Kapitel 6 ( erste offizielle Begegnung von Nathe und Cat) ⚠️Häusliche Gewalt

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Das Räuspern lässt es mir kalt über den Rücken fahren.
Langsam drehe ich meinen Kopf Richtung Schrankeingang, an der ein leicht bekleideter Nathe steht, der mich belustigt anschaut. Ich kann es mir nicht nehmen dieser Körper kurz zu Mustern... muskulös, braun gebrannt, ein kleines Tattoo auf seiner linke Brust, Schrammen, Kratzer und blaue Flecken... um seinen Hüften hat er ein Handtuch gebunden. Er war wohl gerade duschen, was seine nassen Haare, das Handtuch und meinen unbeantwortetes Klopfen erklären würde.
Ich merke, wie ich ihn anstarre.
„Was soll das werden wenn's fertig ist?", fragt er trocken und mustert meine wagemutige Aktion für ein paar Hosen.
Jetzt nicht das Gleichgewicht verlieren. Und schau ihm nicht so auf den Körper. Du musst es jetzt schaffen einen geraden Satz heraus zu bringen.
Ich sortiere die gewaschenen Sachen ein.", versuche ich so sachlich wie möglich seine Frage zu beantworten. Meine Stimme ist etwas höher als gewöhnlich, was definitiv an meinem Herz liegt, das mir fast aus der Brust zu springen scheint. Ich wende meinen Blick ab und versuche die letzte Jogginghose in das Regal rein zu schmeißen.
Wie der typische Vorführeffekt eben ist, klappt es nicht mal ansatzweise, und das schwarze Kleidungsstück prallt am Regalbrett ab und fliegt zu Boden.
„Ich weiß nicht, ob der Schrank dich lange aushält, so ein Gewicht ist der nicht gewohnt."
Ich beiße mir bei dieser Anspielung auf mein Körpergewicht auf die Lippe um keinen unangebrachten Kommentar zu bringen. Reagier einfach nicht darauf. Er will dich nur provozieren, also gib ihm nicht diese Genugtuung.
Ich bücke mich und hebe die Hose auf. Als ich mich wieder aufrichte, sind 5 Zentimeter vor meinem Gesicht diese perfekten Muskeln. Mein Herz setzt einen kompletten Moment aus. Kurz bin ich mir unsicher ob es mir nun doch aus der Brust gesprungen ist. Langsam lege ich meinen Kopf in den Nacken um Nathe in sein Gesicht zu schauen. Zum ersten Mal kann ich verstehen, was man an ihm finden kann. Sein markantes Gesicht, seine Wangenknochen, seine kleine Nase, buschige Augenbrauen und tiefgrünen Augen scheinen Marcello perfekt wie aus einem Magazin zu sein. Und sein Duft....
„Du solltest gehen!", sagt er bestimmt und seine Augenbrauen ziehen sich über den jetzt dunkelgrünen Augen zusammen.
„Aber die Hose muss noch in...", beginne ich und halte es ihm hin.
„Das meine ich nicht!", ohne darauf zu achten, fährt er fort. „Du solltest nicht hier sein."
Ich verstehe ihn nicht. Ich soll nicht in seinem Zimmer sein? Okay, muss er halt seine Kleidung selbst sortieren, ist mir auch recht. Ich zucke beleidigt mit den Schultern. „Ich wusste nicht, dass du hier bist, hab extra geklopft. Aber wenn du deine Wäsche selbst einsortieren willst, bitte."
Etwas beleidigt werfe ich die Hose auf den Boden und versuche an ihm vorbei zu gehen. Sein muskulöser Körper stellt sich mir erneut mit verschränkten Armen  in den Weg.
Okay monsieur, jetzt reicht es langsam.
„Ich weiß nicht für wen oder was du das machst, aber ich biete dir 20.000§ und dann will ich dich hier nie wieder sehen."
„ Mutig, wie du mit Papis Geld um dich wirfst. Danke für das Angebot, aber ich bin Umgebungen gewohnt in denen ich nicht willkommen bin. Bis jetzt hat mich das nie aufgehalten, also behalt dein schmutziges Geld." Ich gehe einen Schritt auf ihn zu. „Eigentlich solltest du mir dankbar sein. Dank mir hat Maxi zur Abwechslung jemand, der mit ihm für SEHR gute Noten lernen kann."
Ich sehe seine grünen Augen noch gefährlich aufblitzen bevor ich mich an ihm vorbei schlängele um dieses Zimmer für immer und ewig zu verlassen. Hinter mir höre ich irgendwas kaputt gehen, aber das ist mir egal. Dieser Arsch macht mir keine Angst. Er wird nicht der Grund sein, dass ich mich hier nicht wohlfühle! So viel Macht gebe ich ihm erst gar nicht.

Nachdem ich mir bei Berta einen weiteren Muffin geklaut und den Kinosaal durchgesaugt habe, beschließe ich eine Pause zu machen, um mich etwas um die Schule zu kümmern. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es 18: 14 Uhr ist, und ich dringend noch meine Familie anrufen muss.
Ich verstaue das Putzzeug in der viel zu großen, top organisierten Putzkammer und mache mich auf dem Weg zu meinem Zimmer, als aus dem Trainingsraum laute Stimmen meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Ich höre Mr. Silver und Nathes aufgeregt Diskutieren. Ich weiß, dass es mich nichts angeht, dennoch schleiche ich mich zur halboffenen Türe und lausche. Als älteste meiner Geschwister habe ich immer das Bedürfnis Streit schlichten zu müssen. Das dieses Gefühl in einem fremden Haus mit fremden Personen in mir aufkommt, ist auch mir Neu.
„... es ist eine verdammte drei,Victor!", höre ich Nathe seinen Vater anschreien. Geht es etwa immer noch um die blöde Arbeit von Maxi? Da ist aber jemand nachtragend.
„Eine drei ist verdammt nochmal Durchschnitt!", Mr. Silvers Stimme schallt über den ganzen Flur. Das es bei der Lautstärke in dem Haus noch keinen gestört hat liegt sicher daran, dass bei der Größe des Hauses niemand genau weiß, wo der Lärm herkommt. Oder vielleicht verirren sie sich selbst in den Gängen so wie ich.
„Wie oft muss ich dir noch einbläuen, dass durchschnittlich mir nicht reicht! Und wenn du noch einmal deiner Mutter gegenüber so respektlos redest, dann werde ich dir jeden deiner Klavierfinger einzeln brechen, verlass dich drauf."
„Dann werden die schwarzen Zahlen deiner heißgeliebten Firma aber ganz schnell an die Presse gelangen.", kontert Nathan, auf dessen Seite ich gerade irgendwie bin. Vielleicht habe ich mich in beiden getäuscht und Vic ist nicht der beschützende, liebende Vater den er vorzugeben scheint. „Außerdem ist und wird sie  NIEMALS meine Mutter sein!"
Ein lautes Klatschen und ein darauffolgendes leises Stönen lässt mich zusammenzucken.
Ich sollte dazwischen gehen, schreit mein Unterbewusstsein. Und dann? Steh ich zwischen den Fronten, oder werde selbst noch verprügelt? Nein, ich kann mich nicht einmischen... das Ganze geht mich nichts an. Ich sollte mein Streitschlichterinstinkt unterdrücken und einfach nach oben gehen. Nathe will mich hier doch eh nicht haben, das hat er mir ganz klar ausgedrückt.
Ein lautes Klirren beendet den Kampf. Meine Neugierde siegt und ich spicke durch das Schlüsselloch. Zwischen den ganzen Sportgeräten drückt Victor seinen Sohn gegen die Wand, beide Hände um seinen Hals gelegt. Nathans Hände haben sich panisch um die seines Vaters geschlossen und versuchen sich aus dem Griff zu befreien. Er kann ein panisches Röcheln nicht unterdrücken. Was da vorhin gescheppert hat, ist eine Vase mit frischen Blumen darin, die jetzt in Millionen Teilen quer über den Boden verteilt ist.
Ich muss was tun, er bringt ihn ja noch um.
Bevor ich zu Ende denken kann und etwas unüberlegtes tue, tritt Nathe seinem Gegner zwischen die Beine, der ihn mit einem Aufschrei los lässt. Der dunkle Lockenkopf saugt zwischen angestrengtem Husten die Luft zurück in seine Lunge und torkelt auf die Türe zu. Ihm muss schwarz vor den Augen sein, da er knappe zwei Meter kommt und dann auf dem Boden zusammen klappt. Ich verkneife mir einen Aufschrei, als Victor gnadenlos seinem Sohn einen Stoß in den Bauch versetzt und ihn damit auf den Rücken dreht... über die Glasscherben.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht bleibt Nathe auf dem Boden liegen.
Wenn du auch nur ein Wort darüber verlierst, werde ich dir das Leben zur Hölle machen! " Victors Stimme ist nicht mehr als ein drohendes Fauchen. Mit einem letzten, verachtenden Blick geht er mit direktem Schritt Richtung Türe.
Schnell verstecke ich mich hinter der nächsten dicken Säule. Wenn er mich erwischt, wer weiß, was er dann mit mir macht.
Erst nachdem Mr. Silver aus meinem Sichtfeld ist, bemerke ich, wie sehr ich zittere.
Ich hätte Nathe helfen sollen. Dazwischen gehen... ihm irgendwie zur Seite stehen sollen.
Ich versuche mein rasendes Herz zu beruhigen, in dem ich zwei mal tief einatme. Immer noch zitternd komme ich hinter der Säule hervor und steuere auf den Fitnessraum zu, mit der Erwartung, einen übel zugerichteten Mitschüler vorzufinden. Innerlich geh ich die erste Hilfe Schritte noch mal durch. Notruf ist 911, stabile Seitenlage, offene Blutwunden sterilisierend stoppen und den Patienten mit ruhiger Stimme zusprechen.
Überraschenderweise finde ich in dem Raum nicht mehr als ein paar Scherben und die Spuren eines Kampfes. Nathe steht schon an der kleinen Umkleide, abseits des Trainingsraumes aus dem auch die Blumenvase gewesen sein muss und zieht sich schnell einen Pulli über als er mich bemerkt. Aus seiner Nase und Mund laufen Blut, das er mit dem Handrücken versucht abzuwischen, es allerdings nur verschmiert.
„Ah, da bist du ja." , werde ich mit einem missbilligtem Blick begrüßt. „Tu endlich, für was du da sein willst und mach hier sauber." Abfällig deutet er auf die Vasenscherben auf dem Boden.
„Was ist denn passiert?", frage ich unwissend und versuche möglichst entsetzt auszusehen.
Mit langsamen Schritten kommt Nathe auf mich zu. Tief schaut er mir in die Augen, bevor er den Mund aufmacht. „Misch dich nicht ein, sondern mach deinen gottverdammten deinen Job." Die letzten drei Worte spuckt er mir fast ins Gesicht, bevor er aus dem Trainingsraum stürmt, nicht ohne mich an der Schulter zu rammen.
Lüge... alles hier ist eine Lüge... das perfekte Haus, die perfekte Familie und vor allem meine neue, perfekte Zukunft.

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