27. Pancake

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Pan.cake
Substantiv, maskulin [der]
besonders in Nordamerika zum Frühstück verzehrte Art des Pfannkuchens

Ich sitze in einem gemütlichen Café und warte auf Joanna, die sich um einige Minuten verspätet. Wir haben uns für heute Morgen zum Frühstück verabredet, damit wir endlich quatschen können. Es gibt einige Fragen, die ich ihr gerne stellen würde.

Wie konnte mir nur entgehen, dass da etwas zwischen Harry und Joanna läuft? Oder besser gesagt, lief. Ich habe so viel Zeit mit ihr zusammen verbracht und wir haben etliche Gespräche über private Dinge geführt. Sie ist meine Freundin und ich würde sogar sagen, dass auch Harry mein Freund ist, obwohl ich nicht so viel Zeit mit ihm verbracht habe und wir keine etlichen Gespräche über unser Privatleben geführt haben.

Irgendwie kränkt es mich, dass sie mir nichts davon erzählt hat. Doch dann erinnere ich mich, dass ich ihr auch nichts über die gemeinsame Vergangenheit mit Ethan erzählt habe. Womöglich hat jeder hier sein eigenes, kleines Geheimnis.

Als Joanna gestern aus der Wohnung gestürmt ist, hat sich Harry ohne ein weiteres Wort zu sagen, in seinem Zimmer verkrochen. Vermutlich um sich auszunüchtern. Taylor hat ihn noch mit Fragen gelöchert, und mit der Faust an die Zimmertür gehämmert, doch sie hatte keine Antwort von ihm bekommen. Ich habe leider keine Zeit gehabt, mich weiter damit zu beschäftigen, da ich arbeiten musste. Doch bevor ich zu meiner Schicht antrat, habe ich Joanna eine SMS geschrieben und ihr versichert, dass ich ein offenes Ohr für sie habe. Sie schrieb, dass sie einige Nächte bei einer Freundin schlafen, sich aber gerne mit mir treffen würde.

Die Eingangstür zum Café öffnet sich mit einem Klingeln, als Joanna in einem blauen Kleid eintritt. Sie lässt ihren Blick umherschweifen und bleibt an meinem Winken hängen. Sie lächelt gequält, als sie auf mich zukommt. "Hi", begrüsse ich sie und stehe auf um sie in eine Umarmung zu ziehen, die sie erwidert, wenn auch schwach.

"Wie geht's dir?" Sie lässt sich neben mich sinken. "Ach naja", meint sie, "du weisst schon." Ich nicke verständnisvoll. "Und du fühlst dich wohl bei Molly?"
Joanna bejaht. "Ich schlafe momentan halt auf dem Sofa, aber das ist in Ordnung. Sie meinte, ich kann so lange bleiben wie ich will."
"Und wie lange willst du?" Joanna kommt nicht mehr dazu mir zu antworten, weil die Bedienung zu uns an den Tisch tritt, um unsere Bestellung aufzunehmen. Erst als sie wieder ausser Hörweite ist, beantwortet sie meine Frage. Dabei wirft sie ihre Braids schwungvoll über die Schulter. "Ich weiss nicht. Ich will eigentlich schon gerne nach Hause kommen, ich habe nur Angst vor der Konfrontation mit Harry. Mit der Begegnung, besser gesagt. Harry und ich waren ja nicht zusammen. Deswegen kann ich ihm eigentlich gar nicht böse sein. Es fühlt sich nur so scheisse an, weisst du?"

Ich überschlage meine Beine über dem Tisch und stütze meine Ellbogen ab. "Aber wie lange ging dass denn zwischen euch? Du hast immer gesagt, man würde ihn nicht oft sehen, er lebt zurückgezogen, ist nicht gerne unter Leuten, daher eher ein Einzelgänger." Sie schnaube. "Das war er auch." Ich runzele die Stirn. "War?"

"Naja", sie sucht schulterzuckend nach den richtigen Worten. "Ich wusste auch nicht, was mit ihm los war, dass er plötzlich so viel mit uns ass und Zeit mit uns verbrachte. Deswegen habe ich einfach mal nachgefragt."

"Und wann war das?" Joanna beisst sich auf die Lippe und legt die Stirn in Falten. "Zwei Wochen nach deinem Einzug, ungefähr?" Sie klingt unsicher, so, als würde sie mich danach fragen. Meine Augen weiten sich. "So lange schon?" Ein Nicken ihrerseits bestätigt ihre Aussage. Ich lehne mich zurück, doch ehe ich etwas sagen kann, kommt die Bedienung zurück an unseren Tisch und stellt unsere Bestellungen vor uns ab. "Wow, das ging aber schnell", staunt Joanna.

Die kurzhaarige Bedienung lächelt. "Ist ja nicht viel los", sagt sie, ehe sie sich wieder von uns entfernt. "Und wie kam es dann, dass was zwischen euch lief?"
Joanna nippt an ihrem Cappuccino. Es kommt mir so vor, als würde sie extra lange daran nippen, damit sie sich ihre Antwort erst noch zurecht legen kann. "Ist einfach so passiert." Sie vermeidet es mir in die Augen zu sehen.

"Komm schon", ich stupse sie leicht in die Seite und lächle sie aufmunternd an, ehe ich nach einem der Pancakes greife. "Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen."

Sie seufzt, ehe sie schliesslich nachgibt. "Ich bin nachts einmal aufgewacht, weil ich Geräusche aus der Küche gehört habe", beginnt sie. "Da hast du noch nicht lange bei uns gewohnt. Ich bin also aufgestanden, um nachzusehen. Und dann war da ein betrunkener Harry, der versucht hat sich ein Glas Wasser einzuschenken, aber einfach alles daneben gekippt hat. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Ich wollte ihn ins Bett bringen, aber er wollte unbedingt noch duschen." Sie schluckt.

"Und dann bist du mit unter die Dusche", schlussfolgere ich, doch Joanna schüttelt sofort den Kopf. Ihre Braids wirbeln leicht umher. "Nein, nicht direkt. Aber ich habe ihm geholfen. Ich konnte ihn doch nicht alleine unter die Dusche schicken, der wäre noch ausgerutscht und hätte sich sämtliche Knochen gebrochen." Sie lächelt gequält, als sie ihre Hand ebenso nach einem Pancakes ausstrecke. "Es ist mir irgendwie bisschen unangenehm darüber zu sprechen", murmelt sie mit hochrotem Kopf.

"Das braucht dir nicht unangenehm sein", versichere ich ihr. "Ich würde dich doch niemals verurteilen." Sie nickt. "Ich weiss." Dann räuspert sie sich, ehe sie weiterspricht: "Und dann irgendwie... habe ich ihn ins Bett gebracht und..." Sie braucht gar nicht weiterzusprechen. Die Rötung ihrer Wangen und der schüchterne Blick sagt schon alles. "Hey, ist doch nicht schlimm", versuche ich sie aufzumuntern. "War's denn gut?"

"Es war unglaublich", kommt es wie aus der Pistole geschossen aus ihr heraus. "Ich meine, für das, dass er betrunken war, war es fantastisch." Sie legt eine Pause ein. "Spielt aber auch keine Rolle mehr."

"Warum?", hake ich nach. Das Café hat sich inzwischen etwas gefüllt und es wirkt nicht mehr so ausgestorben, wie zuvor. Da Joanna und ich aber etwas abseits sitzen, sind wir noch immer ungestört. "Ich habe es ja vor ein paar Tagen beendet." Sie packt das beendet in zwei Gänsefüsschen und verdreht die Augen. "Dabei stimmt das überhaupt nicht. Es war nur so, dass wir so ziemlich jede Nacht beieinander und auch miteinander geschlafen, und wir uns früh morgens immer raus geschlichen haben, damit Taylor ja nichts davon mitkriegt. Weisst du wie früh sie manchmal aufsteht?" Sie tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.

Ich winke ab. "Ihre Regeln sind sowieso für den Müll." Joanna stimmt mir lachend zu, dann wird sie wieder ernst. "Es hat sich einfach komisch angefühlt. Ich wollte alles richtig machen und so wie wir das gemacht haben, hat es sich einfach nicht richtig angefühlt. Ach, keine Ahnung. Es ist nicht so, dass ich auf was festes gehofft hatte. Immerhin ist das Harry, von dem wir hier sprechen. Aber ihn dann direkt mit einer anderen zu sehen, war trotzdem irgendwie hart."

Ich ergreife ihre Hand und drücke sie leicht. "Du solltest dich mit ihm aussprechen und ihm sagen, was du fühlst. Wie du dich gefühlt hast, als er diese Blondine nach Hause gebracht hat. Und wegen Taylor und ihren Regeln, mach dir darüber mal keine Gedanken. Was will sie machen? Euch rauswerfen?" Joanna zuckt unsicher mit den Schultern, so als würde sie Taylor das tatsächlich zutrauen. Dann schüttelt sie ihren Kopf. "Genung von mir, Kasia. Wie sieht's bei dir aus?" Sie zeigt mir ihre weissen Zähne in einem breiten Lächeln.

In diesem Moment fühle ich mich ihr so vertraut und geniesse ihre Gesellschaft so sehr, dass ich ihr beinahe von Ethan erzähle. Doch ich entscheide mich dann doch dagegen, weil es doch ziemlichen Schaden anrichten würde. Es würde auch keine schöne Situation für mich ergeben, wenn Taylor aus irgendwelchen Ecken erfährt, dass Ethan und ich mal ein Paar gewesen sind. Auch wenn ich sicher bin, dass Joanna dicht halten würde, will ich dennoch kein Risiko eingehen.

Also setze ich meine Flunkermine auf und lächle sie breit an. "Alles bestens."

Lovely DarlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt