Kapitel 1

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Es ist nun fast ein halbes Jahr vergangen seit dem Calum und ich unzertrennlich sind. Wir verbringen so gut wie jeden Tag mit einander und sind in der Zeit ziemlich beste Freunde geworden.

Obwohl er so gut wie alles von mir weiß, weiß ich fast nichts von ihm. Jedes Mal wenn ich ihn auf seinen Wohnsitz, seine Schule oder seine Familiensituation anspreche, blockt er sofort ab. Das ist so seltsam. Heute werde ich ihn mit zu mir nehmen. Es hat lange gedauert ihn zu überreden, aber es hat schließlich geklappt. Meine Mutter weiß davon und wird dementsprechend auch mehr kochen. An einen Freitagnachmittag kocht sie normalerweise nur für uns zwei, da Jack bei seiner Freundin bleibt und mein anderer Bruder Ben nicht mehr bei uns wohnt. Meine Mum hat glücklicherweise einen kurzen Tag in der Klinik. Sie hat sich vor vielen Jahren ihren Traum erfüllt und eine eigene psychiatrische Klinik eröffnet. Sie ist eine der erfolgreichsten Psychiaterinnen in der Stadt, zusammen mit ihrem Team.

Zu meiner Mutter habe ich ein gutes Verhältnis, weshalb sie auch von Calum weiß. Ich habe ihr viel über ihn erzählt, die Details mit dem Klauen habe ich allerdings weggelassen. Der Neuseeländer hat mir versprochen, das nicht mehr zu tun und ich vertraue ihm.

„Luke, ich rede mit dir", werde ich aus meinen Gedanken gerissen, weshalb ich verwirrt zu Ashton schaue. „Sorry, was hast du gesagt?", hake ich nach, woraufhin er die Augen verdreht. „Ich hab dich gefragt, ob du das verstehst, aber so wie es ausschaut bist du wo anders mit deinen Gedanken. Hast du wieder an diesen Calum gedacht?", fragt er herablassend. Ash und ich sind seit Jahren gute Freunde und erzählen uns alles, doch er hat aus unerklärlichen Gründen einen ziemlichen Hass auf meinen neuen Freund. Wahrscheinlich ist er nur eifersüchtig, weil ich nicht mehr so viel Zeit mit ihm verbringe.

„Jetzt mal ehrlich, was findest du an diesem Dieb so toll?" Ich werfe ihm einen bösen Blick zu. Wir haben dieses Gespräch in letzter Zeit so oft geführt. Der Lockenkopf macht Calum bei jeder Gelegenheit schlecht, obwohl er ihn nicht einmal kennt. Es verletzt mich, dass mein langjähriger Freund nicht akzeptieren kann, dass ich auch andere Kontakte in meinem Leben habe. Ich bin doch auch nicht eingeschnappt, dass er sich so gut mit Michael versteht. Ich hasse Michael und er hasst mich, dass ist auf unserer Schule kein Geheimnis.

Warum wir uns so abgrundtief hassen? Ganz einfach, der Grund ist Jessica. Sie ist Cheerleaderin und ziemlich beliebt bei uns in der Schule. Wir waren auch zusammen, doch dann habe ich herausgefunden, dass sie zur gleichen Zeit eine Affäre mit Michael hatte. Daraufhin habe ich sie verlassen und Mikey und ich sind nun zerstritten. Wir beide waren ebenfalls ziemlich eng miteinander. Wie man sich in Menschen täuschen kann... Nach diesem Vorfall hatte ich zwar noch ein oder zwei richtige Beziehungen, aber ich bevorzuge einen heißen One Night Stand.

„Du kennst ihn nicht. Lass ihn einfach in Ruhe! Ich hab keine Lust ständig mit dir darüber zu diskutieren. Ich versteh dein scheiß Problem einfach nicht", sage ich und verlasse sauer den Klassenraum. In diesem Moment ist es mir auch egal, dass ich wahrscheinlich ziemlich Ärger bekommen werde. Aber ich kann es mir nicht mehr anhören. Jeden Tag hackt er auf dem Dunkelhaarigen herum, obwohl er ihn nicht kennt. Es nervt mich einfach.

Gereizt verlasse ich das große Gebäude und gehe schon mal in den Park, wo ich mich mit Calum treffe. Mir ist klar, dass er noch in der Schule sein wird, aber ich kann warten.

Nach einer guten halben Stunde kommt er zu unseren Treffpunkt geschlurft. Seine Schulsachen hat er anscheinend schon zu Hause abgelegt.

Mit einer kurzen Umarmung begrüßen wir uns und machen uns auf den Weg zu mir. Er scheint leicht nervös zu sein.

Zuhause angekommen schließe ich die Tür auf und wir ziehen uns im Flur die Schuhe aus. Schweigend folgt er mir in die Küche, wo meine Mum am Herd steht. Sofort wendet sie sich an Calum und begrüßt ihn mit einem Lächeln. „Hallo Calum, ich bin Liz. Freut mich dich endlich kennenzulernen", sagt sie und zieht ihn in eine Umarmung, die er zögerlich erwidert. Seine Schüchternheit anderen Leuten gegenüber ist zu niedlich.

„Das Essen dauert noch ein wenig", teilt sie uns mit, weshalb ich Calum schon einmal mein Zimmer zeige. Zögerlich schaut er sich um. „Ich weiß, ist nicht das Größte, aber mir gefällt es", erkläre ich. „Mir auch", murmelt er. Wir setzen uns auf mein Sofa und noch immer schaut er sich staunend um. „Du hast wirklich Glück mit deinem Zimmer", sagt er nach einem stillen Moment. „Joar", antworte ich simpel. Zu gerne würde ich das Zimmer von meinen Bruder Jack haben. Es ist größer und hat eine schönere Aussicht. Ich hoffe er zieht bald aus, aber ich bezweifle es, da er vorher sein Studium beenden möchte.

„Jungs, Essen ist fertig", höre ich meine Mutter rufen, woraufhin wir runter in die Küche gehen.

Es gibt Lasagne. Gemeinsam beginnen wir mit dem Essen und unterhalten uns über alles Mögliche. „Ich wünschte, das Essen in der Schule würde genauso gut schmecken. Heute gab es Gemüse", jammere ich. „Bieten die euch in deiner Schule auch so ekliges Essen an?", frage ich den Braunäugigen, doch seine Miene verändert sich schlagartig. „Solange es was zu Essen gibt" murmelt er, deutlich zu sehen, dass es ihm unangenehm ist, weshalb ich es nicht weiter vertiefe.

Das Fragezeichen in meinen Kopf wird größer.

„Calum, was ist denn dein Leibgericht?", fragt Mama Hemmings, da sie die angespannte Stimmung wahrnimmt. „Ich mag alles. Irgendwie", antwortet er unsicher. Ich schaue ihn skeptisch an und er fügt hinzu: „Aber am meisten Pizza." Einige Stunden verbringen wir zusammen in meinem Zimmer, bis er auf die Uhr guckt und sieht, dass es zwanzig vor acht ist. „Ich muss los", stellt er traurig fest. „Soll ich dich schnell nach Hause fahren?", biete ich an, aber er lehnt ab.

Freundlich bedankt und verabschiedet er sich von meiner Mum und an der Haustür verabschieden auch wir uns mit einer kurzen Umarmung.

Nachdem ich eine Weile vor der verschlossenen Tür gestanden habe, begebe ich mich zu meiner Mum ins Wohnzimmer.

„Ein wirklich niedlichen Freund hast du", stellt sie fest und zaubert mir damit ein Lächeln ins Gesicht. „Aber was genau mit ihm los ist weißt du auch nicht?" Ich weiß genau, dass sie auf sein seltsames Verhalten andeutet, welches er bei bestimmten Themen zeigt.

„Nein. Bei bestimmten Themen, wie zum Beispiel Familie, Schule oder Wohnsituation blockt er total ab. Als ob ich ihn verurteilen würde, wenn er in ärmlichen Verhältnissen leben würde."

„Vielleicht wird er von zu Hause auch unter Druck gesetzt. Es kommt häufig vor, dass Kinder zu Hause misshandelt werden und deshalb nicht über bestimmte Dinge reden wollen.", erklärt sie mir. Ich hoffe und bete, dass er zu Hause nicht misshandelt wird. Das wäre schrecklich!

Das Waisenkind (Cake)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt