Kapitel 28 - Mord

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Ein munteres Feuer wird die meisten Tiere fernhalten, aber bleib stets wachsam!
Einige werden vielleicht davon angelockt.


Der Sonnenuntergang goss goldenes Licht über die Basis und die Schatten des Dschungels streckten sich weiter und weiter. Die Insel sah aus, als hätte es den eisigen Regenguss niemals gegeben, nur der Sand war noch feucht. Es war still. Alle trauerten, waren verletzt, übernächtigt oder beides. Den ganzen Tag hatten wir in der Hütte geschlafen, bis nach und nach der Regen aufgehört hatte und einer nach dem anderen sich aufsetzte und sich die Augen rieb. Es wurde trotzdem nicht gesprochen. Sophie war die einzige, die nicht ausschließlich mit sich selbst beschäftigt war. Sie setzte sich immer wieder neben Kemen, der sich in einem der Betten in seinem pitschnassen Schlafsack zusammengerollt hatte, das Gesicht nur Zentimeter von der Wand entfernt. Sie strich ihm über die braunen Haare und irgendwann versuchte sie ihn davon zu überzeugen, ihr den Schlafsack zu geben, damit er einen der trockenen haben konnte, die Pablo irgendwann in die Sonne aufs Dach der Hütte gelegt hatte. Kemen reagierte nicht auf Sophies Worte.

Es dauerte eine ganze Weile, aber irgendwann versammelten sich alle stumm und geschlagen um das Lagerfeuer, das Himaya draußen angezündet hatte. Vermutlich hatte sie nur irgendetwas zu tun haben wollen, das hätte ich nämlich auch gern gehabt. 

„Wir brauchen mehr Holz", verkündete sie heiser durch den grauen Rauch des Feuers hinweg. 

Wir brauchten nicht nur Holz, sondern auch Essen. Und was wir am allerdringendsten gebraucht hätten, war Chiyo. Die inoffizielle Anführerin, auf die jeder gehört und vertraut hatte, die immer gewusst hatte, was zu tun war. Irgendjemand musste ihre Rolle übernehmen und während ich im Gras saß und in den Rauch des Feuers starrte, wurde mir bewusst, dass ich das war. Ich hatte eine Aufgabe, ich hatte von Anfang an eine gehabt. Ich war es, die unsere Stämme zusammengebracht hatte und ich würde jetzt auch dafür sorgen, dass wir zusammenblieben und nicht verhungerten, erfroren oder wie Kemen langsam und gleichgültig dahinvegetierten. Nein, wir hatten Opfer gebracht, Verluste erlitten, für die Artefakte geblutet und unser Leben riskiert. Wir würden weiterkämpfen, wir mussten es einfach. 

Ich stand auf. Träge folgten mir die Blicke der anderen und ich konnte milde Überraschung in den meisten Gesichtern sehen. Sophie neben mir lächelte sogar ein ganz kleines bisschen. Sie war nicht überrascht. 

„Es ist noch hell", begann ich, „nicht mehr lange, aber wenn wir uns beeilen, schaffen wir das. Himaya, nimm dir ein paar Leute und sucht einen Dodo." 

Himaya stand sofort auf, dann zögerte sie. „Bist du sicher?" 

Sie meinte nicht die Dodojagd. 

„Ich bin sicher." 

Pablo und Nicky schlossen sich ihr an und sie bewaffneten sich mit Speeren, Messern und einem Seil von der Kletterausrüstung, damit sie den Dodo hinter sich herziehen konnten. Ein Dodo allein würde uns nicht alle satt machen, aber es war zu spät, um weitere zu jagen und morgen war auch noch ein Tag. 

„Tim, Sophie, Yin, könnt ihr Feuerholz sammeln gehen? Nehmt die Axt mit." 

Als die drei weg waren, blieben noch Diego und ich. „Wir beide kümmern uns jetzt um Kemen", sagte ich entschlossen. „Er holt sich den Tod in diesem nassen Schlafsack." 

„Genau das will er ja", murmelte Diego. 

Diego wusste, dass er recht hatte, und ich wusste es auch. Das spielte aber keine Rolle. Wir mussten Kemen vor sich selbst retten.

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