Kapitel 24

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„Danke.", sagte Anastasia und klang dabei ehrlich aufrichtig.

Sie spürte den Stein auf ihrer Haut liegen, der seinen schon vertrauten Platz einnahm. Ihr Blick traf den von Henry, der ihr aufmunternd zulächelte.

Nachdem sie aus einer erneuten Ohnmacht aufgewacht war, hatte Keno ihr den kleinen blauen Edelstein, den sie von Adrik erhalten hatte, wiedergegeben. Anastasia konnte nur Vermutungen anstellen, warum er dies tat. Aber sie war sich sicher, dass bisher keiner hinter die Bedeutung gekommen war.

Sie sah wieder zu Henry, der sich neben Keno gestellt hatte. Die Hände verschränkte er vor dem Körper, so wie es Alex oft tat.

Bei dem Gedanken an ihren älteren Bruder schluckte Anastasia schwer. Es waren erst wenige Tage vergangen, seit sie getrennt worden waren und sie wusste, dass ihre Brüder alles unternahmen, um sie zu retten. Doch die Zeit verstrich zu langsam und Anastasia fürchtete sich vor dem was noch kommen würde. Die Gefahr doch noch ihrem Gefährten zu verfallen, war zu real. Jetzt trug sie den Edelstein wieder, was hieß, dass sie ihre Reaktion auf Keno in doppelter Härte war nahm. Die Bindung hatte ihre Sinne vernebelt und ihr Herz verwirrt. Das war verdammt gefährlich und das wusste sie auch.

„Lass uns bitte kurz allein.", bat Henry auf einmal Keno und Anastasia sah zu ihrem Gefährten auf. Dieser kniff die Lippen zusammen, nickte aber widerwillig. Anastasia war verwirrt. Das er einfach ging, obwohl er über Henry stand, war seltsam.

Henry ging jetzt zu ihr und sagte auffordernd:„ Gehen wir ein paar Schritte."

Anastasia nickte.

Tausend Gedanken rasten durch ihren Kopf. Keno hatte noch nicht mit ihr gesprochen, seit sie versucht hatte ihn abzulehnen. Vielleicht plante er etwas. Ja, das tat er ganz bestimmt.

Anastasia erschauderte. Ein kleiner Schauer lief ihr bei Kenos Drohung über den Rücken. Ihr würde er niemals etwas tun können, weil er die Bindung im Gegensatz zu ihr wahrnahm. Doch ihre Brüder schwebten in einer großen Gefahr. Wo auch immer sie waren und was auch immer sie taten, Anastasias einzige Hoffnung war, dass sie inzwischen Verbündete gefunden hatten. Denn Feinde hatten sie wahrlich genug.

Neben ihr räusperte sich Henry und Anastasia sah zu ihm. Er war nur wenig größer als sie selbst und doch strahlte er etwas majestätisch aus. Es erinnerte sie an Alex. Auch wenn er ihr Bruder war, dann war er doch vor allem ihr König.

„Ich werde dich jetzt etwas fragen. Es mag sehr unverblümt sein, doch es brennt mir schon seit der Situation im Wald auf meiner Seele.", kündigte Henry an.

Anastasia griff in ihre Haare und zog eine der roten Locken lang.

„Hasst du ihn?"

Anastasia hielt in ihrer Bewegung inne. Ihr Atem stockte kurzzeitig. Auf diese Frage war sie nicht vorbereitet gewesen. Keno hatte viel Schlimmes getan. Er hätte ihren Hass verdient. Doch hasste sie ihn wirklich?

Anastasia horchte in sich hinein. Ihre Gefühle waren widersprüchlich. All die schrecklichen Dinge die Keno getan hatten, prasselten auf sie ein. Er hatte ihrer Familie und ihrem Land den Krieg erklärt, ein kleineres Dorf der Hexen ausgelöscht und wer weiß wie viele weitere Leben er auf dem Gewissen hatte. Aber die hatte auch sie selbst. Alex und Isaak um ein vielfaches mehr.

Wieder stockte sie. Versuchte sie gerade wirklich Kenos grausame Taten zu entschuldigen?

Er hatte sie von ihrer Familie getrennt, sie gedemütigt und bedroht.

Anastasia zögerte. Langsam antwortete sie:„ Er ist mein Gefährte."

Henry schüttelte seinen Kopf und der kleine Zopf in seinem Nacken wackelte kurz hin und her.

Nachtgeflüster - Der zersplitterte KontinentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt