Prolog

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𝐃𝐄𝐑 𝐓𝐎𝐃 𝐀𝐍 𝐌𝐄𝐈𝐍𝐄𝐍 𝐅𝐈𝐍𝐆𝐄𝐑𝐍

»Diese Welt braucht keinen Schöpfer. Sie braucht lediglich den Tod, denn das Ende knechtet jedes Lebewesen.«

Wie rubinrote Perlen lief das Blut aus Zeros abgerissenen Gliedern. Zerfetzte Sehnen und zerstörte Muskelfasern ragten aus den Stümpfen, während hin und wieder ein Knochen das Gebilde durchbrach. Auf dem Boden verteilte sich eine dickflüssige Masse. Darunter fanden sich ganze Körperteile. Mehrere Finger badeten in dem Lebenssaft, welcher seine weiße Welt in ein wunderschönes Farbspiel verwandelte. Zero konnte es nicht mehr ertragen. Der Blick in das endlose Nichts machte ihn krank. Hinter Gittern verlor er sein Zeitgefühl. Wie viele Jahre war es her, dass ihn der Erste eingesperrt hatte? Hundert? Tausend? Vielleicht sogar Millionen? Aber das spielte keine Rolle, denn die Selbstverstümmelung schenkte ihm einen letzten Funken Freude. Deswegen mochte er die Schmerzen, die seinen Körper durchzogen, wann immer er seine Hände in bestialische Klauen verwandelte.

Die tödlichen Instrumente strichen wie Rasierklingen über seine Haut. Entlang seines Brustkorbs hinterließen sie tiefe Schnitte. Noch bevor er die Krallen absetzte, quoll Blut aus den Wunden und bildete einen Kontrast zu seiner fahlen Haut. Ein leichtes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Schon im Krieg hatte er gespürt, wie sich sein animalischer Instinkt nach Blut und Verderben sehnte. Den Geruch, den ein toter Körper aussonderte, glich dem Duft von Blumen. In solchen Momenten konnte er nicht anders, als Leben zu rauben. Aber letztendlich war das Morden seine Bestimmung. Einzig dem Tod war es vergönnt, den letzten Herzschlag eines Lebewesens zu vernehmen.

Es dauerte nicht lange, bis die Schnitte verheilten. Auch wenn die Schmerzen gewaltig waren, glichen sie letztendlich einem Stupsen. Mit der Zeit hatte sich sein Körper an die Qualen gewöhnt. Die Intensität, die zuvor kaum auszuhalten war, ähnelte nun dem Biss eines Insekts. Auch wenn es Zeiten gab, in denen er seine Existenz verteufelte, er sich verzweifelte wünschte, nie geboren worden zu sein, dank seiner überwältigenden Regenerationskraft, konnte er den Schmerz in vollen Zügen genießen. Sie gaben seinem Leben einen Sinn.

Allerdings wäre es reizvoller, wenn es die Einwohner Benelas wären, die unter seiner Hand litten. Er brauchte die Genugtuung sie schreien zu sehen. Wohlwissend, dass sie ihre gerechte Strafe bekamen.

Erst als die Schmerzen langsam abnahmen und sich neue Glieder formten, erwachte Zero aus seiner Trance. Ein Seufzen verließ seine Lippen, wie eine einsame Melodie, die in der Unendlichkeit des Nichts verschwand. Sein Blick war glasig, hatte schon vor langer Zeit das Hoffen aufgegeben. Da war kein Blau mehr, das die Schönheit des Ozeans gefangen hielt, sondern nur zwei blasse Iriden, die jeglichen Glanz verloren hatten. Zero erinnerte sich nur zu gut an Lucys Worte: Du musst deinen Schmerz nicht leugnen. Deine Augen verraten mir, wie du wirklich fühlst. Sie sind ein Spiegel deiner Gefühle. Auch ein Drachenteufel darf Tränen vergießen.

Mittlerweile glaubte er, dass sie sich getäuscht hatte. Die einzige Emotion, zu der er noch imstande war, war ein mitternachtsschwarzes Loch an Grausamkeit, Rache und Blutdurst. Oder hatte sie doch recht und er bemerkte nicht einmal, wie kaputt er war?

Als er sich ihre Gestalt in Erinnerung rief, sammelten sich Tränen in seinen Augen. Funkelnde Perlen, die ein eigenes Universum an Trauer beherbergten. Zero würde sich nie an das Gefühl gewöhnen, dass sie nicht mehr da war. Dabei wollte er sie nur ein letztes Mal in den Armen halten und ihr erneut zeigen, dass er für sie durch die Hölle gehen würde. Allerdings war die Königin zusammen mit ihrem König gefallen. Zeros schwarzes Herz zersplitterte bei dem Gedanken an sie. Er würde hier und jetzt seine Gedärme herausreißen, seine Knochen zertrümmern und die Haut von seinem Fleisch schälen, nur damit sie auf seinem Flügel saß, während seine Finger über die Tasten eilten. Dann würde eine sanfte Melodie die Atmosphäre schmücken. Das Lied, das er einst für sie geschrieben hatte. Zwar besaß Lucy keinen Sinn für Rythmus und selten traf sie einen Ton richtig, doch in seinen Ohren klang sie wie ein Engel. Wenn sich ihre Wangen rot färbten und sie das liebliche Lächeln auf ihren Lippen trug, schlug sein Herz höher. Solange sie glücklich war, konnte kein Unwetter seine Stimmung verdunkeln. Shinkai, der Drachenteufel des Wassers, hatte einmal gesagt, dass man nur das Positive sah, wenn man jemanden liebte. Aber Zero interessierte das Geschwätz des Wissenschaftlers nicht. Schon gar nicht, wenn Lucy in der Nähe war. Seine Lucy. Das klang so unfassbar gut. Sie war seine Königin, seine einzige Liebe und der Grund, warum die Menschheit bestraft werden musste.

Das Leiden der TeufelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt