Kapitel 29

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1 Monat später

Anastasias Finger glitten über das schwarz gefärbte Holz. Es hatte keine einzige Kerbe, so glatt war es von den Dienern geschliffen wurden.

Der Deckel war bereits geschlossen und sie konnte keinen Blick mehr auf ihren Bruder erhaschen. Es war ihre Entscheidung gewesen. Noch einmal konnte sie das Loch, das in seiner Brust klaffte nicht sehen. Sie wollte es auch gar nicht.

„Leb wohl, Bruder", hauchte Anastasia und beugte sich nach vorne. Ihre Lippen trafen auf das Holz und so verharrte sie einen Moment.

Isaak sagte immer, dass sie schon lange tot wären und doch starb Alex einen Tod wie ein Mensch. Sein Leben war in wenigen Sekunden ausgelöscht wurden. Anastasia schluckte. Es kostete sie einige Überwindung sich von dem Sarg zu lösen.

Kurz schloss sie die Augen und drehte sich dann andächtig um. Ihre zitternden Hände verschränkte sie vor ihrem Körper und sie reckte etwas den Kopf. Die Krone, die auf ihrer Haarpracht saß, wog auf einmal so schrecklich schwer. Sie wollte sich wieder zu dem Sarg hinter ihr drehen und sich weiter vor der Welt verstecken, doch dafür war es jetzt zu spät.

Anastasias Blick glitt durch die Reihen von Wesen und auch Menschen, die sich vor ihr aufgebaut hatten. Sie entdeckte Isaak, der genau so wie der Rest der Anwesenden in schwarz gekleidet war. Eine Tradition, die die Vampire von den Menschen übernommen hatten.

Isaak nickte ihr aufmunternd zu und verzog die Lippen zu einem gekünstelten Lächeln. Doch seine steife Haltung verdeutlichte Anastasia nur einmal mehr, was der letzte Monat mit ihnen allen gemacht hatte.

Direkt neben ihm stand eine wunderschöne junge Frau, deren Gesicht von einem schwarzen Schleier verhüllt wurde. Dazu trug sie ein enges schwarzes Kleid. Aber es waren ihre langen glatten Haare, die ihr über die Schultern bis zum Bauchnabel fielen, die das Aussehen perfekt abrundeten. Samira sah aus wie ein gefallener Racheengel. Damit bildete sie zu Isaak, ihrem Gefährten und angetrautem Mann, ein komplettes Gegenteil. Isaak hatte liebevoll den Arm um ihre bebenden Schultern gelegt und Anastasia sah, dass er ihr beruhigend über den Arm strich.

Ihr Blick glitt weiter durch den Saal. Immer wieder sah sie bekannte Gesichter. Es waren menschliche Diener, Vertreter des vampirischen Adels, hochrangige Offiziere und einige Wesen aus dem Volk. Sie alle waren gekommen, um Alex zu verabschieden und die neue Ära mitzuerleben. So selten es geschehen sollte, dass jemand Neues den Thron besteigt, so spektakulär war es.

Anastasia entdeckte Nora in der Masse, die Stur geradeaus sah. Neben ihr stand ein Mann mit grünen Haaren, die ebenso leuchteten wie seine Augen. Auch sein Gesicht war zu einer emotionslosen Maske erstarrt. Anastasia wusste natürlich wer er war: Leanders Leibwächter Kimo, der Nora in Libertatem zu ihrer Familie bringen sollte.

Nur zwei Leute fehlten: Adrik und Leander. Während Anastasia keine Ahnung hatte, wo der stürmische Vampir sich aufhielt, hatte Leander nicht auf ihre Nachricht geantwortet.

Sie schluckte und räusperte sich lautstark. Alle Blicke schnellten zu ihr. Anastasia trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und fixierte einen Punkt hinter der Menge.

„Wir haben uns heute hier versammelt, um unserem letzten König die Ehre zu erweisen. Alexander Jonathan Gry war aber mehr als nur unser König. Er war ein Bruder, ein Freund, ein Anführer und ein Helfer. Unser Volk erlangte durch ihn Stärke und wäre er nicht gewesen, dann wären wir wahrscheinlich in Chaos versunken. Während er große Worte und Reden mied, versuchte er durch Taten etwas zu verändern."

Anastasias Stimme hallte in dem riesigen Thronsaal wider. Sie klang nicht mehr so gebrochen wie vor einigen Tagen. Stattdessen sprach sie klar und stark – ganz so wie eine Königin.

Ebenso selbstbewusst fuhr sie fort:„ Ihr seid nicht nur seine Untertanen gewesen. Ihr wart seine Freunde und seine Familie."

Anastasia wie einige der Männer nickten und die Frauen sich mit Tüchern die Tränen aus den Augenwinkeln tupften. Als sie zu Isaak sah, bemerkte sie, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte und stur auf den Sarg hinter ihr blickte.

„Viel zu früh ist Alexander uns genommen wurden. Mein Bruder wurde hinterrücks ermordet. Keno, Anführer der Hybriden und Rebellen, tötete ihm, indem er einen Pfahl in seinen Rücken stieß, als Alex sich nicht wehren konnte", fuhr sie fort und wurde immer lauter. Ein Raunen ging durch die Menge. An einigen Stellen wurde getuschelt.

Einer der Anwesenden rief:„ Nieder mit den Hybriden."

„Sollen sie alle Brennen, die Mischblütern", stimmte ihm ein Anderer zu. Daraufhin brachen laute Gespräche los. Immer wieder wurden Kampfansagen ausgesprochen. Anastasia stiegen Tränen in die Augen und ein warmes Gefühl machte sich in ihrem Inneren breit. Unauffällig wischte sie sich über die Augen. Es sollte keiner bemerken, dass die Königin sich derart von ihren Gefühlen treiben ließ. Alex war der Maßstab, an dem sie das Volk messen würde und jede Verfehlung, die sie machen würde, könnte sie den Thron kosten. Angefangen dabei, dass ihr Gefährte ihren Bruder umgebracht hat. Das sie ihn abgelehnt hatte, würde an dieser Tatsache nichts ändern. Außerdem war sie sich unsicher, ob die Ablehnung wegen der Kette funktioniert hatte. Vielleicht unterdrückte sie auch solche Aktionen.

Seufzend unterbrach sie die Diskussion, die entbrannt war. Jeder wollte der sein, der die passende Idee hatte, um die Hybriden zu vernichten.

„Alex hätte nicht gewollt, dass ihr euch in einen Krieg begebt, der zu viele Opfer kostet. Er hätte seinen Tod ohne Rache belassen. Aber", Protest wurden laut und Anastasia erhob ihre Stimme:„ Aber ich werde das nicht zulassen. Ich, Anastasia Gry, Tochter von Oskar Gry und Schwester von Alexander Gry, nehme die Ehre und die Last an die Königin der Vampire zu werden. Ich schwöre hiermit, dass meine Taten dem Wohl meines Volkes und nicht dem Meinen dienen. Meine Regentschaft soll Wohlstand und Zufriedenheit für mein Volk bringen. Wann immer ich leichtsinnig oder eigennütz handle, so soll Kain mir einen Weg ohne Laster zeigen. Außerdem schwöre ich, Anastasia Gry, Königin der Vampire, dass ich den Tod meines Bruders Alexander nicht ungestraft lasse. So lange sein Mörder auf dieser Welt wandelt, will ich nicht ruhen oder mich zu meinem eigenen Glück niederlassen. Dies schwöre ich so wahr ich hier stehe und sollte ich diesen Schwur jemals brechen, dann soll mich die Sonne verbrennen."

Anastasia hielt die Luft an. In dem ganzen Raum war es toten Still und nur der Herzschlag der Anwesenden war zu hören. Einen kurzen Moment verharrten alle. Anastasia war sich sicher, dass sie eine derartige Kriegsansage nicht erwartet hatten. Sie hielten sie für schwächer als Alex.

Sie hörte ein leises Klatschen, das immer lauter wurde und in einen tosenden Applaus mündete. Der Saal schien zu beben und vor Anastasias Augen verschwammen die lächelnden Gesichter. Sie ballte die Hand zu einer Faust. Jetzt musste sie sich zusammen reißen. Also reckte sie ihr Kinn in die Höhe und schaute zufrieden zu Isaak, der ihr ebenfalls absolvierte.

Es war so weit. Eine neue Ära war angebrochen.

Anastasia wusste nicht, was jetzt kommen würde. Aber nach dem Ball am heutigen Abend, war jedem eines klar:

Sie war die neue Königin der Vampire und sie würde den Tod ihres Bruders um jeden Preis rächen.

The End

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Hallo ihr Lieben,
das Buch ist zu Ende... Zumindest fürs Erste. Auf Anastasia wartet eine neue Prüfung und vor allem ein neues Abenteuer. Kann sie sich als Königin beweisen? Gelingt ihr ihre Rache? Und für wen schlägt ihr Herz am Ende? All diese Fragen erwarten euch im nächsten Band.
Ich freue mich sehr über Kritik, Wünsche oder Votes. Also immer her damit.
Bis dann,
Eure Celia :)

Nachtgeflüster - Der zersplitterte KontinentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt