Kapitel 28

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Keno stellte sich vor die Anwesenden, die sich entspannt auf dem weichen Waldboden niedergelassen haben. Anastasias saß zwischen ihren Brüdern. Erwartungsvoll sahen alle zu ihrem Gefährten, der breitspurig grinste.

Er hatte seine schwarzen Haare glatt nach hinten gekämmt und den Dreitagebart getrimmt. Dazu hatte er seine weite Kleidung gegen ein enges Langarmshirt und eine Hose aus samtigem Stoff getauscht. Er machte jetzt weniger den Eindruck eines Kriegers, sondern mehr den eines Anführers. Anastasia konnte nicht sagen, dass ihr diese Wandlung nicht gefiel. So wirkte Keno nicht mehr wie ein Feind, sondern ein Verbündeter.

Henry, der ein paar Meter weiter an einen Baum gelehnt stand, trug wie sonst auch seinen langen schwarzen Mantel. Wo Alistair war, konnte sie nur vermuten. Aber sie hoffte, dass er so weit wie möglich entfernt war.

„Wie ihr alle wisst, haben wir einen Sieg gegen die Hexen errungen. In Libertatem haben wir sie an einem kleinen Nebenschauplatz bezwungen und konnten einige von ihnen in unsere Gefangenschaft bringen", begann Keno. Seine Stimme klang laut und streng. Es war klar, dass er keine Kritik an dem, was er sagte, duldete. Anastasia lief ein Schauer über den Rücken, als sie sich an die vielen Leichen der Hexen erinnerte. Es war Leanders Volk, das Keno hinrichtete, ohne mit der Wimper zu zucken.

Keno sah Anastasia direkt in die Augen und hielt ihren Blick gefangen, während er fortfuhr:„ Die Hexen sind ein Volk, dass sich immer als Moralapostel für alle sieht. Mit dieser Art kann man keinen Krieg gewinnen. Also beenden wir ihn, noch bevor er beginnt."

Zustimmendes Gemurmel war zu hören und einige der Hybriden streckten ihre Hände kriegsbereit in die Luft. Anastasias Mund war staubtrocken. Sie sah noch immer in Kenos emotionslose Augen. Er schien sie wissen lassen zu wollen, dass sie das nicht verhindern konnte. Es war, als wollte er ihr die Macht, die er hatte demonstrieren. Schnell senkte Anastasia ihren Blick und betrachtete interessiert den blätterübersäten Waldboden.

„Was soll dieses Theater? Komm endlich auf den Punkt", forderte Alex Keno auf.

Als Keno nicht direkt antwortete, grinste Isaak spöttisch und stützte sein Kinn auf seine Hände. So wie er im Schneidersitz da saß, erinnerte er Anastasia an ein kleines Kind, das auf eine spannende Geschichte wartete.

„Da unser Gast", Keno deutete auf Alex und alle Köpfe drehten sich zu ihm, „äußerst ungeduldig ist, werden wir jetzt schon mit dem Kampf beginnen."

„Was für ein Kampf?"

Anastasia räusperte sich und versuchte so von ihrer kratzigen Stimme abzulenken.

Jetzt war es an Henry vorzutreten. Mit langen Schritten überquerte er den Platz, um ein kleines Stückchen hinter Keno stehen zu bleiben. Anmutig stand er da, die Hände vor dem Körper verschränkt und den Rücken durchgedrückt. Es war nicht zu verkennen, dass er von hohem Stand war. Anastasia nickte beeindruckt. Henry war wirklich eine Augenweide.

Er richtete sich an niemand speziellen als er sprach und doch war ihm alle Aufmerksamkeit sicher:„ Gewisse Traditionen erscheinen uns als Stützpfeiler der Zufriedenheit der anwesenden Hybriden. Sie werden selten umgesetzt und doch erwirken wir damit einen Ausgleich zu den sonstigen Verhältnissen. Dazu zählen allgemeine Ansätze der Länder, wie die allseits bekannten Freikämpfe."

Anastasia strich sich durch die Haare und spielte an einer ihrer Locken. Gebannt wartete sie Henrys kleine Pause ab.

Er klang äußerst angespannt, als er ergänzte:„ Wir verfügen nicht über ein Rechtssystem, das dem der drei Länder gleicht. Es obliegt aber sehr wohl unserer Macht, ein Exempel zu statuieren."

„Es wird Zeit, das man uns als das wahrnimmt, das wir sind: Eine eigene Spezies. Uns gebühren dieselben Rechte, wie den anderen Wesen. Der Kampf, der gleich stattfindet, soll nicht nur eurer Hochwohlgeboren ehren. Vielmehr werdet ihr eurem kleinen Hexenfreund von dem, was ihr gleich seht berichten."

Nachtgeflüster - Der zersplitterte KontinentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt