Der Orden

130 20 4
                                    

Es war jedes Mal ein beeindruckendes Schauspiel, wenn die Sonne ihren Weg durch den gemarterten Himmel des Aschlandes fand. Ergreifend, insbesondere, wenn es durch die Buntglasfenster der Kirche fiel, die Vikar Fürchtegott Gaut zu seinem persönlichen Refugium gemacht hatte. Eine nach allen Maßstäben bescheidene Unterkunft für einen Mann seines Standes und im Vergleich zu seinen alten Quartieren im Neu-Vatikan geradezu spartanisch. Demut – Humilitas – jedoch war eine Tugend und zweifelsohne gab es wohl keinen tugendhafteren Mann als ihn in diesem neuzeitlichen Sodom und Gomorra. Normalerweise würde Gaut einen solch seltenen Segen wie reines Sonnenlicht mit Gebet zelebrieren und über die monumentale Aufgabe meditieren, die ihm Papst Pius XIII auferlegt hatte. Heute jedoch hatte der Herr in seiner grenzenlosen Weisheit beschlossen, seinen wohl bescheidensten Diener zu testen ...

„Humanis Lupus Maximus ... ein großer Werwolf? Hier?", sagte der Vikar und lehnte sich in seinen thronartigen Stuhl zurück, die Fingerspitzen aneinandergepresst. „Und ihr seid euch sicher, Bruder Demetrius, dass es sich bei der Bestie um den gezähmten Haus-Werwolf des jungen Herren Atwald handelt?"

Demetrius „Silberzunge", Magus Rhetoricus und damit die Stimme des Ordens in Unterwaagen verbeugte sich. „Sicher? Nein eure Exzellenz, aber der Verdacht liegt mehr als nahe..." Er richtete sich wieder auf und ein abwegiger Sonnenstrahl tanzte kurz über das silberne Gitterkonstrukt, welches die rechte Seite seines kahl rasierten Schädels zusammenhielt. „Die Bestie wurde den Berichten nach in der direkten Umgebung der Paradise Hall gesehen. Ein pittoresker Name für eine Sklavenfarm, aber es mangelte unserem jungen Weltenwanderer ja schließlich nie an Extravaganz."

Gaut schüttelte den Kopf. „Der Hochmut der Jugend. Sprecht weiter, mein Sohn."

„Mein Informant sprach von Schusswechsel und Explosionen; ersteres würde bei all den Bandenkonflikten im Blackstink normalerweise nur für wenig Aufsehen sorgen, aber Explosionen so nahe bei den Raffinerien? Dazu ein tobender Werwolf?"

„Wissen wir, ob die Stadtwache bereits alarmiert worden ist?"

„Nicht soweit wir es sagen können, eure Exzellenz. Die Nachricht ereilte mich auf meinem Rückweg von der Orator's Ally. Ich kam so schnell wie möglich hierher, um euch zu informieren und um unser weiteres Vorgehen zu planen."

Click.

Das Geräusch war leise und vertraut: Ein gepanzerter Finger, der auf den Griff einer monströsen Kriegskeule tippte. Der Vikar drehte sich der riesigen Gestalt zu, die der Statue eines Kriegsgottes gleich in den Schatten eines nahen Alkovens aufragte. Was Bruder Bethlehem anbelangt, wäre die Entscheidung was ihr weiteres Vorgehen betraf vermutlich schnell getroffen.

„Habe ich Euch richtig verstanden, Bruder Bethlehem?", sagte der Vikar. „Ihr stimmt für Exterminatius?"

Click. Click.

Demetrius schüttelte den Kopf, ein sardonisches Lächeln auf den Zügen. „Aber, aber, Bruder Bethlehem. Übermut ist eine Sünde. Beruhigt euch wieder!"

Donnerndes Schweigen.

Ein halbherziges Lächeln versuchte sich am Mundwinkel des Vikars, doch eher würde ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, als dass Gaut es einem Lächeln erlauben würde, die christliche Grimmigkeit seiner Züge zu verunstalten. „Welche Informationen wurden dir sonst noch zugetragen, mein Sohn?"

„Nun, nichts, eure Exzellenz. Ich vermute jedoch, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sich die Stadtwache einmischt. Normalerweise würden die Lakaien des Greifen sich nicht in die Slums wagen, aber bei einem randalierenden Werwolf ist es wohl nur eine Frage der Zeit. Sollte dies geschehen, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie die Art der Arbeit aufdecken, die in der Paradise Hall stattfindet."

ARCHETYPE 3.0Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt