TOCK!

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TOCK!

Adelmar fluchte unterdrückt und mühte sich die Vibrationen seines stählernen Gehstocks abzufangen. Tock war nicht was er erwartet hatte. Tock war die Art Geräusch, die man bekam, wenn Metall auf Holz traf, nicht auf Knochen, insbesondere bei solcher Wucht. Er musste es wissen, bei all der Übung die er hatte, war schließlich der Herr darüber, ob er einen betäubenden Tock oder einen tödlichen Crunch hörte. Ein paar einlullende Worte, ein Blick über die Schulter – Schwung, Drehung, CRUNCH!

So hätte es in diesem Fall ablaufen sollen. So war es unzählige Mal zuvor abgelaufen.

Hatte sein Schlag diesen Irren nur gestreift? Verlor er seinen Touch? Die nächste Überraschung folgte auf dem Fuß, als der naive Vagabund, den Adelmar wie so viele seiner Art am Markt aufgelesen hatte, nicht mit dem Gesicht vorneüber in den Schnee kippte. Oh nein, dieser vernarbte Rohling ging lediglich halb betäubt auf ein Knie und eine Hand nieder. Das schnell aufgeflammte Lachen seiner geschätzten Mitarbeiter – die meisten würden die Paradise Boys vermutlich seine Bande nennen – verstummte, da auch sie dergleichen seit Jahren nicht mehr gesehen hatten.

Adelmar grinste verlegen und zuckte die Schultern. „Immer diese Dickschädel ..."

Frisches Gelächter erfüllte den Hinterhof und Adelmar gratulierte sich zu seiner exzellenten Rhetorik. Die Belegschaft bei Laune und motiviert zu halten war schließlich eine der Hauptaufgaben eines Geschäftsführers. Er blickte auf den letzten einer langen Linie neuer „Freunde" herab und haderte mit sich. Der Kopf des Vernarbten versuchte immer wieder erfolglos hochzukommen und ein blutiger Speichelfaden baumelte von seinem Mund. Vielleicht hatte er den Schädel doch gebrochen ...

„Hm." Adelmar wog seinen Gehstock in den Händen und ließ metallene Finger darüber tanzen. Click-Click-Click. „Hm-hmm-hmmm."

Vielleicht war es ja Fortunas Segen, dass sein erster Schlag diesen Kerl nicht getötet hatte. Zäh wie dieser war, würde er als Arbeitsverpflichteter – oder Sklave, wie seine Jungs es so schnöde nannten – einen weit besseren Preis erzielen, als Fleisch am Spieß. Kassim und seine restliche Kundschaft im Gastronomiebereich hatten ihre Lieferung diese Woche schließlich schon erhalten.

Seine Männer hegten jedoch scheinbar andere Gedanken ...

„Chill ihn, Boss!", rief Jackhammer.

„Mach ihn platt!", forderte Flag.

„Gib uns einen Homerun!", kreischte Red Sally und sprang mit enthusiastischem Händeklatschen auf und ab. Sie sollte sich wirklich besser etwas anziehen, nicht dass sie sich noch eine Erkältung holte – zudem waren ihre kleinen strammen Brüste wirklich eine ziemliche Ablenkung. Sallys Vorschlag schien jedoch allen zu gefallen und schon bald erfüllte ein Chorus aus Schreien den Hinterhof. „Homerun-Homerun-Homerun!"

Adelmar lächelte. Er konnte es ihnen kaum verdenken. Sogar er hatte das Bedürfnis gehabt davonzulaufen, als dieser Irre angefangen hatte zu lachen. Es bedurfte schon einer besonderen Art von Wahnsinn, um es mit einer ganzen Bande Butcher-Boys aufnehmen zu wollen. War der Kerl ein Chimi? Nein, unmöglich. Ein Veränderter hätte schon längst auf die besonderen Zutaten in Kassims Spezialsoße reagiert und wäre zusammengeklappt. Nein, dieser Kerl war ein Norm – aber so verrückt, wie ein Eimer voller Frösche.

„Homerun-Homerun-Homerun!"

Adelmar seufzte schicksalsergeben. Panem et circenses – Brot und Zirkusspiele. Die Belegschaft wolle, was sie wolle. „Schon gut, schon gut." Er aktivierte den so gut wie unsichtbaren Schalter an seinem Gehstock und schon tanzten wütende Stromentladungen über den Knauf. Zu Schande wirklich, das sein vernarbter Freund den schlimmsten aller Charakterfehler hatte: Ein Gewissen. So einen Mitarbeiter konnte er in seinem Unternehmen schlicht und einfach nicht gebrauchen – und es war schließlich wichtig, die Belegschaft bei Laune zu halten.

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