Schwächen überwinden

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Eine Weile hielt ich die aufgelöste Frau einfach nur in meinen Armen. Ich hatte uns beide mittlerweile umgedreht, so dass sie die Wand sehen konnte und nicht die ganze Zeit gezwungen war auf die Leiche ihres Vergewaltigers zu blicken. Diese große Los hatte somit ich gezogen. Kalt blickte ich auf den leblosen Körper, dem ich vor einigen Minuten den Schädel zertrümmert hatte und immer wieder schossen mir dabei Gedanken von Negan durch den Kopf. Am häufigsten hatte ich das Bild vor Augen als er mich aus eben dieser Situation auch gerettet hatte. Damals, als ich noch ganz neu hier war hatte auch ein Mann, John, versucht mich zu vergewaltigen, allerdings hatte Negan ihn von mir runter gezerrt und damit das Schlimmste verhindert. Er hatte dem Mann, genau wie ich gerade seinen Schädel zertrümmert und danach standen wir ebenfalls da, er hielt mich in seinen Armen und gab mir Zeit um mich zu beruhigen. 

Plötzlich betrat der Ehemann der Frau, die ich gerade aus den Fängen diesen ekelhaften Schweines befreit hatte das Zimmer. Ich lies sie los und sie klammerte sich weinend in die Arme ihres Mannes. Kurz darauf betrat auch Dwight fassungslos den Raum. Sein Blick wanderte über den mit blutbeschmierten Schläger, zu dem toten Mann und dann zu mir. Ich stand wie erstarrt noch immer an der selben Stelle und starrte nach wie vor mir leerem Blick auf die Leiche. Dwight sah mir sofort an, dass ich mit dieser Situation absolut überfordert war. Er stieg über den toten Körper, kam auf mich zu, nahm meine Hand in seine und geleitete mich aus dem Raum des Geschehens. Dann nahm er mein Gesicht in beide Hände und brachte mich somit dazu ihn anzusehen. Ich realisierte, dass ich ihm genau ins Gesicht blickte und doch sah ich als Einziges den blutüberströmten Schädel vor mir.

"Tris? Hey Tris?" vorsichtig versuchte er zu mir durchzudringen. Ich blinzelte einige Male verwirrt und sah ihn danach wieder an. 

"..Dwight." murmelte ich.

"Kommst du klar? Kann ich etwas für dich tun." er sprach behutsam und mit ruhiger Stimme, immerhin wusste er auch, dass ich diese Situation schon mal am eigenen Leib erfahren hatte. Ich nickte nur stumm, löste mein Gesicht aus seinen Hände und machte mich wortlos auf den Weg zurück in mein Zimmer. Mein schmerzenden Knöchel bemerkte ich dabei gar nicht mehr. Ich sah nur ein Bild vor mir: den zertrümmerten Schädel. Ob es nun der von John war oder der von dem Mann eben, das wusste ich nicht. Aber das spielte auch keine große Rolle für mich. Grausam war dieser Anblick jedes verdammte Mal! Ich schlurfte die kargen Flure entlang bis ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich mein Schlafzimmer betreten konnte. Ich zog die Tür leise ins Schloss und stand einfach nur da und starrte auf die Holztür. Irgendwann lies ich die Klinke los und lief wie ferngesteuert zum Schrank. Ich zog eine Schwarze Jeans mit Löchern an den Knien an und ein schwarzes Oberteil darauf. Ich schlüpfte aus der Hotpants und dem grauen Top und zog mich um. Dann noch Schuhe und natürlich die Lederjacke, die ich von Negan bekomme hatte. Schließlich konnte ich nicht weiterhin mit meinen Schlafsachen im Sanctuary rumlaufen.

