Home, home, home

155 25 23
                                    

Bei meinem Bolzenschneider...

Es war seltsam nach so langer Zeit, die Metall- und Betonkorridore von Walhalla 23 wiederzusehen. Der Adamsapfel an Theodors Hals hüpfte, als er versuchte den sprichwörtlichen Frosch herunterzuschlucken, der sich in seinem Hals breit gemacht hatte. Es half nichts, wurde nur noch schlimmer. Schweiß stand ihm in Perlen auf der Stirn und er konnte nicht umher seine neue Brille immer wieder nervös zurechtzurücken. Sie war zwar sauber wie alles hier, saß jedoch schlecht. Auch sein neuer Wartungstechniker-Overall war picobello, fühlte sich jedoch zu warm an, fast so, als wäre er gefüttert.

Eine andere, weitaus sinnigere Erklärung für seinen Zustand war, dass er schlicht und einfach Panik hatte im Anbetracht der zwei steroidgeschwollenen Thorianer neben sich. Er sah verstohlen nach links und rechts, musste seinen Kopf dabei in den Nacken legen, um die verspiegelten Helme der beiden Sicherheitskräfte überhaupt zu sehen. Wenn diese zwei Hormon-Hünen aus versehen gleichzeitig ins Straucheln gerieten, würden sie ihn vermutlich wie einen überprallen Pickel zwischen ihren gepanzerten Körpern zerquetschen.

Oh-Gott-oh-Gott...

Ein garstiger Gedanke, aber noch immer besser als das, was am Ende dieses Korridors auf ihn wartete: Das Büro von Amadeus Regis Gruber, dem Odin und uneingeschränkten Herrscher von Walhalla 23. Theodor kämpfte heroisch gegen den Drang an, davon zu laufen und tupfte sich mit seinem strahlend weißen Taschentuch den Schweiß von der Stirn.

Zum gefühlten tausendsten Mal, fragte er sich was er Odin Gruber nur erzählen sollte? Ein saloppes, „Theodor Kapp meldet sich zurück zum Dienst", würde im Anbetracht der Situation wohl kaum genügen. Schließlich hatte man ihn als Saboteur, Deserteur und vermutlich irgendetwas anderes das auf –teur endete abgestempelt. Er hatte keine Ahnung wo Anskar und Leonora waren, wusste ja nicht einmal wie er wieder nach Walhalla 23 gekommen war. Seine Erinnerungen waren noch immer seltsam verschwommen, schlammig wie das Wasser im Becken einer Güllegrube. Ein Schauder überkam ihn bei diesem Sinnbild und er unterdrückte eine Flut aus ungemein unangenehmen Bildern, die durch seinen Geist huschten.

Vielleicht sollte ich mich einfach auf die Knie werfen und kreischen: Ich bin unschuldig! Unschuldig! Diese zwei Irren haben mich entführt und an die Oberfläche verschleppt!

Der kleine Wartungstechniker lächelte in sich hinein. Schließlich würde er damit ja noch nicht einmal lügen. Nicht gerade heldenhaft, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen. Nur, dass er kein Teufel war und Fliegen mochte er überhaupt nicht. Er verwarf den Gedanken, schüttelte den Kopf und hielt sich etwas aufrechter. Als ob Kniefall und Betteln schon jemals irgendjemandem in einer solchen Situation geholfen hatten. Nein, er würde seinem Schicksal gegenübertreten wie ein echter Mann – was immer das auch heißen mochte.

Der Moment der Wahrheit kam, so wie es Momente dieser Art an sich hatten, viel zu schnell, schlich sich geradezu heimtückisch an ihn heran, um ihn von hinten niederzuknüppeln. Von einem Augenblick zum nächsten ragte das Iris-förmige Sicherheitsportal zum Heiligtum des Odins vor ihm auf. Theo glotzte die Bunkertür an, sein Herzschlag mit einem Mal laut wie eine Maschine, die kurz davor stand den Geist aufzugeben.

Wum-Wum-Wum...

Der kleine Wartungstechniker schluckte schwer, spielte noch einmal kurz mit dem Gedanken sein Heil in der Flucht zu suchen, als seine zwei steroidgeschwollenen Muskel-Monster in perfekter Synchronisation an ihm vorbei glitten und an den Seiten des Portals Rührt-Euch-Stellung einnahmen. Ein Teil von Theodor verspürte den wahnwitzigen Drang ihnen zu Applaudieren. Er hätte nicht gedacht, dass diese zwei gelenkig genug waren, um ihre Rinderflanken-Arme hinter den Rücken zu bekommen.

Der Moment geistiger Umnachtung verstrich jedoch schnell und er starrte das Iris-Portal erwartungsvoll an. Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn und ihm war, als versuche eine Miniatur-Blaskapelle seine Inneren Organe musikalisch darzustellen. Bei Gott, er musste so dringend auf die Toilette. Ein erneuter Schluckversuch den Kloß in seinem Hals los zu werden schlug fehl und er suchte Hände ringend nach einer Lösung für sein Dilemma. Was würden Anskar und Leonora wohl in seiner Situation machen?

ARCHETYPE 3.0Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt