On the Hunt

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Es war nicht schwer Anskars Spuren zu folgen, nicht für jemanden mit Leonoras Gaben. Ein Sukkubus zu sein brachte schließlich viele Vorteile, insbesondere ihre geschärften Sinne. Sie hätte seinem Duft blind durch den Quarantänebezirk folgen können, musste es fast, da sein Geruch so schrecklich vertraut war, dass ihr immer wieder Tränen in die Augen stiegen.

Es war fast eine Erleichterung, dass er in den Tunneln an dieses Ding geraten war. Das Blut, das nun an ihm klebte, hatte ihr die Jagd leichter gemacht. Selbst in den Slums, mit all seinen widerwärtigen Gerüchen, hatte sie kein Problem ihm zu folgen. Leonora überragte viele der bemitleidenswerten Bewohner um einen guten Kopf. Das war gut, sehr gut sogar. Anskar würde hier auffallen wie Frankensteins Monster unter einer Horde Halblinge.

Der Sukkubus biss sich so hart auf die Unterlippe, dass sie Blut schmeckte. Nein, nicht Anskar. Anskar ist tot. Du jagst den Archetypen. Den Vernarbten. Das Monster. Gedanken, die nur allzu schnell zu einem sich ständig widerholenden Mantra wurden.

Ihre Jagd verlief gut – ausgesprochen gut – bis sie einen großen Marktplatz erreichte. „Finsternis!"

Sie mochte zwar die Augen eines Adlers und den Geruchssinn einer Raubkatze haben, doch all das nützte ihr im Angesicht dieser postapokalyptischen Version eines türkischen Basars nur wenig. Die Spuren des Archetypen waren in dem schlammigen Gemisch aus Schneematsch, Asche und Dingen, über die sie gar nicht erst nachdenken wollte, schlicht und einfach nicht mehr auszumachen. Ganz zu Schweigen von seinem Geruch. Bei Gott, der Gestank hier war genug um ein Schwein ersticken zu lassen...

Sie suchte in den Massen nach seiner ihr so vertrauten Statur, doch es war hoffnungslos. Da waren einfach zu viele. „Scheiße."

Leonora streckte ihren Hals, sah sich um. Was würde eine an Amnesie leidende biologische Massenvernichtungswaffe aus der Alten Welt im Angesicht dieses Chaos machen? Sie schluckte schwer. Was hätte sie getan, wenn sie ohne jedwede Erinnerungen der letzten Wochen plötzlich an einem Ort wie diesem gelandet wäre? Der Gedanke war nicht schön. Mehr noch, er beschwor Mitgefühl in ihr herauf – was sie sich nicht leisten durfte. Sie musste hart bleiben, musste es, wenn sie eine Chance haben wollte, zu tun was getan werden musste.

Denk nach...

Leonora schloss die Augen und besudelte ihre Lungen mit einem tiefen Atemzug. Wer könnte den Archetypen gesehen haben? Wer? Ihr Blick fiel fast augenblicklich auf einen Schreier, der ein Bordell bewarb, dass man aus Containern und den Überresten eines großen Passagierflugzeuges gebaut hatte. Der feiste Stöpsel verkündete mit unangenehm lauter Stimme die diversen Vorzüge seines Etablissements und machte für eine „Mucho-Muschi-Hour" Werbung.

Leonora schüttelte den Kopf. Wann immer man denkt, dass mal alles gesehen hat ...

Entschluss gefasst, steuerte sie auf den plärrenden Kerl zu. Seine Augen richteten sich alsbald auf sie: Glänzende Augen, gierige Augen – die Augen eines hungrigen Schweins. Sie zog ihren Umhang fester um sich, konnte seine anzüglichen Gedanken fast riechen. Er leckte sich sogar über die fleischigen Lippen, als Leonora vor ihm zum Halt kam.

„Ah, my Lady", säuselte der Kerl mit seiner unangenehm angenehmen Stimme, die so gar nicht zu seinem Äußeren passen wollte. „Willkommen im Mucho Muschi. Hier für einen kleinen Schleckerbissen? Unsere Mädchen sind die saubersten in ganz Unterwaagen und die rote Lola hat eine Zunge, welche länger ist als die Schwän—"

„Vielleicht ein andermal", schnitt Leonora ihn ab. „Ich bin auf der Suche nach jemandem, der vor kurzer Zeit hier vorbeigekommen sein muss: sehr groß, sehr kräftig, sehr blass und übersäht mit Narben."

„Hm." Der Zuhälter runzelte die Stirn und strich sich mit seinen Stummelfingern – von denen er sechs hatte – über sein Kinn – von denen er drei hatte. „Vielleicht habe ich jemanden gesehen, zu dem diese Beschreibung passt, aber in Unterwaagen hat alles seinen Preis."

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