PROLOG - Part 1

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Tunnelkomplex B-13
Das Herz des Brocken, Harzgebirge
09.11.2158, 09:33 Uhr, Shatterlands (Ehemaliges Deutschland)


Es war dunkel hier unter dem Berg, tief im Herzen des Brockens und weit, weit weg von Walhalla 23. Dunkel und heiß, die trockene Luft geschwängert vom Gestank der Schwefelbäche und Lava-Seen, die ihr kleiner Konvoi passieren musste um hierher zu kommen. Ein Ort uralter Finsternis, wie geschaffen für schreckliche Geheimnisse ... und Monster.

Amadeus Regis Gruber ließ sich zu einem seltenen Lächeln hinreißen. Sein Vorgänger hatte wirklich einen bemerkenswerten Sinn für Theatralik bewiesen, das Puppetmaster-Projekt hier zu begraben. Ob all dies von langer Hand geplant war? Es wäre dem alten Halunken durchaus zuzutrauen.

Etwas Schweres krachte hinter ihm zu Boden und schickte einander jagende Echos durch die kilometerlangen Tunnel. Jemand fluchte unterdrückt und Gruber schüttelte den Kopf. Gut, dass die Geschenke nicht so leicht zerbrechlich sind. Aber dennoch ...

Er drehte sich bedacht langsam um, ließ seinen Blick über seine Kriegerleibwache wandern, was allerlei Warnmeldungen über sein kybernetisch augmentiertes Blickfeld sandte. Puls, Blutdruck, Adrenalinausschüttung – alles im roten Bereich. Eine typische Kampf-oder-Flucht-Reaktion, die ihn fast lächeln ließ. Wie hatte Niccolò Machiavelli einst gesagt? Besser gefürchtet zu sein als geliebt, wenn man nicht beides haben kann. Weit besser.

Wobei ...

Er drehte sich wieder der gewaltigen Bunkertür zu und musste die Möglichkeit einräumen, dass die Furcht seiner Männer wohl nur zum Teil ihm galt. Schließlich war dies die Domäne eines Gottes, älter und in gewisser Weise mächtiger als er selbst.

„Mein Odin?" Das vertraute Schlurfen von Kampfstiefeln auf Stein erklang hinter ihm. „Wir... Wir sind soweit. Sind Sie sicher, dass Sie sich das nicht noch einmal überlegen wollen?"

Gruber legte seine knochigen Finger auf das dunkle Metall der fast drei Meter hohen Tür. Vanadiumstahl: stark genug um einer Atombombenexplosion stand zu halten. Am wichtigsten jedoch: zu klein für den Bewohner dieses Ortes, um sich hindurch zu quetschen. Die Sicherheit Walhallas hatte schließlich Vorrang.

„Mein Odin?"

Gruber drehte sich um und musterte Captain Vjeran Veselovsky. Der Erste unter den Thorianern wirkte beeindruckend in seinem schwarz glänzenden Gefechtsanzug mit den ineinander greifenden Keramikplatten. Massiv. Stark. Unbezwingbar. Bis man sein Gesicht betrachtete. Der Schweiß, der über Veselovskys Bulldoggengesicht mäanderte und die Mischung aus Angst und Abscheu in seinen glänzenden Schweinsäuglein erzählten eine ganz andere Geschichte. „Nach dem langen Weg hierher? Ich denke nicht, mein guter Captain. Janus weiß gewiss, dass wir bereits hier sind und es wäre unhöflich unsere Geschenke einfach so wieder mit zu nehmen, denken sie nicht auch?"

Ein Schluchzen drehte ihrer beider Köpfe. Siebzehn Jahr, blondes Haar, so stand sie vor ihnen ... Eine wahre Schönheit, auch wenn ihr tränennasses Gesicht eine Maske der Furcht war. Schön und begehrenswert, wie er den biometrischen Daten ihrer zwei Wächter entnehmen konnte und am wichtigsten: Jungfräulich. Genau nach Janus Geschmack.

Wenn sie doch nur nicht so viel weinen würde...

„Sshh, meine Liebe", sagte Gruber und machte einen Schritt auf sie zu. „Alles wird gut."

Das Mädchen zuckte vor ihm zurück, doch vor dem Griff ihrer zwei Wächter gab es kein Entkommen. Ihre Augen suchten die seinen. Die Augen einer Katze. Golden. Gänzlich ohne weiß.

„Bitte", flüsterte sie. „Ich will wieder nach Hause. Ich will wieder nach Hause."

Der Odin seufzte und zog ein purpurnes Seidentaschentuch aus der Brusttasche seines schwarzen, makellos erhaltenen Dreiteilers. „Leider ist das nicht möglich, meine Liebe." Er tupfte behutsam ihre Tränen auf. „Es ist sehr bedauerlich, aber Chimära hat sich Euer bemächtigt. Für Euch gibt es keinen Platz mehr in Walhalla 23. Kein Zuhause." Er ließ seinen Blick zwischen den verspiegelten Vollvisierhelmen ihrer Wächter hin und her wandern. „Und glaubt mir, unter anderen Umständen hätte ein weitaus schlimmeres Schicksal auf Euch gewartet. Weit, weit schlimmer."

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