Schutzlosigkeit kann ebenso tödlich sein wie die schärfsten Zähne und Klauen.
Er stürmte auf uns zu und hielt keuchend hinter mir an.
„Was hat sie?", fragte er schwer atmend, als wäre Sophies Wunde nicht unübersehbar.
„Wo ist Kemen?", fragte Nicky zurück, ohne aufzusehen. „Weißt du, was mit ihm passiert ist?"
Ich hörte Diego gierig Wasser aus einem Trinkschlauch saugen. „Weiß nicht. Wir sind beide in den Wald, ich bin auf einen Baum geklettert, hab ihn dann verloren. Keine Ahnung, wohin er ist."
Schweigen trat ein und es fühlte sich unangenehm und drückend an. Diego blieb hinter mir stehen und sagte nichts, fragte nichts. Er wollte nicht wissen, wessen Leiche da im Sand lag, wessen Blut sich dort verteilt hatte, wen von uns der Pflanzenfresser zerfetzt hatte.
Ob es Yin war oder doch vielleicht Nastya. Er hätte näher herangehen müssen, um Yins schwarzes Haar erkennen zu können. Die Stille schlug mir auf den Magen und ich wollte sie brechen, aber ich brachte es nicht über mich, Diego zu sagen, wer tot war. Dass Nastya, die so viele Leute auf dem Gewissen hatte, noch lebte und Yin, die Codes geknackt und Rätsel gelöst hatte, um alle zu retten, getötet worden war.
Diego trat nervös von einem Bein aufs andere, was Pablo anscheinend wahnsinnig machte. Er schaute sich das eine Minute mit an, bevor er Diego anwies, die verstreuten Rucksäcke, Schlafsäcke und Ausrüstungsgegenstände einzusammeln und auf einen Haufen zu werfen.
Nicky setzte inzwischen den letzten Stich und schloss die Wunde, leerte den Rest des Desinfektionsmittels darüber aus und holte einen eingeschweißten Stoffverband aus einer Tasche ihrer ausgebeulten Hose. Wenig später war die grässliche Wunde mit dem dicken dunklen Garn unter einem frischen, weißen Verband verschwunden und es sah ansatzweise professionell behandelt aus. Ich atmete auf und erlaubte mir einen Moment der Erleichterung, obwohl es dafür natürlich viel zu früh war. Kemen und Nastya waren unauffindbar, die nächste sichere Basis war meilenweit entfernt und Sophie kämpfte in meinen Armen mit der Bewusstlosigkeit.
Nicky wusch sich das Gesicht und die Arme im seichten Meerwasser und überblickte dann mit einer in die Hüfte gestemmten Hand die Situation am Strand. Ein Haufen aus 8 Rucksäcken und die vier Leute vor ihr, von denen eine vermutlich nicht mal in der Lage war zu laufen, geschweige denn einen Rucksack zu schleppen. Trotz ihrer Pose sah Nicky furchtbar erschöpft aus und die Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Eins nach dem anderen", sagte ich, weil ich die Stille einfach nicht mehr aushielt. „Wir müssen Sophie irgendwie in die grüne Basis bringen. Das ist das Wichtigste."
„Was ist mit den anderen?", fragte Nicky. „Kemen und Nastya könnte sonst was passiert sein."
„Nastya braucht gar nicht erst wiederkommen", meldete sich Diego zu Wort, der selten so eine harte Linie fuhr.
„Was meinst du?", wollte ich wissen. Es war ja schließlich kein Geheimnis, wie sehr ich Nastya verabscheute.
Diego erwiderte meinen neugierigen Blick ausdruckslos. „Sie hat ihre Waffe entsichert und dann hat der Dino angegriffen. Das Geräusch", setzte er erklärend hinzu, „hast du das nicht gehört?"
Nach alldem Chaos wäre mir von allein das laute Klicken unmittelbar vor dem Angriff nicht wieder eingefallen, da war ich mir sicher. Aber Diego hatte es nicht vergessen und im Gegensatz zu mir hatte er das Geräusch richtig eingeordnet. Ich schluckte meine aufkeimende Wut gewaltsam hinunter und konzentrierte mich auf Sophie, während die anderen diskutierten, was jetzt zu tun war.
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ARK
AdventureWir alle blätterten gleichzeitig die nächste Seite um und fanden endlich ein bisschen mehr Text vor. „Sieben Stämme", las Lance vor. „Doch nur ein Stamm kann überleben." 28 Teenager. 7 Stämme. 1 Ziel. Unendlich viele Bedrohungen.