Kapitel 2

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Ich lief durch die Gänge unseres Supermarkts und suchte gerade Estragon, da vernahm ich eine Stimme, die sich in mein Gehirn gebrannt hatte.
"Der Boss hat durch ihren Arbeitsplatz ihre Adresse rausgefunden. Wir sollen sofort hin und es erledigen." Mein Herz setzte einen Schlag aus. Vorsichtig spähte ich in den Gang, aus der die Stimme kam. Und da standen sie.
"Zu blöd, dass wir sie gestern nicht mehr erwischt haben. Er war echt sauer."
"Ja, aber sie war echt schnell, das Gör. Lass uns erst nochmal 'nen Burger essen gehen. Ich brauch was im Magen, bevor ich das Geschäft erledige." Die beiden sprachen leise, und andere hätten wahrscheinlich gar nicht gehört, um was es ging. Doch ich hörte jedes Wort.
"Ich auch. Aber dann bringen wir es zu Ende. Der Boss ist schon sauer auf uns, dass wir sie haben entwischen lassen. Wie der mich zur Sau gemacht hat gestern, das glaubst du gar nicht."
"Soll er doch seine Scheiß Arbeit selber machen", brummte der größere der beiden, Pat, glaubte ich. "Aber eins ist klar, den morgigen Tag wird sie nicht mehr überleben." Ein Schauer überlief meinen Rücken. Es war klar, dass es um mich ging.
Die Lebensmittel, die ich in der Hand hielt, ließ ich einfach fallen und rannte raus auf den Parkplatz. Wie vom Blitz getroffen lief ich zurück nach Hause.

Leise öffnete ich die Tür und spähte hinein. Da niemand zu sehen oder zu hören war, schlich ich weiter. Kristen lag im Wohnzimmer auf der Couch und hatte die Augen geschlossen. Ihr Atem ging gleichmäßig, sie schlief. Erleichtert atmete ich auf und ging nach oben in mein Zimmer.
So schnell es ging kramte ich die nötigsten Klamotten und andere Sachen zusammen. Ich hatte noch siebzig Dollar in meiner Spardose. Weit kam ich damit nicht, aber hier konnte ich auf keinen Fall bleiben. Gerade, als ich wieder nach unten laufen wollte, fiel mein Blick auf ein Foto, dass an der Wand über meinem Bett hing. Beinahe hätte ich das wertvollste, was ich besaß, vergessen. Ein Bild von Dad und mir.
An diesem Tag hatten wir eine Fahrradtour gemacht. Allerdings hatten wir uns verfahren uns sind daher erst spät abends Zuhause angekommen. Die feurigen Farben des Sonnenuntergangs brachte unsere Haut dazu golden zu schimmern.
Es war das letzte Bild, was ich mit ihm hatte.
Ich schnappte es mir und stopfte es in meinen alten Rucksack. Mit einem letzten Blick rannte ich, so leise es ging, wieder nach unten zur Tür raus. Was ich tun sollte, wusste ich nicht. Ich hatte keinen Plan, aber mir war klar, dass ich verschwinden musste.

Ohne darüber nachzudenken lief ich Richtung Bahnhof. Noch immer im unklaren darüber, was mein nächster Schritt sein würde. Nach endlosen zehn Minuten stand ich auf dem Bahnsteig und starrte auf die Anzeigetafel.
Ich hatte Glück, in fünf Minuten würde ein Zug richtig Seattle kommen.  Schnell besorgte ich mir ein Ticket.


Sie hatten ein paar Orte weiter gewohnt. Vielleicht eine Stunde von uns entfernt. Mit dem Zug würde das klappen. Geld hätte ich sogar noch übrig. Aber was, wenn er umgezogen ist?, dachte ich. Dann wäre ich echt am Arsch denn fast das ganze Geld wäre für die Zugfahrt draufgegangen. Aber ich musste es probieren. Andere Möglichkeiten hatte ich nicht.

Zehn Minuten später stand ich am Bahnhof und wartete auf den Zug Richtung Westen, der auch kurz darauf eintrudelte. Viele Leute musterten mich, wodurch ich nur Nervös wurde und mich alle zwei Sekunden umdrehte und guckte, ob mich irgendwer verfolgte. Ich sah bestimmt aus, als wäre ich auf der Flucht vor der Polizei.

Ich setzte mich auf einen Fensterplatz in der Mitte des Zuges. So konnte ich immer noch in die andere Richtung abhauen. Schlafen konnte ich nicht. Die Angst saß mir einfach zu tief im Nacken. Wieder fragte ich mich, warum ausgerechnet mir sowas passieren musste. Das war einfach unfair. Na ja, etwas positives hatte es: ich musste Kristen und Adam höchstwahrscheinlich für eine lange Zeit nicht mehr sehen. Und in ein paar Monaten wäre ich eh achtzehn. Dann wäre ich so oder so weg gewesen.
Erschöpft ließ ich meinen Kopf gegen die Scheibe sinken und schloss kurz die Augen. Sie brannten und ich hatte Kopfschmerzen. Immer wieder kam mir das Bild von dem toten Mann in den Kopf. Das Blut, was Spritze und sich überall verteilte, als er zu Boden fiel.

Durch Kopfschütteln probierte ich den Gedanken wegzukriegen, was mir aber nicht besonders gut gelang.
Das würde ich nie wieder vergessen.
Nach einer Dreiviertelstunde wurde die Haltestelle aufgerufen, bei der ich raus musste. Schnell packte ich meine Sachen zusammen und stieg aus, als der Zug hielt.
Ich hatte auf meinem Handy eine Karte von dem Ort geöffnet. So groß war er nicht, und etwas kannte ich mich noch aus. Einen Schokodonut und zwei falsche Abbiegungen später erreichte ich das gesuchte Haus. Es hatte sich ein bisschen verändert. Der Vorgarten sah gepflegter aus die Haustür war nun weiss und nicht mehr grau. Ich lief zum Eingang und drückte zögernd die Klingel. Nervös tippte ich mit meinem Finger auf dem Oberschenkel rum. Eine nervige Angewohnheit.

Dann ging plötzlich die Tür auf und ein kleines blondes Mädchen stand vor mir.
"Wer bist du denn?"
"Ist dein Papa da", fragte ich leicht lächelnd.
"Ja, warte kurz. Daaaaddy", schrie sie schon kurz darauf ins Haus rein. Kurz darauf erschien ein noch recht junger Mann. Das war aber nicht John. Enttäuscht ließ ich meine Schultern sinken.
"Kann ich Ihnen irgendwie helfen?"
"Ich- ich hab mich wohl im Haus vertan. Tut mir leid." Murmelnd wollte ich wieder auf die Straße gehen, doch er hielt mich zurück.
"Wen suchen sie denn?"

"John und seinen Sohn. Ich hab den Nachnamen vergessen. Ich dachte, sie wohnen hier. Aber ich war noch recht klein, als ich das letzte Mal hier war." Er schien kurz zu überlegen, dann erhellte sich sein Gesicht.
"John, John Brown? Und sein Sohn Nathaniel?"
"Ja, Brown. Genau. Wissen sie, wo ich die finde?" Erleichterung und ein bisschen Hoffnung machte sich in mir breit.
"Die haben früher nebenan gewohnt. Sind aber umgezogen."
"Wissen sie auch wohin?" Er lächelte. "Ja, nicht genau, aber ich weiß die Straße. Es ist gar nicht weit von hier. Zu Fuß vielleicht zehn Minuten." Er nannte mir die Adresse und ich bedankte mich. Hoffentlich fand ich John und Nathaniel nun. Sie waren meine letzte Hoffnung.

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