Kapitel 22

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Anastasia war wie in einem Tunnel. Alles was sie sah war das wunderschöne, männliche Gesicht vor ihr. Sie erkannte das spitze Kinn und die unverschämt hohen Wangenknochen. Die Gesichtskonturen wirkten nicht so hart wie Anastasia es von den meisten Männern gewohnt war. Stattdessen erkannte sie feine Gesichtszüge. Sie glaubte ihr eigenes Seufzen zu spüren, als sie wie in Trance ihre Finger ausstreckte und über den gepflegten Dreitagebart strich. Sie spürte, dass er das Gesicht an ihre Handfläche legte. Also verharrte sie, unfähig sich weiter zu bewegen. Ein Kribbeln breitete sich auf ihrer Handfläche aus und begann ihren Körper zu durchströmen. Sie spürte eine heiße Berührung auf ihrer Hand. Es war als würden kleine Flammen auf ihrer Haut tanzten, die sie aber nicht versenkten. Es war als würde sie die Sonnenstrahlen spüren. Sie rang nach Luft. In ihr bahnte sich der Gedanke an, dass sie ihn endlich gefunden hatte: Ihren Sommer.

„Anastasia was ist mit dir?"

Ruckartig zog Anastasia ihre Hand weg und riss die Augen auf. Erst jetzt realisierte sie wo sie war und vor allem mit wem sie hier war. Unsicher stolperte sie einen Schritt nach hinten und brachte Abstand zwischen sich und den Hybriden. Immer noch spürte sie die angenehme Wärme auf ihrer Haut, die von seiner Berührung ausgegangen war. Sie stockte.

Stotternd fragte sie:„ Was hast du mit mir gemacht? Hast du mich verhext?"

Panik schwoll in ihrer Stimme an und sie blickte sich um auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit. Doch sie wusste nicht, ob sie wirklich rennen konnte. Alles in ihr schrie danach sich wieder Keno zu nähern und ihn weiter zu berühren.

Dieser machte einen Schritt auf sie zu und hob beschwichtigend die Hände, während er antwortete:„ Was ich getan habe? Ich habe dir dieses schreckliche Amulett von der Haut gerissen, dass drohte dich in Flammen zu setzen."

Anastasia griff sich an ihren Hals. Ihre Hände fanden nichts. Das Amulett und der damit einhergehende Schutz waren fort. Sie wich noch weiter zurück. Ihre Füße glitten durch das hohe Gras, doch ein Busch hinter ihr versperrte ihr den Weg.

„Dazu hattest du kein Recht."

Anastasia sah Keno anklagend an. Sie fixierte das Amulett, das jetzt nutzlos neben ihm auf dem Boden lag. Es musste aus seiner Reichweite bleiben, da war sich Anastasia sicher. Doch noch wichtiger war, dass sie es wiederbekam. Die Hitze, die ihren Körper durchflutete und die Sehnsucht nach Kenos Berührung waren Gift für ihr Vorhaben.

„Dazu hatte ich kein Recht.", Keno lachte spöttisch auf.

Er machte ein paar Schritte auf sie zu und kam ihr damit gefährlich nahe. Sein Geruch stieg in Anastasias Nase und sie war sich sicher, dass sie noch nie etwas derart schönes gerochen hatte. Er roch nach Wald und etwas anderem, dass Anastasia nicht kannte. Doch sie wusste sofort, dass sie ihn niemals wieder vergessen wurde. Seine Brust gelangte in ihr Blickfeld und als sie in sein ernstes Gesicht war, hörte sich auf einmal die Welt auf zu drehen.

„Ich bin dein Mate und ich habe jegliches Recht dich vor allen Gefahren zu beschützen.", erklärte er ihr wütend.

Bei seinem harschen Tonfall zuckte sie zusammen und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Anastasia senkte den Blick auf den Boden. Auf gar keinen Fall wollte sie, dass Keno von ihrer Reaktion mitbekam. Doch dieser legte fast schon zärtlich eine Hand unter ihr Kinn und zwang sie somit ihn anzusehen. Sein Gesicht verschwamm vor ihren Augen und auch wenn Anastasia sich dagegen sträubte, beruhigte seine Berührung sie. Sie erfüllte sie mit Zufriedenheit und trieb die Tränen, die feucht über ihre Wangen liefen zurück.

Keno hatte viele Fragen, das konnte Anastasia sehen. Doch statt auch nur eine von ihnen zu stellen, zog er sie liebevoll in seine starken Arme und drückte sie fest an seine Brust. Damit ließ er ihr keine Chance zurückzuweichen.

Nachtgeflüster - Der zersplitterte KontinentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt