Kapitel 1 - Die Silhouette im Schneesturm

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𝐃𝐈𝐄 𝐒𝐈𝐋𝐇𝐎𝐔𝐄𝐓𝐓𝐄 𝐈𝐌 𝐒𝐂𝐇𝐍𝐄𝐄𝐒𝐓𝐔𝐑𝐌

Das Letzte, an das sich Ryu erinnerte, waren zwei blutrote Iriden, bevor endlose Dunkelheit ihn ummantelte. Der Blick des Todes fraß sich in seine Seele wie ein Parasit. Trotzdem wollte er sich nicht wehren. Stattdessen empfang er das Böse mit offenen Armen, während er der verführerischen Stimme lauschte. Sie ähnelte einer lieblichen Melodie, die im Frühling entsprang. Bald gehörten dem schwarzen Engel all seine Gedanken und Ryu wurde zu seinem ergebenen Diener, doch bevor er den Treueeid schwören konnte, entbrannte die Düsternis in feurigem Rot. Die Flammen verschlangen seine Glieder, fraßen sich in sein Fleisch, dennoch hinterließen sie lediglich eine angenehme Wärme. Sie zerrten ihn fort von der ausgestreckten Hand des Todes, als wollten sie unter allen Umständen verhindern, dass sie einen giftigen Pakt schlossen. Schließlich verwandelte sich Ryus Körper in Asche und er glitt zurück in Finsternis.

»Anführer.«

Eine Stimme durchstach die Dunkelheit wie ein fernes Echo. Ryu regte sich leicht. Er kniff die Augen zusammen, als hätte er einen schlimmen Albtraum hinter sich und wandte seinen Kopf von einer Seite zu der anderen. Er wollte aufwachen, doch irgendetwas hielt seine Lider verschlossen. Noch befand er sich in der schützenden Finsternis, welche die Grausamkeit der Welt ausschloss, doch Ryu wusste genau, dass er hier nicht länger verweilen durfte. Draußen brauchte man ihn.

»Anführer? Könnt Ihr mich hören? So sagt doch etwas.«

Die Stimme kam ihm bekannt vor. Doch wem gehörte sie? Sie klang so unfassbar vertraut, doch als er darüber nachdachte, bildeten sich schmerzhafte Stiche in seiner Bauchgegend. Er wusste nicht, woher sie kamen, aber ihre Intensität sorgte dafür, dass ein schmerzerfülltes Keuchen seinen Lippen entfloh. Beinahe automatisch berührten seine Hände die Stelle. Zwischen seinen Fingern fühlte er rauen Stoff. War das ein Verband? Hatte er sich verletzt? Aber er konnte sich nicht daran erinnern, verwundet worden zu sein.

»Estelle. Lass ihn noch etwas ruhen. Er wird seine Augen schon bald öffnen, aber bis dahin benötigt er Ruhe.«

Diese Stimme kannte Ryu nicht, aber den Namen, den sie erwähnte, löste etwas in ihm aus. Estelle. Estelle Bernic. Das war der Name seiner Kameradin. Sie kämpfte schon lange an seiner Seite und sie teilten dasselbe Ziel: die Herrschaft der Drachenteufel zu beenden.

Drachenteufel? Warum wollte er sie stürzen? Ryus Hände lösten sich von den Verbänden. Er musste ihrer Tyrannei ein Ende setzen, weil sie Benela in ihr persönliches Schlachtfeld verwandelten. Sie waren Monster. Bestien, ohne Gewissen, die nach dem Geschmack von frischem Blut gierten. Einer von ihnen brannte sein Dorf nieder und in den Flammen verglühte das Leben seiner Familie. Etwas Ähnliches war auch Estelle passiert.

»Vermutlich habt Ihr recht. Er ist stark, auch wenn er nur ein Mensch ist. Nicht umsonst haben wir ihn zu unserem Anführer gewählt.«

Ryu wollte den Mund öffnen. Er wollte Estelle auf sich aufmerksam machen, doch die Schmerzen waren von einer Welle der Erschöpfung begleitet. Seine Muskeln fühlten sich wie tonnenschwere Gewichte an.

»Wenn du willst, schaue ich noch einmal nach seiner Wunde. Das letzte Mal, dass ich den Heilungszauber angewandt habe, ist schon ein paar Stunden her.«

»Ich wäre Euch ausgesprochen verbunden, Miss Luna.«

Luna? Ryu kannte Niemanden, der Luna hieß. Sie gehörte nicht zu seinen Kameraden, aber wer war sie dann? Anscheinend hatte er es ihr zu verdanken, dass er sich auf dem Weg der Genesung befand. Ryu konnte sich noch bildlich daran erinnern, wie der Tod ihm sein Schwert in den Bauch gerammt hatte. Diese Augen, ohne jegliche Emotion, kalt und gewissenlos. Er würde sie nie vergessen. Aber wie war es dazu gekommen?

Das Leiden der TeufelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt