"
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ARK
AdventureWir alle blätterten gleichzeitig die nächste Seite um und fanden endlich ein bisschen mehr Text vor. „Sieben Stämme", las Lance vor. „Doch nur ein Stamm kann überleben." 28 Teenager. 7 Stämme. 1 Ziel. Unendlich viele Bedrohungen.