Kapitel 10

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Adrik hatte nichts mehr gesagt. Vielleicht war das der Grund, wegen dem auch Anastasia geschwiegen hatte. Doch die Wahrheit war, dass sie düsteren Gedanken nachhing. Gedanken, die sie sonst heimsuchten, wenn sie über das menschliche Leben nachdachte. Über ein Leben, in dem die große Liebe kam wie eine riesige Welle, die alles mitreißt und dir trotzdem einen Ausweg lässt. Die Liebe der Menschen war wunderschön, sie liebkostete die Seele, erfreute das Herz und brachte die Haut zum Kribbeln. Es soll das schönste Gefühl im Leben sein, wofür die Menschen schon oft gemordet hatten.

Anastasia selber hatte aber ein anderes Gefühl erlebt. Es ließ sie nicht atmen oder denken. In ihrem Kopf sammelten sich Pläne und sie zerplatzten. Ihr Leben lang hatte sie auf ihren Gefährten gewartet und gehofft, dass sie ihn schnell findet. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass sie diese Verbindung als einen Zwang empfinden würde. Ihr war nie in den Sinn gekommen, dass sich ihr Gefährte als schlimmster Alptraum enthüllen würde.

Ihr Gegenüber lachte. Das angenehme Geräusch riss Anastasia zurück in die Gegenwart und peinlich berührt bemerkte sie, dass sie Adrik unverhohlen angestarrt hatte. Dieser hatte seinen Kopf wieder leicht schräg gelegt und der Schalk blitzte in seinen Augen. Ohne ihn zu kennen, wusste Anastasia, dass gleich eine dumme Bemerkung folgen würde.

„Deine schönen Augen fühlen sich zwar wunderbar auf meiner Haut an, aber ich denke, dass dies ein schlechter Zeitpunkt ist, um sich mit derlei Dinge aufzuhalten. Wenn du zu einem späteren Zeitpunkt aber mehr sehen möchtest, wäre ich nicht abgeneigt. Trotzdem gibt es derzeit Wichtigeres. Ich konnte bereits erfahren, dass dein wundervoller Gefährte unseren eh schon zerbrechlichen Frieden mit allem und jedem zerstören will. Du kannst ihn nicht aufhalten, so lange du mit mir beschäftigt bist, Anastasia."

Auf Adriks Gesicht schlich sich ein schiefes Lächeln und Anastasia runzelte die Stirn.

Sie überlegte, was seine Worte zu bedeuten hatten. Wenn sie die war, die Keno aufhalten musste, dann bräuchten sie weit mehr als ein kleines Wunder. Immerhin hatte sie keine Ahnung wie gut das Amulett wirken würde, wenn sie Keno gegenüberstand und noch weniger wusste sie, wie sie ihn finden sollte.

Ein Schrei durchbrach die Stille und Anastasia und Adrik sprangen synchron auf. Während sie selbst sich panisch umsah, lehnte sich Adrik nach vorne und verlagerte das Gewicht auf seinen linken Fuß.

Anastasia, die diese schnelle Bewegung beobachten konnte, erkannte sofort, dass er ein begnadeter Kämpfer sein musste. Ihr Blick glitt über das Gelände und als sie zu einer Tanne blickte, die sich im leichten Wind wiegte, erkannte sie Nora.

Die Hexe muss das Feuerholz fallen gelassen haben, als sie Anastasia erblickt hatte. Es lag vor ihren Füßen verstreut und Nora hatte ihre Hände vor ihren Mund geschlagen.

So schnell sie konnte lief Anastasia los und innerhalb weniger Sekunden hatte sie den Abstand zu ihrer Freundin überbrückt. Die beiden Mädchen fielen sich in die Arme und Anastasias Herz machte einen kleinen Satz. Sie fühlte, dass Nora sich an sie klammerte und ihre Hände sich in den weichen Stoff von Anastasias Kleid krallten. Diese erwiderte die Umarmung vorsichtig. Die Angst, dass sie Nora mit ihrer Stärke verletzen könnte, hatte sie nicht abgelegt in all den Jahren.

Ein glückliches Lächeln schlich sich auf Anastasias Gesicht und sie sog Noras Geruch ein. Es war tröstlich den waldigen Duft zu riechen, der sich in ihren Haaren verfangen hatte und den üblichen blumigen Duft überdeckte.

Bestimmt drückte Anastasia ihre Freundin etwas von sich und schaute direkt in ihre grünen Augen, die sie wässrig musterten.

Ungläubig schaute Nora sie an und Anastasia wollte gerade etwas sagen, als sie hinter Nora zwei große Gestalten entdeckte, die ebenfalls überrascht zu ihr schauten.

Nachtgeflüster - Der zersplitterte KontinentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt