Licht und Schatten

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Adelmars fleischliche Hand raste auf den Kolben der Spritze zu, sein Gesicht eine gefrorene Grimasse. Pein hämmerte durch ihn. Er wusste, dass er so gut wie tot war, spürte, wie das Leben aus ihm floss. Unwichtig. Alles was jetzt noch zählte war Rache zu nehmen, alles was jetzt noch Bedeutung hatte, war seine Angebetete glücklich zu machen.

Ich hoffe du wirst leiden, du Monster! Ich hoffe— Etwas umschloss Adelmars Unterarm, seine Hand nur einen Zentimeter vom Kolben der Spritze entfernt, umschloss ihn – und drückte zu. „Aggh!"

Sein Fleisch platzte förmlich unter dem immensen Druck und für einen grässlichen Moment wurde alles um ihn herum schwarz. Metall Knirschte und Kreischte und er wusste instinktiv, dass seine Armprothese ein ähnliches Schicksal erlitten hatte. Diesmal konnte er den Schmerz nicht ausblenden, diesmal rauschte er durch ihn, hämmerte auf ihn ein: Es war der Schmerz des Versagens.

Nein!

Für den längsten Moment schien es, als ob die Dunkelheit sich gänzlich seiner bemächtigt hatte, doch sein Blick klärte sich, zeigte ihm das fratzenhafte Gesicht seines Todfeindes. Adelmar blinzelte, keuchte, blies blutigen Rotz aus seiner Nase. Der naive Tropf, den er am Markt aufgelesen hatte, war kam noch in dieser Alptraumvisage zu erkennen. Das demente Grinsen war breiter, als es menschenmöglich sein sollte, die Augen zwei Nuklei aus absoluter Finsternis von denen dunkle Adergeflechte über Gesicht und Schädel wucherten.

Der Körper des Monstrums war sogar noch abscheulicher: Ein Flickenwerk-Alptraum der beantwortete, wohin ein Arm und die Beine des Werwolfs gekommen waren. Der Rest des vernarbten Körpers war noch immer menschlich, jedoch überzogen mit pulsierenden Adergeflechten und geradezu deformiert mit neuen Muskeln. All dies erklärte jedoch nicht, was mit Adelmars Armen geschehen war, doch dann flackerte das Licht über ihm und er sah, er verstand.

Nein...

Glasartige Knochen umgeben von transparentem Fleisch schimmerten wie eine Mirage im zitternden Licht. Adelmar blinzelte und etwas machte klick in seinem Kopf. Dann sah er sie: Die großen Pranken um seine Handgelenke, die Krallen, die glänzten wie zerbrochenes Glas. Es waren die Arme von Fex... Also hatten seine Jungs es doch geschafft den Wendigo zu aktivieren. Allerdings zu spät, viel zu spät.

„Nein!", gurgelte Adelmar, würgte und erbrach einen Schwall Blut. Seine Augen folgten den geradezu obszön langen Armen des Wendigos, welche hinter dem massiven Rücken des Dämons verschwanden. Hauchdünne Fäden aus Dunkelheit zogen sich durch das transparente Fleisch, kontrollierten es. „Nein-Nein-Nein!"

Das demente Grinsen des Dämons wurde einen Zahn breiter, erinnerte Adelmar schlagartig an diese Mutantenkatze, die er einst in einem alten Zeichentrickfilm gesehen hatte. Der Dämon genoss diesen Moment, er genoss ihn! So durfte es nicht enden, durfte es einfach nicht! „Nein!", gurgelte Adelmar. Er wand sich, kämpfte gegen den eisernen Griff an, achtlos welchen Schaden er seinem Körper dabei zufügte. Alles vergeblich. Das unmenschliche Grinsen seines Nemesis wurde breiter, breiter, breiter, als er Adelmars Arme auseinanderzog, ihn streckte, streckte und ...

Pop!

Blut spritzte Adelmar ins Gesicht, blendete ihn für einen Herzschlag. Er blinzelte – und sah. Es war nicht sein Blut, sondern das des Monsters. Das rechte Auge seines Folterers war fort, reduziert zu einer blutigen Ruine.

Leonora!

Adelmars Kopf ruckte zur Seite und da war sie: Seine Göttin, seine Retterin, sein grandioser Engel des Todes. Sie raste auf den Dämonen zu, Pistole in der Linken und Spritze in der Rechten. Das Monster knurrte irgendetwas unverständliches, taumelte und ging auf ein Knie nieder. Seine Göttin schien noch schneller zu werden, bewegte sich so geschmeidig, dass Adelmar sie nur verschwommen wahrnahm. Sie war ein Schemen, das hinter dem Rücken dieses Monsters vorbeistürmte – und zustieß! Als sie auf der anderen Seite wieder in Sicht kam, war die Spritze in ihrer Hand verschwunden. Der Dämon schüttelte den Kopf und der stählerne Griff um Adelmars Handgelenke lockerte sich; nicht genug um seine Arme freizubekommen, aber genug für einen letzten verzweifelten Akt.

„Ich gewinne!", kreischte Adelmar und warf seinen Oberkörper vorwärts, ignorierte die Pein, die durch ihn Schoss und hämmerte seine Stirn auf den Kolben der Spritze. Wieder und wieder.

Er hörte nicht auf bevor sie gänzlich leer war. 

***

Der Schlächter grunzte als Schmerz in seinem Schädel explodierte. Sein linkes Auge ... es war fort und die Welt wankte und verschwamm, füllte sich mit Dunkelheit.

Dunkelheit?

Zorn donnerte durch seine Adern. Er war es, der die Dunkelheit brachte, er war der Wille des Abgrundes, niemand sonst. Er zwang die Schatten gerade rechtzeitig genug hinfort, um mit einem der Augen in seinem Torso zu sehen wie sie auf ihn zustürmte.

Leonora ...

Ihr Gesicht war eine von Grauen gezeichnete Maske der Entschlossenheit. Etwas Silbernes glänzte in ihrer Hand und sie raste schneller auf ihn zu, als sein umnachteter Verstand reagieren konnte. Etwas sank in sein Fleisch – und mit einem Mal ward ein brennendes Licht in der Finsternis seiner Inneren Welt. Der Schlächter schrie im Angesicht dieser Morgendämmerung und die Legion kreischte mit ihm. Ein Chorus aus dutzenden, vielleicht hunderten von Stimmen erhob sich in Wehklagen über diesen Ort der ewigen Nacht. Die Dunkelheit kämpfte gegen das Licht, drängte es zurück – als wie aus weiter Ferne eine verhasste Stimme erklang: „Ich gewinne!"

Eine zweite Sonne erstrahlte am Firmament und die Legion kreischte, als das Licht sie hinwegbrannte – und der Schlächter kreischte mit ihnen. Sein Blick wandte sich der Welt aus Fleisch und Blut zu. Augen öffneten sich, richteten sich auf den missratenen Verräter, dem er sein Vertrauen geschenkt hatte.

„Ich gewinne", blubberte Adelmar, sein Gesicht eine blutige Clownsmaske. „Ich gewinne!"

Der Schlächter blickte auf die große Spritze in seinem Arm – nunmehr leer – und verstand woher die Zwillingssonnen kamen. Verstand, was seine Innere Welt fraß, was seine Legion in den Abgrund trieb. Der Schlächter schrie in allen seinen vielen Stimmen, doch noch war seine Zeit nicht gekommen, noch war Zeit für Rache.

„Ich gew—Arg!" Adelmars Siegesschrei brach abrupt ab, als der Schlächter an dessen Armen zog. Muskel, Sehnen, Knorpel ... nichts war seiner Stärke gewachsen. Ein Poppen, ein Knirschen, dann das liebliche Geräusch von reißendem Fleisch und die Arme seines Feindes lösten sich von dessen Schultern. Es war leicht, wie einer Fliege die Flügel auszureißen ...

Adelmar blubberte, keuchte, sah aus als würde er das Bewusstsein verlieren – dann fing er an zu Kreischen. Oh welch wunderbare Musik ... doch da war keine Zeit ihr zu lauschen. Der Schlächter hob den Daumen seiner Klauenhand, setzte die dolchlange Kralle über Adelmars Herz und fing an zu drücken. Nicht schnell, sondern so langsam, wie er es sich leisten konnte. Adelmars Augen weiteten sich, sein Schrei brach ab, doch es gab nichts, was tun konnte. Langsam, quälend langsam, senkte sich die Klaue in sein Fleisch, vorbei an den Rippenbögen und in das wild pochende Herz darunter.

Ein Zittern ging durch Adelmar, er öffnete seinen Mund – und er war still.

Der Schlächter grinste ihn an, doch selbst sein Siegeslächeln war nur eine Maske. Das Licht in seinem Inneren. Es brannte. Es fraß. Er schnalzte Adelmar angewidert von seiner Hand, presste sich die Hände gegen die Schläfen und sah mit Grauen, wie sich die zwei Sonnen in seiner Inneren Welt zu einer verbanden.

Das Licht verschlang die Dunkelheit – und der Schlächter schrie. 

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