Ich spürte, dass ich noch immer absolut neben mir stand, denn mein Blick suchte das ganze Zimmer nach Lucille ab

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Ich spürte, dass ich noch immer absolut neben mir stand, denn mein Blick suchte das ganze Zimmer nach Lucille ab. Und dann fiel es mir ein: ich hatte sie in dem Zimmer der kleinen Familie auf dem Boden liegen lassen. Ich musste sie holen! Ich weiß nicht genau wieso, aber ohne Lucille bei mir fühlte ich mich mittlerweile leer, hilflos und angreifbar. Ich ging zur Tür und als ich nach der Klinke griff merkte ich, dass meine Hand immer noch leicht zittrig war. Jetzt reiß dich mal zusammen Tris! Ich hämmerte mir diese Worte immer wieder in meinen Kopf, denn es passte mir gar nicht wie sensibel ich auf das Geschehene reagierte. Negan kam damit doch auch klar! Allerdings hatte er damit auch schon des Öfteren seine Erfahrungen gemacht und außerdem wusste ich auch gar nicht, wie es ihm das Erste mal ging, als er einen Menschen auf diese Weise getötet hatte. Ich fuhr mir kurz mit meiner Hand über mein Gesicht und drückte dann die Klinke runter. Ich verlies mein Zimmer wieder und setzte mich mit schweren Beinen in Bewegung. Es war fast so als wollten sich meine Beine dagegen sträuben wieder in dieses Zimmer zu gehen aber da musste ich jetzt eben durch! Langsam und immer noch wie in Trance setzte ich einen Fuß vor den anderen und musste mich zu jedem Schritt zwingen. Die Zeit, die ich brauchte um besagten Flur wieder zu erreichen fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Ich versuchte nochmal mich etwas zu sammeln und überwand mich endlich den Raum zu betreten. Mein Blick fiel sofort auf den Blutfleck auf dem Boden. Von der Leiche war keine Spur mehr und die Frau war mit ihrem Mann ebenso verschwunden. Wahrscheinlich hatte sie es in diesem Zimmer auch nicht aushalten können. Zu meiner Verwunderung war allerdings auch Lucille verschwunden. Ich lies meinen Blick suchend durch das Zimmer schweifen aber es änderte nichts. Lucille war weg. Nicht das auch noch. Normalerweise wäre ich jetzt solange durch das komplette Gebäude gelaufen, bis ich Negans Herzenswaffe wieder gefunden hätte. Allerdings fehlte mir gerade jeglicher Antrieb dazu. Also trottete ich den exakt selben Weg wieder zurück und merkte, dass meine Beine in diese Richtung viel lieber laufen wollten. Trotzdem bleib ich einige Male stehen um einige Leute bei ihrer Arbeit zu beobachten. 

Als ich Negan und mein Schlafzimmer wieder betrat machte sich Erleichterung in mir breit. Lucille lag, ohne auch nur einen einzigen kleinen Spritzer Blut, auf dem Sofatisch. Sherry saß daneben und sah mich mit Mitleid und Sorge gefüllten Augen an.

"Ich hoffe es ist okay, dass ich einfach reingekommen bin." durchbrach sie die Stille. Ich aber antwortete ihr nicht, sondern setzte mich mit einem stummen Nicken einfach neben sie.

"Es tut mir so leid, Tris. Das hätte wirklich nicht passieren müssen." sie zog mich in ihre Arme und hielt mich einfach nur fest. Ich wollte weinen aber aus irgendeinem Grund ging es nicht. Im Moment fühlte ich einfach rein gar nichts. Wir saßen einfach nur da und das Schweigen gewann die Oberhand. Aber ich wollte auch gar nicht reden. Es war gut so, wie es war.

Nach einigen Minuten klopfe es leise an die Tür und so als hätte er gewusst, dass ich nicht antworten würde betrat Dwight einfach den Raum. Er lies sich auf dem Sofa nieder, welches uns gegenüber stand und sah mich eine Weile einfach nur an. Ab und an glitten seine Augen hoch zu Sherry als würde er sie um Erlaubnis fragen etwas sagen zu dürfen. Ich bemerkte seine Unentschlossenheit natürlich, löste mich aus Sherrys Armen und sah ihn an.

"Du musst nichts sagen. Ich weiß was du denkst. Aber ich komme schon damit klar. Ich bin schon mit andere Dingen klar gekommen." mit diesen Worte merkte ich, wie sich mein Gemütszustand langsam veränderte. Ich wollte nicht mehr schwach sein! Wie sollte ich Negan befreien oder in dieser Welt für mein Kind sorgen, wenn ich jede Situation so nah an mich ran lies? Ich musste endlich lernen ein Wenig so zu denken, wie Negan es tat. Er hatte bei solchen Ereignissen sogar immer ein Lächeln auf den Lippen und langsam glaube ich, dass er das nicht aus Freude tat, sondern um auch damit klar zu kommen was er gerade tat. Er wollte damit seine schwache Seite verstecken. Vor anderen und vielleicht sogar vor sich selbst. Und genau das musste ich auch lernen! Ich wollte nicht als gefühllos angesehen werden. Ich wollte nur, dass es mir nichts mehr ausmachte, wenn ich jemanden bestrafte, der es mehr als verdient hatte!

"Bist du dir sicher Tris? Wenn du willst können wir einige Tage die Dinge hier regeln. Immerhin wissen die Leute jetzt bescheid." bat Dwight mir an.

"Nein. Das ist meine Aufgabe und ich kann mich nicht wegen jeder Kleinigkeit drücken." winkte ich ab.

"Aber das war keine Kleinigkeit, Tris." ermahnte mich Sherry.

"Schluss jetzt. Ich will nicht weiter darüber reden. Ich bin euch sehr dankbar, dass ihr euch so um mich sorgt und ich werde euch beide auch weiterhin brauchen. Aber wenn ihr aufhören könnten mich zu behandeln als wäre ich total zerbrechlich, dann könnte ich vielleicht auch endlich damit aufhören mich so zu benehmen und zu fühlen." 

Nach kurzem Blickaustausch und Überlegen stimmten die beiden mit einem stummen Nicken zu. "Gut, dann sag bescheid wenn du etwas brauchen solltest." erinnerte mich Dwight nochmals an seine angebotene Hilfe.

"Das mach ich. Ich werde mal nach der Familie sehen." dankbar stand ich vom Sofa auf, nahm Lucille in meine linke Hand und verlies erneut mein Zimmer. Dwight und Sherry folgten mir und verschlossen die Tür hinter sich. Wir liefen zu dritt den Flur entlang und eine Etage weiter unten passierte erneut etwas, womit ich niemals gerechnet hatte. Die Männer und Frauen, die sich gerade auf dem Flur befanden bildeten sofort eine Schneise, gingen vor mir auf die Knie und pfiffen Negans Melodie. Leicht überfordert blieb ich stehen und sah die Menschen eindringlich ein, doch keiner erwiderte den Blickkontakt denn sie starrten alle wie gebannt auf den tristen Flurboden. Hilfesuchend drehte ich mich zu Dwight um doch dieser hob nur lächelnd die Schultern und zeigte mir mit einer Handbewegung, dass ich einfach weitergehen sollte. Verdutzt drehte ich mich wieder zurück und ging wortlos an den knienden Menschen vorbei. Das Gefühl war unbeschreiblich und um ehrlich zu sein machte es mich sehr stolz. Ich hatte es tatsächlich geschafft mir Respekt zu verdienen und war in Negans Fußstapfen getreten. Endlich war ich würdig ihn zu vertreten und das auch in den Augen der Menschen hier. Egal welchen Flur ich betrat, sogar in der großen Halle fingen die Menschen an zu pfeifen und gingen unaufgefordert auf ihre Knie.

"Hat sich wohl schnell rumgesprochen." hörte ich Sherry zu Dwight sagen.

Ich erreichte das neue Zimmer der kleinen Familie und klopfte mit meinem Zeigefinger behutsam an die offen stehende Tür um mich bemerkbar zu machen. Prompt sprang der Mann auf und ging auch auf seine Knie.

"Um Gottes Willen. Bitte, steh wieder auf." forderte ich ihn auf. Das tat er auch, kam auf mich zu und nahm meine Hand in seine.

"Ich weiß gar nicht wie ich dir danken soll. Du hast meine Frau gerettet. Wer weiß, was er ihr sonst noch angetan hätte." stammelte er mit zittriger Stimme. Ich nickte ihm kurz zu und ging dann an ihm vorbei zu seiner Frau. Ich erkundigte mich kurz darüber, wie sie mit der Situation klar kam und bot ihr an, dass sie jeder Zeit zu mir kommen könnte. Sie bedankte sich ebenfalls bei mir und ich verlies den Raum auch bald wieder. Immerhin wollte ich ihr jetzt erstmal ihre Ruhe lassen und sie nicht unnötig an Vergangenes erinnern. Sie hatte es eh schon schwer genug.

Still his property. (Negan FF #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt