Kapitel 11

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Alle Blicke folgten dem schmächtigen Jungen, der von einem der Bäume sprang und selbstsicher neben Anastasia landete. So als erwartete er Beifall, drehte er sich einmal im Kreis und breitete die schlanken Arme aus. Dabei flog sein Zopf, der die dunkelblonden Locken bändigen sollte, herum. Einige Strähnen hatten sich gelöst und Anastasia fielen sofort die tiefschwarzen Strähnen, die seine Haare durchzogen ins Auge. Es war ein unechtes Farbspiel, das sie für einen kurzen Moment gefangen hielt.

Ihren Brüdern und Adrik erging es da anders. Während sie den Fremden anstarrte und Nora zurückwich, liefen die Anderen auf den Fremden zu und Isaak und Adrik packten seine Arme und hielten ihn fest. Alex tauchte vor ihm auf und holte einmal aus. Seine Faust traf auf das jungenhafte Gesicht und sie hörte ein unangenehmes Knacken. Als Alex zur Seite trat und sich neben seinen Bruder stellte, konnte Anastasia den jungen genauer ansehen. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und dabei die Augen geschlossen. Das Blut, das aus seiner Nase lief, tropfte auf sein schwarzes T – Shirt, an dem Erde klebte. Die zerrissene Hose und die gräuliche Haut rundeten den Anblick perfekt ab.

Auf Anastasia wirkte er wie ein verwahrlostes Kind. Und dazu kam, dass sich auf seinem schmalen Gesicht ein schmallippiges Grinsen gebildet hatte. Es wirkte, als würde er für einen kurzen Moment die Situation in sich aufnehmen und genießen.

Verwirrt schüttelte Anastasia den Kopf, denn das konnte sie sich nicht vorstellen. Er musste verrückt sein.

„Jetzt da du weißt, dass wir hier nicht scherzen, frage ich dich nur einmal: Wer bist du und wo kommst du her?", stellte Alex klar und Anastasias Bruder war anzuhören, dass er keinen Widerstand erwartete. Sie wusste, dass er nicht zimperlich sein würde, weshalb sie auf die Vernunft des Fremden hoffte, wenngleich sie nicht sicher war, ob er diese Besaß.

Dieser senkte seinen Kopf wieder und fixierte Alex mit seinen Augen. Dann antwortete er:„ Mein Name ist Xeron. Nur Xeron und ich denke doch, dass die Welt Schlimmeres zu bieten hat, als einen Faustschlag von einem Vampir, der denkt er stände über allem."

Oh oh.

Bevor jemand reagieren konnte, drehte sie Alex zu dem Jungen, der äußerlich kaum älter als 16 Jahre alt schien, und seine Faust fand erneut dessen Gesicht. Xeron gab keinen Laut von sich, als der Schlag ihn traf. Stattdessen lachte er. Er lachte so laut und herzlich, dass Alex seine Faust sinken ließ und ratlos zu Isaak sah. Dieser zuckte mit den Schultern und schaute auf Xeron runter, der von ihm und Adrik auf den Knien gehalten wurde.

Anastasia betrachtete den Jungen, dessen krächzendes Lachen den Wald beschallte. Es war ein unangenehmes Geräusch, das seine Erscheinung nur noch einmal unterstrich.

„Hör sofort auf zu lachen. Weißt du denn nicht wer hier vor dir steht?", befahl Alex ihm gebieterisch. Doch statt zusammenzuzucken und den Blick zu senken, schaute Xeron ihm tief in die Augen und Anastasia beschlich das ungute Gefühl, dass Alex gleich sein sehr dünner Geduldsfaden reißen würde. Sollte das passieren, dann würde hier ein blutiges Unglück geschehen.

Endlich löste Xeron den Blick und erwiderte mit einer Stimme, die wie Schmirgelpapier klang:„ Natürlich weiß ich wer du bist, Alexander, König der Vampire. Deine Schwester steht hinter dir. Nichts gegen dich Anastasia, aber ich dachte du ziehst mich mehr in deinen Bann. Und der Typ der mich festhält ist Isaak, euer kleiner Bruder, der bestimmt selber einmal zugeschlagen hätte. Die anderen Beiden sind mir aber tatsächlich fremd."

Xerons Augen blitzten, als würde er erwarten, dass sie beeindruckt dreinblickten. Doch ihre Brüder hatten eine unbewegliche Mine und nur in ihren Blicken spiegelte sich Verwirrung. Es war nicht die Frage, woher Xeron ihre Namen kannte, sondern die wie er ihre Gesichter zuordnen konnte. Anastasia schnupperte in der Luft und der rostige Geruch des Blutes stieg ihr in die Nase. Es ähnelte menschlichem Blut, war aber nicht exakt mit dem gleichen lieblichen Aroma gesegnet. Ihr wurde schnell klar, dass Xeron ein gebissener Vampir war. Das führte dazu, dass sie die Frage wie er die Familie erkennen konnte, immer mehr quälte. Ein gebissener Vampir würde nie nach Rubrum kommen. Dafür war er viel zu unbedeutend.

Nachtgeflüster - Der zersplitterte KontinentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt