𝐊𝐑𝐈𝐒𝐓𝐀𝐋𝐋𝐇𝐄𝐑𝐙
Am nächsten Morgen saß Ryu am Feuer. Die Flammen knisterten und züngelten sich um die Kolben aus Holz. Der angenehme Geruch von Fleisch und Gewürzen schwebte durch den Raum, füllte seine Lungen und ließ ihn tief durchatmen. Er rückte mit dem Hocker, auf dem er saß, ein Stück nach vorne und schob ein abgebrochenes Holzstück zurück in die Feuerbrunst. Das Rot erhob sich wie die Wellen am Meer, brach in sich zusammen und verschlang sein Essen gierig. Innerhalb weniger Sekunden schwärzte sich das liebliche Braun.
Normalerweise sollte er sich vor dem Feuer fürchten. Beim Anblick des Infernos sollten seine Knie zittern, er sollte stottern und schluchzen, wie er es vor drei Jahren getan hatte, aber er empfand keine Angst. Die Wärme bedeckte seine Haut wie ein Schleier, schickte einen Schauer über seine Arme, bevor es ihn mit seiner lieblichen Lauten beruhigte. Wenn er die Augen schloss, vernahm er jedes Knacken, jedes Lecken der feurigen Zungen. Dann bildete sich eine genaue Vorstellung der Flammen, als könnte er sie fühlen, als würde wissen, zu welchen Melodien sie tanzten.
Es war ironisch. Ein schlechter Scherz. Normalerweise sollte er das Feuer hassen, aber er tat es nicht. Wenn er in das Zusammenspiel von Rot und Orange sah, empfand er keinen Hass, aber er sah das Gesicht von Oliver. Er starrte in die blutigen Augen desjenigen, der ihm alles geraubt hatte. Der Drachenteufel hatte gelacht. Er hatte gelacht, als er die flehentlichen Schreie seiner Familie vernommen hatte. Der König wollte sie brennen sehen, also hatte Oliver Vulkane erodieren lassen, Feuerwälle über das Land geschickt und jedes Grün, jedes Tier und jeden Menschen zu Asche verwandelt. Kein Wort, kein Satz und kein Gedanke konnte ausdrücken, wie sehr er ihn hasste. Er würde ihn töten. Ohne Rache würden die Seelen seiner Familie niemals die Reise zum Ersten bestehen können. Dabei wartete er mit offenen Armen sie von Schmerz und Trauer zu befreien. Dennoch war Vergeltung nicht alles, was ihn antrieb. Auch wenn er alleine kämpfen müsste, auch wenn er und seine Kameraden die einzigen waren, die sich gegen die Drachenteufel erhoben, würde er voranschreiten. Benela brauchte Rettung.
Das Knatschen der Tür zog ihn aus seinen Gedanken. Luna und Estelle betraten die Hütte. In ihren Händen trugen sie mehrere Körbe mit Beeren, Obst und Pilzen. Sie schienen sich prächtig unterhalten zu haben, denn beide Damen trugen ein seichtes Lächeln, das erst verrutschte, als sie Ryu am Feuer sahen. Augenblicklich stellte Estelle ihren Korb ab und eilte an seine Seite.
»Anführer«, tadelte sie ihn mit gesenkter Stimme, bevor sie verständnislos den Kopf schüttelte. »Ihr solltet euch ausruhen. Eure Wunden sind noch lange nicht verheilt.«
Ryu blickte zu den Bandagen, die seinen nackten Oberkörper bedeckten. Die Wunden schmerzten, aber die Qualen waren nicht unerträglich, schließlich hatte er es geschafft, alleine aufzustehen. Auch wenn ihn die Schwärze zuerst übermannt hatte, so konnte er nach einigen Minuten der Gewöhnung sich entlang der Möbel tasten und zu der kleinen Küche gelangen, die sich neben dem Kamin befand. Schon seit frühster Kindheit hatte er zusammen mit seiner Mutter gekocht. Damals durfte er Teig anrühren und das ein oder andere Gemüse probieren, doch je älter er wurde, desto mehr Arbeit übernahm er. Es war eine angenehme Alternative zu dem harten Schwerttrainig, das er mit seinem Vater durchlief. Er liebte beide Aktivitäten, aber noch mehr liebte er es, wenn er die strahlenden Gesichter seiner Familie sah, nachdem sie von seiner neusten Spezialität gekostet hatten. Es erfüllte ihn mit Stolz. Was würde er geben, um ihnen ein letztes Festmahl zubereiten zu können? Heutzutage kochte er für seine Kameraden und auch ihren Dank hörte er gern, aber niemand würde das leibliche Gefühl ersetzen, mit seiner Familie am Esstisch zu sitzen.
»Ich habe gehört, ihr wollt Reh braten, deswegen dachte ich, ich könnte euch unter die Arme greifen.« Der Schwertkämpfer deutete auf die Fleischscheiben, die in einer Pfanne über dem Feuer brutzelten. Es würde nicht mehr lange dauern, bis man sie essen konnte.
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Das Leiden der Teufel
Fantasy❞Weiß ist eine sinnliche Harmonie aller Farben, ein Spektrum an Reinheit und Frieden, das unter allen Umständen zerstört werden muss.❝ In weniger als fünf Tagen eroberten die Drachenteufel das Land Benela. Mit ihren magischen Fähigkeiten waren sie j...