Kapitel 12

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Calum POV

Mit offenem Mund guckt Luke mich an. Der Schock ist ihm im Gesicht geschrieben. Obwohl mir die Tränen im strömend über die Wangen laufen und ich mir das Schluchzen nicht unterdrücken kann, beschließe ich auf zustehen. Ich kann verstehen, wenn Luke mich nicht mehr bei sich haben will. Wer möchte schon ein Mörder in seinem Zimmer haben? Die wenigen Schritte zu seiner Zimmertür kommen mir hunderte Kilometer weit vor. Meine wackligen und zittrigen Beine drohen nach zugeben, aber nicht in diesem Haus. Zitternd nehme ich die Türklinke in meine Hand.

„Calum warte!" Sagt Luke und zieht mich in eine feste Umarmung. Schnell schlinge ich meine Arme um ihn und halte mich an seinem Pulli fest, bevor meine Beine nachgeben. Hemmungslos schluchze und weine ich gegen seine Brust. Besorgt schleift er mich mit zu seinem Bett und lässt mich dort weiter weinen.

„Bitte beruhig dich. Du machst mir Angst, wenn du so aufgelöst bist." Wispert er mir ins Ohr und wiegt mich sanft hin und her. Obwohl ich versuche mich zu beruhigen geht es irgendwie nicht. Die ganzen Erinnerungen fliegen mir im Kopf herum. Die ganzen Erinnerungen und Bilder die ich krampfhaft versuche zu vergessen. Die Bilder die mich nachts nicht schlafen lassen. Es fühlt sich an als ob es gestern passiert ist. Der Schmerz, den ich tägliche versuche zu unterdrücken ist wieder da. Es fühlt sich an wie unzählige Messerstiche, die direkt ins Herz gehen. Obwohl der „Mord" nun schon fast zwei Jahre her ist, wird der Schmerz nicht weniger. Nein, eher im Gegenteil. Er wird immer schlimmer. Ich glaube es ist nur eine Frage der Zeit bis der Schmerz mich von innen auffrisst.

Ich weiß nicht wie lange ich mich an seiner Schulter ausgeheult habe, aber nachdem ich mich wieder einigermaßen gefangen habe schaue ich hoch, direkt in seine Eis-blauen Augen.

„Es tut mir leid. Ich sollte wohlmöglich gehen." Murmel ich und versuche mich zu beherrschen, damit meine Stimme nicht bricht. Sie klingt sowie so schon anders. Vom ganzen weinen ist sie rau tief und kratzig geworden. Sie klingt nicht mehr nach meiner Stimme.

„Nein, du bleibst! Ich lasse dich in diesen Zustand nicht weg. Außerdem wo willst du hin? Du wirst zu 150% nicht zurück ins Heim gehen. Und ich will dir helfen. Du bist mit deinen Problemen nicht alleine. Ich bin da für dich und meine Mum auch." Ungläubig gucke ich den blonden an.

„Hast du nicht gehört was ich gesagt habe? Ich hab meine Eltern umgebracht. Ich sollte gar nicht mehr mit dir reden und du solltest gar nicht mehr nett zu mir sein. Du solltest mir sagen, dass ich verschwinden soll und mir das schlechteste auf Erden wünschen, so wie alle." Sage ich leise.

„Calum, das war ein dummer Unfall. Es ist furchtbar was passiert ist, aber es ist nicht deine Schuld."

„Doch" flüstere ich. Und erneut drohen mir Tränen auf zu steigen, die ich glücklicherweise weg blinzeln kann, bevor ich wieder in einen Heul Krampf ausbreche.

„Du ziehst dich jetzt um, dann schlafen wir und morgen früh werden wir mit meiner Mum darüber reden. Sie ist Psychiaterin und kann dir helfen." Ich schüttel meinen Kopf.

„Cal, bitte vertraue mir. Ich würde das nicht vorschlagen, wenn ich mir nicht zu 100% sicher wäre, dass es das Beste für dich ist." Da ich keine Lust habe nun weiter zu diskutieren lasse ich mir von ihn schlaf Sachen aushändigen, ziehe mich im Badezimmer um und lege mich in sein Bett, genau wie er.

Zu zweit sitzen wir am Frühstückstisch. Während Luke seine Pancakes verspeist gucke ich diese nur an. Ich hab keinen Hunger, um ehrlich zu sein habe ich nicht einmal Lust zu reden. Es ist wie damals. Ich sitze einfach nur da und lasse mein Leben an mich vorbei ziehen.

Einige Minuten später kommt auch seine Mutter zu uns.

„Guten Morgen Jungs" begrüßt sie uns und gießt sich einen Kaffee ein.

„Mum können wir kurz mit dir Reden? Es ist wirklich wichtig." Beginnt Luke, weshalb ich ihn mit großen Augen anschaue.

„Luke nein!" Unterbreche ich ihn.

„Doch! Es ist das Beste für dich!" wiederspricht er und seine Mutter nimmt neben uns Platz. „Bitte erzähl die Geschichte nochmal." Sagt mein Freund nun einfühlsamer. Schwach schüttel ich meinen Kopf. Ich kann die Geschichte nicht noch einmal erzählen. Der Gedanke tut mir schon weh.

„Calum, lass dir so viel Zeit wie du brauchst und erzähl was du uns zu sagen hast. Du kannst anfangen wo du möchtest und Details die du nicht erzählen willst kannst du weg lassen." Meinen Blick senke ich auf die Tischplatte und atme tief durch.

Weinend und schluchzend erzähle ich die ganze Geschichte erneut. Luke ist wieder neben mir um mich zu Umarmen und zu beruhigen.

Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt habe, gucke ich auf und wische mir die restlichen Tränen mit meinen Ärmeln weg.

„Calum-Schatz, ich kann deinen Schmerz nachvollziehen. Trauer und schmerz sind ein wichtiger Bestandteil vom Leben, aber du darfst dir niemals die Schuld an dem Ereignis geben. Danke aber auch für deine Ehrlichkeit. Wie du vielleicht weißt, habe ich eine psychiatrische Klinik und ich bin mir sicher, dass es dir helfen würde wenn du dort professionelle Hilfe bekommst." Sagt seine Mum, doch ich verweigere dies. Ich will nicht noch einmal in eine Klinik. Man hat dort keine Rechte und gar nichts.

„Calum das kannst du nicht mit der Klinik vergleichen in der du warst. Ich bin ehrlich, wir haben geschlossene Stationen, aber da wirst du nicht rein kommen. Da brauchst du dir überhaupt gar keine Gedanken drüber machen. Ich hätte den Vorschlag, dass du in eine normale Therapie kommst. Du würdest lernen den Schmerz und die Trauer zu verarbeiten, was du tun kannst, wenn wieder kurz davor stehst einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Falls du doch einen bekommst, wie du richtig Atmen kannst um dich wieder zu beruhigen. Und all diese kleinen Dinge die dir durch den Alltag helfen um in der Lage zu sein ein glücklicheres Leben zu leben." Setzt die blonde Frau fort. Ich hab es nicht verdient ein glückliches Leben zu leben. Ich habe zwei glückliche Leben genommen, also warum sollte ich nun eins haben dürfen? Dies klingt mir nicht gerecht. Mein bester Freund scheint meinen Blick zu kennen, da er mein Kinn anhebt und mich somit zwingt ihn in die Augen zu schauen.

„Bitte nimm die Hilfe an. Wenn du es schon nicht für dich tust, dann tu es wenigstens für mich." Luke ist immer für mich da gewesen. Er hat mich sofort in Schutz genommen, als sein bester Freund ihn vor mir gewarnt hat. Vielleicht sollte ich ihm diesen einen Gefallen tun. Aber auf der anderen Seite habe ich Angst. Ich bin mir nicht sicher wovor genau, aber ich habe Angst.

„Du kannst es dir ja noch überlegen. Wir gehen erst einmal in mein Zimmer." Kommentiert Luke seinen Beitrag. Der Größere nimmt meine Hand in seine und führt mich wieder hoch in sein Zimmer, wo ich mich wieder auf sein Bett setze und Löcher in die Wand starr.

„Luke, ich werde es machen, aber nur unter einer Bedienung: Du wirst mich nicht im Stich lassen. Ich mache es nämlich für dich. Nur für dich!"

Das Waisenkind (Cake)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt