33. Eifersucht

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Ei.fer.sucht
Substantiv, feminin [die]
starke, übersteigerte Furcht, jemandes Liebe oder einen Vorteil mit einem anderen teilen zu müssen oder an einen anderen verlieren

Ich sehe Ethans orangefarbenen Pick-Up schon von weitem auf dem Parkplatz stehen. Es hat sich nicht richtig angefühlt, so früh schon wieder zu gehen, weswegen ich Ethan eine Nachricht geschrieben habe, dass ich noch länger mit meiner Mom zusammen im Krankenhaus bleibe, und dass er mich demzufolge erst später abholen muss.

Inzwischen ist es halb sechs. Ich öffne in dem Moment die Beifahrertür, als Ethan sich gerade am Telefon verabschiedet. Ich frage nicht, wer es war, da ich irgendwie schon weiss, dass er mit Taylor telefoniert hat. Er setzt ein Lächeln auf. "Hey", sagt er. "Wie geht es ihm?"

"Sein Zustand hat sich nicht verändert. Man kann nicht mehr tun, als abwarten, wann er aufwacht, ob er überhaupt aufwacht." Ich schlucke schwer. Schon nur bei dem Gedanken, Michael wird nicht wieder aufwachen, könnte ich direkt wieder anfangen zu weinen. Da ich das aber nicht will, frage ich Ethan schnell, wie sein Tag war. "Ich hatte eine Verabredung mit einem Freund aus dem College. Es ging um das Projekt, welches wir noch vor Juli abgeben müssen. Ich konnte das Treffen nicht verschieben, leider. Und später bin ich zu meinen Eltern gefahren und habe Dad in der Werkstatt geholfen."

Erst als er das sagt, bemerke ich die blauen Arbeitshosen und die Ölflecken, auf dem dunkelgrauen T-Shirt. Ethan startet den Motor und fährt los. "Du hilfst deinem Dad noch oft aus, oder?", fragt ich. Ethan entgegnet: "Ich helfe ihm nicht nur aus, ich arbeite auch dort. So verdiene ich mein Geld. Aber heute hatte ich eigentlich keine Schicht bei ihm geplant, sondern bin nur spontan für einen Kollegen eingesprungen."
"Achso", ich nicke.

Ethan räsupert sich nach einer kurzen Schweigeminute. "Ich war einkaufen. Wenn du willst kann ich uns nacher was kochen." Ich zögere, als ich an die Worte meiner Mom dachte. Wir sollen niemanden verletzten. "Ich weiss nicht, ob Taylor das so gut fände", rutscht es aus mir heraus.

Ethans Kopf dreht sich in meine Richtung. "Mach dir darüber jetzt mal keine Gedanken, Kasia. Du machst gerade eine schwere Zeit durch, und wenn du in dieser Zeit Gesellschaft brauchst, dann ist das verständlich." Er fügt etwas leiser hinzu: "Und wenn es meine Gesellschaft ist, die du brauchst, dann ist das auch völlig okay. Wirklich. Ich bin da."
Obwohl ich an Taylor denke, ist mir klar, dass es in diesem Moment nicht um sie geht, sondern um mich. Das mag zwar egoistisch klingen, aber ein Stück weit sind wir das doch alle.
Deswegen muss ich jetzt auch nicht darauf achten, was das Beste für Taylor ist, sondern was das Beste für mich ist. Und das ist in diesem Moment Ethan. Nicht nur in diesem Moment, um ganz ehrlich zu sein.

"Was kochst du denn?", frage ich deshalb und Ethan scheint es verstanden zu haben. "Spinatlasagne. Die mochtest du immer so gerne", antwortet er. "Die mag ich noch immer." Ich lächle und Ethan erwidert es.

Ich habe nicht mitgezählt, wie oft Ethan schon für mich gekocht hat, aber ich weiss, dass es ziemlich oft gewesen sein muss. Ethan kocht unheimlich gerne und hat sich ständig an neuen Rezepten versucht, die ich dann probieren durfte. Die Vorstellung, dass Ethan also erneut für mich kocht, gefällt mir also sehr. Vorallem, wenn er Spinatlasagne zubereitet.

Ich helfe ihm dabei die Einkäufe hochzutragen und diese in seinem kleinen Kühlschrank zu versorgen. Mein Angebot, ihm beim Kochen zu helfen, nimmt er überraschenderweise an. Er reicht mir zwei grosse Zwiebeln, die ich kleinhacken soll. Ich erinnere mich an den Trick, den mir Nick verraten hat, dass man Zwiebeln, Brett und Messer unter kaltes Wasser halten soll. "Was machst du da?" Ethan wirft mir einen skeptischen Blick zu. "Das habe ich von Nick", antworte ich. "Er meinte, davon würden die Augen nicht so tränen."

"Aha", macht er, als er den Blick von mir abwendet und damit fortfährt die Tomaten in dünne Scheiben zu schneiden. "Wie lange kennst du Nick denn schon?"
"Seit ich im Allure arbeite", antworte ich. "Wir arbeiten zusammen." Ethan schweigt, doch ich weiss genau, was er gerade denkt. Seufzend lege ich das Messer beiseite und drehe ich in seine Richtung. "Nick ist schwul. Falls dir das hilft."

"Wobei sollte mir das helfen?" Er versucht sich nichts anmerken zu lassen, doch das funktioniert bei mir nicht. Das hat es noch nie. "Ich habe deinen Blick gesehen."
"Welchen Blick meinst du?" Ethan weigert sich in meine Richtung zu schauen, sondern hat seine Augen starr auf die Tomaten gerichtet. "Deinen eifersüchtigen Blick."

Er schnaubt. "Ich weiss nicht, wovon du sprichst." Und ob er das weiss. Aber wenn er es nicht zugeben will, verstehe ich das. Es wäre unfair Taylor gegenüber.
Der Blick, den er Nick und mir zugeworfen hat, habe ich erst zwei Mal gesehen. Einmal, als ich mich vor ein paar Jahren mit irgendeinem Typen auf einer Party unterhalten habe, und das andere Mal auf meinem Abschlussball, als ich mit einem Freund aus meiner Klasse getanzt habe.

Ethan ist eigentlich gar nicht eifersüchtig. Er hat mir auch nie verboten mich mit einem Freund oder so zu treffen, weil er gewusst hat, dass ich sowieso nicht auf ihn hören und mir etwas von ihm verbieten lassen würde.
Dass er bei Nick allerdings genauso reagiert hat, bestärkt mich ein klein wenig in dem Glauben, dass für Ethan die Sache mit uns auch noch nicht ganz beendet ist.

Die Spinatlasagne schmeckt wie erwartet fantastisch. Während wir essen, frage ich ihn ein wenig über das College aus und er erzählt mir von dem Projekt an dem er gerade arbeitet. Ein Modell für ein Einkaufszentrum. Im Hintergrund läuft leise das Radio.
"Was hast du vor zu studieren?" Ethan giesst sich erneut ein Glas Rotwein ein. Es ist so alltäglich, was wir hier machen. Würde man die Umstände, in denen wir uns gerade befinden, ausser Acht lassen, so wirkt es wie ein ganz normaler Pärchenabend. Nur, dass wir kein Pärchen sind.

"Ich habe mich noch nicht entschieden. Ich schwanke noch zwischen Geophysik und Umweltwissenschaften. Vielleicht aber auch Kunst." Er nickt anerkennend. "Ich wollte mich eigentlich dieses Wochenende nochmal schlau machen und mich informieren, deswegen war ich auch hier, weil ich dieses Ladekabel gebraucht habe."

Der Appetit ist mir augenblicklich vergangen, als ich plötzlich dieses Lied in meinen Ohren wahrnehme.

On my, on my pride
I don't know, I don't know where we could start
The bombs they were throwing, we should've know
Something would die
I look out my window
Watching my world blown up from my eyes*

Meine Schultern sacken nach unten und da ist wieder dieser starke Druck auf meiner Brust. Meine Lippen beginnen zu beben, ehe sich meine Augen mit Tränen füllen. Ich versuche sie zu unterdrücken, doch ich scheitere kläglich. Ethan, der meine Reaktion bemerkt hat, legt seine Gabel beiseite und rückt mit seinem Stuhl ein Stück näher an mich heran. Er umfasst meine Hände, die reglos in meinem Schoss liegen. "Hey, alles gut", sagt er schnell und sanft. "Sag mir, was los ist."

Diesmal ist es kein bitterliches Weinen, wie es sonst immer gewesen ist. Ich weine mehr oder weniger lautlos, ich japse nicht keuchend nach Luft, während mein ganzer Körper zittert. Ich bleibe ruhig. "Es ist sein Lieblingslied", flüstere ich. Sofort steht Ethan auf, um das Radio auszuschalten. "Besser?", fragt er. Ich antworte nicht. Ich kann nicht. Sobald ich meinen Mund öffne, so würde es aus mir herausbrechen und ich will mich nicht erneut so vor Ethan zeigen.

Klar, er hat mich schon oft weinen gesehen und es gab eine Zeit, da musste ich mich nicht schämen, ich musste mich nicht verstellen, da ich wusste, Ethan würde mich nicht verurteilen. Diese Zeit ist allerdings vorbei und obwohl ich mich ihm nahe fühle, ist da immer noch diese Distanz zwischen uns.

Ethans Daumen streicht sanft auf meinem Handrücken auf und ab. "Wie kann ich dir helfen?", fragt er leise. Mein Blick fällt auf sein Gesicht und wandert von allein auf seine Lippen, dann wieder in seine Augen. Ich weiss, wie Ethan mir helfen kann, doch das kann ich unmöglich laut aussprechen. Ich hasse mich selbst dafür, und ich weiss auch, dass das, was zwischen uns gerade passiert, nicht in Ordnung ist. Das bin nicht ich. Ich würde niemals andere mit Absicht verletzen. Dazu bin ich zu hilfsbereit und zu gutmütig.

An seinem stummen Gesichtsausdruck kann ich ablesen, wie sehr er mit sich kämpft. Seine flackernden Augen wirken verzweifelt. Er scheint mit sich zu ringen, denn er will es auch. Die Gedanken an Michael sind verschwunden, denn ich denke nur noch an Ethan. An das was war, und an das was sein könnte.

Er beisst sich leicht auf seine vollen Lippen. Dann seufzt er entschlossen und murmelt etwas unverständliches, ehe er seine Hand von meiner löst und sie an meinen Nacken legt. Er beugt sich gleichzeitig vor, wie er mich an sich zieht, um seine Lippen auf meine zu legen.

*Bridges - Rebecca Ferguson ft. John Legend

Lovely DarlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt