Das Dunkle Herz

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The Blackstink

Unterwaagen, Aschland

09.11.2158, 14:41 Uhr, Shatterlands (Ehemaliges Deutschland)


„Willkommen im Blackstink!" Adelmar breitete die Arme aus, sein Gehstock hoch erhoben, ein Lächeln auf dem Gesicht. „Das nur gelegentlich aussetzende Herz von Unterwaagen, wo die Essenz der großen Leviathane genutzt wird, um Energie für die monetären Massen zu erzeugen. Wo gleichsam mutige wie auch verzweifelte Männer und Frauen im Austausch für Brass tagein und tagaus in den pittoresken Raffinerien und Kraftwerken dort drüben ihr Leben riskieren. Wo General Winter dank der keuchenden Dampftunnel unter unseren Füßen selten seine Opfer fordert – auch wenn Gevatter Tod Dank der giftigen Gase und einer gelegentlichen Explosion nie zu kurz kommt. Nicht so ansehnlich, nicht so sauber und sicher, wie es die Glücklichen dort oben jenseits der Wolken haben, aber besser als nichts, nicht wahr? Komm mein Freund, komm und bestaune die Wunder der Zivilisation – dunkel, wie sie auch sein mögen."

Der Vernarbte verzog das Gesicht. Dunkel war wahrlich ein gut gewähltes Wort für diesen Industriealptraum aus brütenden Gebäudekomplexen und Barracken, die sich zeckengleich an die wuchernden Rohrleitungen klammerten. Der allgegenwärtige Gestank von Chemie und Verfall brachte sogar seine Augen zum tränen.

Blackstink.

Ein passender Name. Ausgesprochen passend. Sogar der Schnee war schwarz. Nicht grau. Schwarz. Alles und jeder schien überzogen mit einer Patina aus Ruß. Selbst der Himmel war dunkel wie die Nacht, da sich ununterbrochen hoch aufragenden Schornsteine in ihn erbrachen.

„Es liegt am Wind", erklärte Adelmar, als sie unter sporadisch heller und dunkler werdenden Straßenlaternen von einer Insel aus Licht zur nächsten wanderten. „Er kommt so gut wie immer aus dem Westen und treibt die Abgase über diesen malerischen Teil von Unterwaagen. Sonnenlicht ist eine Seltenheit hier. Vor nicht allzu langer Zeit war dies ein beliebter Jagdgrund für Vampire, doch sogar diese Monster trauen sich danke des Ordens heute nur noch selten aus ihren Löchern. Bei weitem nicht der sicherste Stadtteil – nicht das es so etwas in Unterwaagen geben würde – aber besser als der Freak Warren, nicht wahr?"

„Hmm."

Der Vernarbte war sich da noch nicht ganz sicher. Zwar rannten hier weniger Mutanten durch die Gegend, doch insgesamt sahen die Bewohner dieses Alptraums in Schwarz und Schwärzer gefährlicher aus, als die Bewohner des Freak Warrens. Was er dort gesehen hatte, waren genetische Opfer. Die Kerle, die hier herumschlurften und in den engen Gassen lungerten, sahen mehr wie Raubtiere aus. Dreckige, stinkende, hungrige Raubtiere.

Es half auch nicht, dass er das Gefühl hatte verfolgt zu werden. Ein Rudel Ratten mit freiliegenden Gehirnen huschte nicht weit entfernt über die Straße und er nutzte den Moment, um sich einmal mehr unauffällig über die Schulter zu blicken. Zuvor war ihm nichts Spezifisches aufgefallen, doch diesmal glaubte er am Ende der Straße jemanden – oder etwas – in eine Gasse tauchen zu sehen. Natürlich musste gerade jetzt irgendein Überdrückventil Dampf ablassen und die Straße mit stinkendem Nebel verhüllen.

„Woah, mein Freund!", rief Adelmar und zog ihm am Arm. „Pass auf wo du hin trittst, das Zeug da frisst dir vermutlich ein Loch durch deine Felle."

Der Vernarbten kam abrupt zum stehen und starrte auf einen vielleicht handbreiten Riss im Bordstein. Gelber Schleim sickerte daraus hervor wie Eiter aus einer schwärenden Wunde. „Verdammte Axt, was ist das für ein Dreck? Es stinkt wie eine in Diesel ersoffene drei Wochen alte Leiche."

„Meh. Wer kann das schon sagen?" Adelmar schritt unbeirrt über den Schnodder hinweg. „Vermutlich nur irgendwelche Abfallprodukte aus der Tran-Gewinnung, welche sie durch die alten Abwasserkanäle ins Meer pumpen. Keine Angst. Für einen Shoggoth hatte diese Suppe nicht genug Augen."

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