Kapitel 9 - Eroberer des Lebens

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𝐄𝐑𝐎𝐁𝐄𝐑𝐄𝐑 𝐃𝐄𝐒 𝐋𝐈𝐂𝐇𝐓𝐒

Ryu fühlte sich, wie in den letzten Atemzügen. Als würde sein Herz jeden Moment seinen finalen Schlag tätigen. Dabei konnte er kaum beschreiben, was er empfand. Luna war ein Drachenteufel. Es war schrecklich. Furchtbar. Trotzdem wollte er es nicht glauben. Sein Inneres schrie, als wolle es Magnus Stimme übertönen.

Er hätte weinen können, aber keine Tränen bildeten sich in seinen Augen, stattdessen blickte er Luna an. Blickte in ihr blasses Gesicht und erkannte einen Ausdruck purer Verzweiflung. Aber das Schlimmste, sie rebellierte nicht, sie wehrte sich nicht gegen seine Worte. Dabei mussten sie falsch sein. Drachenteufel waren schreckliche, furchteinflößende Kreaturen. Sie töteten ohne Skrupel, vernichteten ganze Zivilisationen und quälten diejenigen, die sie als minderwertiges Leben erachteten. Minderwertig, wie die menschliche Rasse. Minderwertig wie er. Ein Drachenteufel hätte niemals seine Kraft damit vergeudet, ihn zu retten. Die Vorstellung eines guten Drachenteufels war genauso absurd, wie der Wunsch, die Toten zurückzubringen.

»Miss Luna«, ertönte Estelles Stimme. Ihre ansonsten gefestigte, respektvolle Tonlage schwankte vor Entsetzten. »Stimmen diese Worte?«

Die Margune, falls sie überhaupt eine war, trat zwei Schritte zurück. Ihre Augen verschwanden im Schatten ihres Haares. Kaum erkannte man die silbernen Perlen, die von ihrem Kinn tropften. Erst als sich ihr Mund verzerrte und ein unkontrolliertes Schluchzen aus ihrer Kehle drang, fiel ihr Deckmantel. Dann kam das Zittern, welches ihren Körper befiel wie ein Parasit. Sie beugte sich nach vorne, als könne sie sich auf diese Weise vor der Wahrheit schützen. In dem Moment wurde es Ryu klar. Er erkannte jene Wahrheit, wenngleich er es noch immer nicht glauben wollte. Luna war ein Drachenteufel. Der achte Drachenteufel. Ein bisher unbekanntes Unheil.

Nachtstern stellte sich schützend vor Luna. Ihre Augen verengten sich und sie zeigte drohend ihre Zähne, als Estelle einen Schritt auf sie zumachte. »Ihr versteht nichts! Luna ist nicht wie ihr Bruder, sie war es nie und wird es nie sein!«

Ryu schluckte, als plötzlich schreckliche Kopfschmerzen seine Schläfe durchzuckten. Der Schmerz war so intensiv, dass er sich durch seinen gesamten Körper zog und seine Sicht für einen kurzen Moment vernebelte. Dann setzte ein Rauschen in seinen Ohren ein. Erst vermutete er, sein eignes Blut, bis er meinte, leise Worte aus den Gewirr zu entnehmen. Worte, die er noch nicht zu entschlüsseln vermochte. Der Anführer schüttelte seinen Kopf und rieb sich über die Stirn. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. »S-Stimmt das wirklich?«

Erneut erfolgte keine Antwort. Die Kopfschmerzen nahmen zu. »Antworte mir, Luna!« Ryu wollte nicht schreien, aber Magnus Worte hatten einen dunklen Keim in seinem Inneren gepflanzt. Einen Keim des Misstrauens. Er war niemand, der andere verängstigen wollte, aber er musste es aus ihrem Mund hören. Er musste einfach hören, dass sie logen. Drachenteufel waren böse. Drachenteufel waren es, die sein Dorf verbrannt hatten. Drachenteufel waren es, die seine Eltern auf grausamste Art ermordet hatten. Sie verdienten nichts anderes als den Tod. Keiner von ihnen durfte leben. Sie mussten sterben. Sie hatten ihm alles genommen und er würde sich an ihnen rächen. Monster verdienten es nicht, in Benela zu hausen.

Luna öffnete ihren Mund und schloss ihn wieder. Dann ballte sie ihre Hände zu Fäusten, doch bevor die ersten Worte von ihren Lippen gleiten konnten, unterbrach sie Nachtstern: »Sie ist euch keinerlei Erklärung nötig. Sie hat euch gerettet! Wir haben euch gepflegt! Was spielt es für eine Rolle, ob sie eine Margune ist oder nicht?!«

»Eine größere als Ihr denken mögt, Lady Nachtstern«, Estelle hob ihre Hände, als würde sie jeden Moment einen Angriff starten, aber sie würde auf Ryus Befehl warten. »Einem Drachenteufel ist nicht zu trauen, aber ich kann Eure Argumente ebenfalls verstehen. Eure Güte beweist, dass Ihr nicht vollständig verdorben seid. Meine folgenden Handlungen werde ich von Lunas Erklärung und von den Befehlen des Anführers abhängig machen.«

Das Leiden der TeufelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt