Sattler stierte das geradezu winzige Lautsprechermikrofon in seiner Pranke von einer Hand an, so als wäre es ein Gauner, den es durch Verhör zu brechen galt. Sein Daumen presste den Aktivierungsschalter. „Ein BBW im Blackstink? Wollt ihr mich verarschen? Over."
Er ließ den Sprechschalter los und sofort füllte Knistern und atmosphärisches Rauschen den Innenraum des stark modifizierten Kommandotrucks. Funkkommunikation, selbst über gut in Schuss gehaltene Militärware, wie sie der alte HEMTT hatte, war dank des Drecks in der Atmosphäre in weiten Teilen der Shatterlands unmöglich. Sogar hier in Unterwaagen gab es trotz der über die Stadt verteilten Verstärkerfunkmasten Probleme wann immer der Aschfall besonders stark wurde. So wie jetzt.
Dicke graue Flocken peitschten gegen die verkratzte und mit Rissen übersäte Panzerglasscheibe. Der perfekte Sichtschutz für was auch immer die Fanatiker ausbrüten mochten. Der Aschfall hatte seit dem Tausch der Teutonenrüstung gegen den beschädigten Auto-Doc beständig zugenommen und die Mauer um das Kloster herum, ja sogar die Gebäude selbst waren nur noch als dunkle Umrisse erkennbar. Sattler funkelte den grauen Vorhang böse an. Eine ganze Armee aus Ordensfanatikern mochte sich dort draußen bereits in Position begeben haben. Als ob dieser verdammte Clusterfuck nicht schon verfahren genug war ...
Sattler atmete tief ein und fluchte mit dem Ausatmen. „Fuck."
Er wollte gerade einen zweiten Funkspruch absetzten, als eine knisternde Stimme über die Lautsprecher erklang. „Kein –itz, Boss. Die Nachricht kam eben—", Knistern und Rauschen, „—d Stadtwache rein. Ein großer Werwolf", mehr Rauschen, „ist im Blackstink am –üten. Laut Bericht—", mehr beschissenes Rauschen. „Tote überall, Boss." Rauschen, Rauschen, und noch mehr Rauschen. „Feuergefecht. Was sollen wir t—"
Rauschen. Knistern. Funkstille.
Sattler versuchte den Kontakt wiederherzustellen, gab es jedoch nach ein paar Minuten auf. „Fuck!" Er warf das Sprechmikrophon auf das Armaturenbrett, wo es dem kleinen Wackel-Zerberus dort beinahe die Köpfe kostete.
Die Anstrengungen der letzten Nacht, der Schlafmangel, und natürlich all seine Wunden nagten an ihm, wie eine Armee Hive-Ratten an einem zugedröhnten Gossensäufer. Hölle, aber er brauchte eine Zigarre und fingerte auch schon in seiner Beintasche nach dem silbernen Dreifachbehälter, den Egon ihn vor Jahren geschenkt hatte. Einen Moment später hielt er auch schon seine letzte Havanna in der Hand. Seine verdammte Notfall-Havanna.
Er nickte bedeutungsschwer und murmelte: „So weit ist es also gekommen ..."
Sattler bewunderte die Zigarre für einen Moment: Eine echte Havanna. Kaum zu glauben, dass einige dieser Babys die Jahrzehnte überdauert hatten. Die Götter alleine wussten, wo Egon eine Kiste mit diesen Prachtstücken herbekommen und diese gekostet hatte.
Satter blies etwas von dem gräulichen Schimmel von der Oberfläche und inhalierte den Duft des über hundert Jahre alten Tabaks. Eine wunderbare Mischung aus Moder, Erde, und längst vergangenen Sommern. Er fragte sich zum hundertsten Mal, ob die alten Legenden der Wahrheit entsprachen: Das Havannas einst auf den Innenschenkeln von Jungfrauen gerollt würden. Ein Schnitt mit dem im Etui eingebauten Schneider und diese Kostbarkeit war auch schon geköpft.
Er fingerte gerade nach seinem Feuerzeug, als Blackmaw – sein Fahrer und Wing-Man bei diesem heutigen Himmelfahrtskommando – auch schon ein langes Streichholz entzündete und ihm Feuer anbot. „Hier, Boss."
Sattler brummte seinen Dank und paffte, bis die Zigarrenspitze glühte. Danach füllte er seine Lungen mit der Essenz einer längst vergangenen Welt, hielt diese ein paar Herzschläge dort und spürte, wie er sich entspannte. Bei den Göttern des Atoms, aber diese Dinger waren großartig.
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ARCHETYPE 3.0
Science Fiction★Dritter und letzter Teil der WATTYS 2018 "Die Wortschmiede" Gewinner Story★ Liebe. Chaos. Zorn. Waagen, das große Mekka der Monster, ist in Aufruhr. Noch immer liegt der Rauch des Krieges über der Stadt, doch weiteres Unheil braut sich bereits zusa...