18. Kurzschlussreaktion

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Kurz.schluss.re.ak.ti.on
Substantiv, feminin [die]
in einer Kurzschlusshandlung bestehende Reaktion

Am nächsten Morgen wache ich mit einem unguten Gefühl auf. Nein, das stimmt nicht. Es sind zwei ungute Gefühle, die mich an diesem Morgen bedrücken. Das eine befindet sich in meinem Kopf und lässt sich mit höchster Wahrscheinlichkeit dem Alkohol zuschreiben, den ich gestern Abend in vollen Zügen konsumiert habe. Ich weiss nicht, was dem Shot noch alles gefolgt ist und ich will auch gar nicht wissen, wie viel Geld ich gestern liegen gelassen habe. Ich hoffe einfach, dass meine Karte nicht überzogen ist.

Das zweite ungute Gefühl, spüre ich in meinem Bauch. Im Gegensatz zu dem Gefühl in meinem Kopf lässt sich dieses nicht dem Alkohol in die Schuhe schieben, zumindest nicht direkt. Es ist nicht das Gefühl von, scheisse, wie viel habe ich nur getrunken, ich muss mich dringed übergeben, nein. Es ist eher das mulmige Gefühl, wenn man sich nicht mehr ganz genau daran erinnern kann, was gestern Abend, besser gesagt Nacht, geschehen ist. Ich setze mich auf, wohl etwas zu schnell, denn plötzlich fährt mir ein stechender Schmerz in den Schädel.

"Scheisse", murmle ich und fasse mir an die Schläfen. Ich hebe den Kopf und erstarre. Das riesige Panorama-Fenster bietet mir den besten Ausblick über samt Houston, den ich je in meinem ganzen Leben gesehen habe. Er ist sogar besser, als der im Allure, denn im Gegensatz zu dort, hat man hier nicht noch einige Hochhäuser vor der Nase. Das Boxspringbett, in dem ich mich noch immer befinde, ist bestimmt zwei Meter breit und unglaublich bequem. Ich sinke regelrecht ein in dieser weichen Matratze. Und erst als ich das rote Simpsons T-Shirt an mir entdeckte, wird es mir schlagartig bewusst.

Liam Harrison. Der Barkeeper. Die Erinnerungen an letzte Nacht sind schwummrig und haben keinen richtigen Zusammenhang. Liam, der mir zulächelt. Liam der mich küsst. Liam, der mir das Top auszieht. Liam, der mich auf die Küchentheke hebt. Liam, der sich zwischen meine Beine stellt und Liam, der meinen Namen stöhnt. "Nein", murmel ich leise und unglaubwürdig. Ich habe mich abschleppen lassen. Ich habe mich tatsächlich abschleppen lassen. Das habe ich noch nie und jetzt, da es passiert ist, fühlt es sich ziemlich scheisse an. Es hätte sich ja auch gut anfühlen können, doch von diesem guten Gefühl fehlt jede Spur. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Ethan noch immer in Besitz meiner Gedanken ist. Da hat auch dieser One Night Stand nicht geholfen.

Badezimmer und Schlafzimmer grenzen aneinander und verschmelzen in einen Raum, die Sicht mit einer hölzernen Trennwand verdeckt. Die Sessel, die Lampen, die gesammte Einrichtung top modern und luxeriös. Meine Kleider liegen wild zerstreut auf dem Marmorboden und bilden eine Spur, die hinter die Steinwand und dann aus dem grossen Zimmer führt.

Ich höre das plätschernde Wassergeräusch der Dusche erst, als es abgedreht wird. Und da wird mir bewusst, dass ich nicht alleine hier bin. Natürlich bin ich das nicht, immerhin ist das ja seine Wohnung, in der ich mich befinde. Ich fluche und schwinge meine Beine aus dem Bett. So schnell es mir meine Kopfschmerzen erlauben. Panisch sammel ich meine Kleidungsstücke auf und greife nach meinem Handy. Dann öffne ich die Schlafzimmertür und laufe den breiten Flur entlang in den offenen Wohn- und Essbereich mit angrenzender Küche. "Scheisse", fluche ich, als von meinen Schuhen noch immer jede Spur fehlt.

Da kommt noch mehr Panik in mir auf. Liam muss wohl jeden Augenblick merken, dass ich nicht mehr im Bett liege, wenn er dies denn nicht schon gemerkt hat. Also tue ich das einzige, was mir in den Sinn kommt. Fliehen. In schnellen Schritten gehe ich auf die grosse Eingangstür zu, öffne diese und mache mich aus dem Staub. In Unterhose und Liams rotem Simpsons T-Shirt. Ohne meine Schuhe.

***

Quinn schaut von dem Mojito auf, den sie gerade zubereitet und winkt mir aufgeregt zu. "Und?" Sie zieht dieses simple Wort neugierig schmunzelnd in die Länge und zwinkert mir dabei verführerisch zu. Ich zupfe noch ein letztes Mal an meinen Nackendutt herum, ehe ich zu ihr, hinter die Bar des Allures trete.

Nachdem ich mich heute Morgen aus Liams mega super modernen Luxuswohnung geschlichen habe, habe ich mir im erstbesten Shop billige Sneaker gekauft und bin ich nach Hause gegangen. Dort habe ich mich geduscht und bin dann auch gleich wieder los um pünktlich zu meiner Schicht auf der Matte zu stehen.

Ich stöhne leicht und weiche ihrem bohrenden Blick aus, als ich mich bücke und nach dem Gurt greife, den ich mir um die Hüften schnalle. "Wie war's? Wann triffst du ihn wieder?", fragt Quinn und stubst mich leicht in die Seite. "Wahrscheinlich nie."
"Hä? Wieso das denn?"

Als ich nicht antworte, verfinstert sich ihr Blick. "Kasia? Was hast du gemacht?" Ich drehe mich langsam zu ihr und vergewissere mich mit einem Blick, dass Sandler ausser Hörweite ist, so dass er nicht mitbekommt, dass ich noch mit Quatschen, anstatt mit dem Arbeiten beschäftigt bin. "Ich habe Panik gekriegt. Da bin ich einfach abgehauen."

Neben mir zieht Quinn scharf die Luft ein, ehe sie sie wenige Sekunden später seufzend wieder ausstösst. Sie setzt zum Sprechen an, doch ich komme ihr zuvor. "Quinn, du hast ja keine Ahnung. Der Typ ist stinkreich. Jedenfalls wohnt er so. Du solltest seine Wohnung sehen, die ist riesig mit einem hammer Ausblick. Noch besser als hier." Ich mache eine kleine Handbewegung, die das Allure umfasst.

Quinn wirkt skeptisch. "Dann verstehe ich noch weniger, weshalb du abgehauen bist." Ich verdrehe die Augen. "Jetzt im Nachhinein verstehe ich es auch nicht. Liam war doch super, oder?" Sie nickt. "Ja, er war grossartig." Ich nicke stark zurück. "Ja, war er."

"Aber?" Quinns Augenbraue hebt sich noch ein Stück weiter nach oben. Ich kenne den Grund. Ich weiss, weshalb ich die Flucht ergriffen habe. "Ethan. Ich bin aufgewacht und musste direkt an ihn denken. Und ich weiss...", schwichtend hebe ich die Hände. "Wir haben gestern noch darauf angestossen, dass ich ihn vergesse und mein Leben auch single geniessen kann. Und das kann ich ja auch..." Ich weiss nicht woher das Gefühl kommt, mich Quinn erklären zu müssen. Ich hätte auch einfach sagen können, dass ich keine Lust auf Liam gehabt habe. Ich bin ihr weder eine Erklärung, noch eine Begründung schuldig. Und trotzdem glaube ich, mich ihr erklären zu müssen. Und ich will ehrlich sein.

"Aber das kostet Zeit. Ich kann noch nicht so schnell zu einem anderen Typen wechseln. Ich muss das erstmal verarbeiten, weisst du?" Quinn schweigt eine Weile, ehe sie mit den Schultern zuckt und nickt. "Es hat auch niemand etwas von wechseln gesagt. Aber ja, klar. Naja, ich hatte noch nie Liebeskummer, aber, ich verstehe, dass du Zeit brauchst. Ich wollte dich nicht zu irgendetwas drängen, weisst du? Falls du das so empfunden hast, dann tut mir das leid."

"Hab' ich nicht", entgegne ich schnell. Sie nickt. "Gut, du hast nämlich ehrlich interessiert gewirkt gestern Abend." Ich lache und sie stimmte mit ein.

Unser Gelächter wird allerdings von einem plötzlich erschienenen Sandler unterbrochen. "Ihr seid hier um zu arbeiten. Deine Schicht hat seit zwei Minuten begonnen, Kasia." Er deutet mit dem Zeigefinger auf seine teure Armbanduhr. Seine Augenbrauen stehen eng zusammen. Sofort macht sich Quinn wieder daran, den nächsten Mojito zuzubereiten und auch ich nehme eine aufrechte Haltung ein und gehe Richtung einer der kleinen Tische um meine ersten Gäste zu bedienen.

Lovely DarlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt