Nur die Stärksten werden überleben.
Die Panik ließ sich unmöglich im Zaum halten und ertränkte das leuchtende Gefühl des Triumphs fast vollständig. Tim hatte eine Kugel abbekommen und krümmte sich stöhnend im Gras, sein Gesicht wächsern, grau und schweißbedeckt. Er schrie, als sich Kemen seine Wunde ansehen wollte und musste auf ein Stück Holz beißen, damit das überhaupt möglich war. Ich warf nur einen kurzen Blick auf Tims Bauch und hätte mich am liebsten übergeben. Wie seine Muskeln sich um die Schusswunde herum anspannten, Adern traten deutlich unter der Haut hervor, das Einschussloch wie ein dunkler Schlund. Es gab keine Austrittswunde. Die Kugel steckte noch immer irgendwo in ihm und es gab keine Möglichkeit, sie herauszuholen, nicht für uns. Niemand sprach es aus, aber jedem von uns war klar, dass wir Tim nicht helfen konnten.
Zumindest denen von uns, die bei Bewusstsein waren. Diego und Sophie waren bewusstlos, Diego hatte eine Platzwunde an der Schläfe, und Sophie hatte offenbar einen Streifschuss an der Schulter abbekommen. Schnittwunden, ein verstauchtes Handgelenk, eine Bisswunde, eine Gehirnerschütterung und viele, viele blaue Flecken waren der Rest.
Wir waren noch vor Sonnenaufgang vollkommen übernächtigt, durchgefroren, erschöpft und trauernd hier angekommen, hatten den Tag ohne Essen mehr schlecht als recht überstanden, hatten am Abend noch gejagt und uns durch eisernen Willen allein wieder auf die Füße gekämpft und hatten dann auch noch diesen Kampf überstanden.
Ich biss die Zähne zusammen und half Pablo und Kemen dabei, unser improvisiertes Wasserauffangbecken in Form der Holzkiste am Meer mit Salzwasser zu füllen und wieder hoch zur Hütte zu tragen, um das Feuer zu löschen. Als klar wurde, dass das Feuer nicht auf die Hütte übergreifen würde, in der Himaya die Verletzten bewachte, stellten wir die leere Kiste wieder an ihren angestammten Ort zurück und wandten uns an die beiden vermummten Angreifer, die entweder bewusstlos oder tot neben dem zerstörten Zaun lagen. Ich griff beherzt zu und zerrte die Brille und den Kopfschutz vom ersten der beiden herunter. Langes dunkles Haar ergoss sich über meine Hände, in den großen braunen Augen spiegelte sich silbern das Licht der Sterne. Als ich die Hände aus ihren Haaren zog, waren sie klebrig mit geronnenem Blut.
Der andere Vermummte war ebenso eindeutig tot, das Messer steckte ihm noch im Rücken zwischen den Wirbeln. Es war ein riesiger Typ mit kahl rasiertem Schädel, dunkler Haut und so muskulös, dass er mich vermutlich hätte durchbrechen können. „Wisst ihr, wer das war?", fragte ich und zog das Messer aus seinem Rücken.
Pablo und Kemen schüttelten wortlos die Köpfe, aber eine Stimme antwortete zögerlich. „Ich war das. Glaube ich." Nicky trat vor und kniete sich ebenfalls neben den Toten. „Er hat auf Tim geschossen."
Ich senkte den Blick und nickte. Am liebsten hätte ich ihr gesagt, dass sie es gut gemacht hatte, aber die Worte kamen mir nicht über die Lippen. Stattdessen zerschnitt ich mit dem Messer den Stoff am Unterarm des Toten, wo ich sein Implantat fühlen konnte, doch es leuchtete nicht mehr.
„Sie hören auf zu leuchten, wenn man stirbt", murmelte Kemen tonlos. „Ist mir bei Priscilla schon aufgefallen."
Ich ließ den Arm des Jungen zurück auf den Boden plumpsen. „Dann müssen wir uns wohl jemanden ansehen, der nicht tot ist."
Einzig das Adrenalin hielt mich auf den Beinen, als wir auf das immer noch vermummte Mädchen zugingen, das an die Hüttenwand gelehnt dasaß, die Arme auf dem Rücken zusammengebunden. Yin saß ihr gegenüber, noch immer die Waffe in den Händen. Pablo stolperte einmal und musste von Kemen gestützt werden – er war derjenige mit der Gehirnerschütterung, hatte aber seine Platzwunde nur einmal unter Wasser gehalten, die Schultern gestrafft und das Angebot abgelehnt, sich hinzulegen. Anscheinend wollte er das Stolpern wieder gutmachen, denn er machte sich von Kemen los, kniete sich neben dem Mädchen hin und zerrte ohne Rücksicht auf Verluste ihre Brille und die eng anliegende Kapuze von ihrem Kopf.
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ARK
AdventureWir alle blätterten gleichzeitig die nächste Seite um und fanden endlich ein bisschen mehr Text vor. „Sieben Stämme", las Lance vor. „Doch nur ein Stamm kann überleben." 28 Teenager. 7 Stämme. 1 Ziel. Unendlich viele Bedrohungen.