Kapitel 10 - Rot

162 17 8
                                    



Sei vorsichtig im Nebel – man verirrt sich leicht und sieht seine Feinde nicht kommen.



Sie hatten uns schon gesehen, wahrscheinlich schon bevor wir sie gesehen hatten. Das Mädchen auf dem Dach stand auf und winkte uns näher heran. Wir verfielen wie von selbst in unsere Formation zurück und zückten unsere Waffen. Wir waren in der Überzahl. Es wäre dumm, uns anzugreifen. Und außerdem unnötig. Wir wollten keinen Kampf und wir wollten ihnen nichts wegnehmen. Am ehesten wollten wir uns verbünden. Je mehr wir waren, desto besser standen unser aller Chancen. Ich rief mir das immer wieder ins Gedächtnis, bei jedem Schritt, auch wenn meine Angst um mich selbst und die anderen übermächtig zu werden drohte. 

Dann standen wir einige Meter vor dem Zaun, durch den man beim besten Willen nichts sehen konnte. Sie hatten sich mehr Mühe gegeben als wir. 

„Keinen Schritt weiter", befahl das Mädchen auf dem Dach mit einer Stimme, die keinen Widerstand duldete. Gehorsam blieben wir stehen und warteten auf ihr Urteil. Sie blickte uns der Reihe nach an, immer wieder huschte ihr Blick zu unseren Implantaten. „Warum seid ihr so viele?", fragte sie schließlich. 

„Wir haben uns verbündet", erklärte Pablo, bevor ich es konnte. Er schaute zu dem Mädchen hoch und fragte dann: „Wie geht es Chiyo? Ist sie hier?" 

Das Mädchen nickte einmal kurz. 

„Und Kemen?", erkundigte Yin sich vorsichtig. 

„Wir sind alle hier", entgegnete das Mädchen auf dem Dach unwirsch. „Tut nicht so, als würden die anderen euch interessieren, nur weil ihr zusammen angefangen habt." 

„Ich habe mit niemandem von euch zusammen angefangen und es interessiert mich trotzdem", sagte ich und trat einen Schritt nach vorn, an Tim und Lance vorbei. 

„Ich sagte: Stehen bleiben", sagte das Mädchen warnend und zog etwas aus einer Tasche an ihrer Hose. 

Ich ließ mein Messer in den Sand fallen und hob die Hände. „Hör zu, wir glauben, es gibt einen Weg, wie wir alle hier rauskommen können. Wir wollen einfach nur mit euch reden", sagte ich beschwörend. „Wir sind nicht daran interessiert, mit euch zu kämpfen. Wir wollen eine Allianz." 

Ich hörte Lance hinter mir leise und verächtlich schnauben und hoffte, das Mädchen auf der anderen Seite des Zauns hatte es nicht auch gehört. 

Sie musterte mich mit undurchdringlicher Miene und weil sie nicht widersprach, fand ich den Mut einen weiteren Schritt nach vorn zu machen. Da bewegte sie sich plötzlich unglaublich schnell und mir wurde gerade noch klar, dass sie eine Steinschleuder aus ihrer Tasche geholt hatte, ehe mich etwas an der Schläfe traf und ich taumelnd in den Sand fiel. 

„Ich hatte sie gewarnt!" 

„Hast du den Verstand verloren?", hörte ich Himaya brüllen. „Sie macht dir ein Friedensangebot und du schießt auf sie?" 

Mir war schwindelig. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Weiche Finger betasteten Mein Gesicht. 

„Du blutest", hörte ich Sophie sagen. „Aber ich glaube, es ist nicht so schlimm." 

„Was ist, wenn sie eine Gehirnerschütterung hat?", rief jemand, ich glaube Nicky, voller Vorwurf. 

„Sie könnte sterben, wegen dir!"

„Luana war nicht mal mehr bewaffnet!" 

„Okay!" Diese Stimme war völlig neu. Sie gehörte einem Jungen und klang gleichzeitig genervt und entschuldigend. „Es tut uns leid. Meint ihr das ernst, mit dem Frieden? Dem Ausweg?" 

ARKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt