36. Zuversicht

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Zu.ver.sicht.
Substantiv, feminin [die]
festes Vertrauen auf eine positive Entwicklung in der Zukunft, auf die Erfüllung bestimmter Wünsche und Hoffnungen

Nach einem schnellen Frühstück fährt mich Ethan in die WG, damit ich einige meiner Sachen holen kann. Er parkt drei Strassen weiter und wartet, während ich die letzten Schritte zu Fuss gehe. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob Harry oder Joanna zuhause sind, doch das ist ein Risiko, welches wir nicht eingehen können. Was sollen wir auch sagen, wenn sie uns zusammen durch die Tür kommen sehen?

Es spielt wahrscheinlich keine grosse Rolle, da Ethan Taylor gegenüber heute Abend, wenn sie zurückkommt, alles gestehen wird. Spätestens morgen wissen alle Bescheid. Doch zu diesem Zeitpunkt jetzt, bleibt das noch unser kleines Geheimnis. Ausserdem sind wir Taylor schuldig, dass sie es als erstes erfährt, erst dann Harry und Joanna.

Zugegeben, ihre Reaktionen machen mir Angst. Ethan und ich werden uns wohl ausführlich erklären müssen. Natürlich könnte ich das auch alles Ethan überlassen und mich raushalten, doch es gehören nunmal zwei dazu und ich will ihn unterstützen.
Ich bin zuversichtlich dass Ethan und ich endlich unser Happy End bekommen. Er muss sich einfach für mich entscheiden. Es würden einige Veränderungan auf uns zu kommen und wir werden womöglich auch viel schlechte Energie aus unserem Umfeld einstecken müssen. Ich weiss aber, dass Ethan und ich beide starke Seelen sind und wir zusammen noch viel stärker sind. Wir werden es schaffen.

Der Weg zur Wohnung kommt mir heute länger vor als sonst. Ich drehe den Schlüssel im Schloss um, öffne die Tür und werde gleich darauf von einem Gelächter umgeben. Ich hebe meinen Kopf und erblicke Harry und Joanna, die gemeinsam mit einer Tasse in den Händen um die Kücheninsel stehen. Als sie mich entdecken, verstummen sie. Joannas frohes Lächeln verwandelt sich in ein mitleidiges. Sie schiebt die Unterlippe leicht nach vorne, als sie ihre Tasse abstellt. Ich stehe noch immer in der offenen Wohnungstür, da kommt sie schon auf mich zu und schliesst mich in ihre Arme.

"Hallo Liebes", sagt sie. Ihre Stimme klingt liebevoll und sanft. Auch ich lege meine Arme um ihre Taille und drücke sie an ihrem Rücken an mich. Wie sehr ich das jetzt brauche. "Wie geht es dir, und vor allem, wie geht es Michael?"

Ich seufze und löse mich von ihr. "Den Umständen entsprechend", sage ich und meine dabei mich und nicht Michael. "Ich gehe gleich zu ihm ins Krankenhaus. Ich wollte nur ein paar Sachen abholen."

"Soll ich dich fahren?", kommt es von Harry, der sich bis jetzt noch nicht von der Stelle bewegt hat. Bloß nicht, denke ich, doch sage: "Nein, aber lieb von dir. Danke." Ich betrachte Joanna und Harry für einen kurzen Moment, ehe ich frage: "Was ist mit euch los?"

Die Beiden werfen sich einen unwissenden, unschuldigen Blick zu. "Wieso?", fragt Joanna und zieht das o dabei in die Länge. "Das letzte Mal, als ich euch gesehen habe, hast du", ich deute auf meine Mitbewohnerin, "wütend die Wohnung verlassen, beim Anblick von ihm." Mein Zeigefinger wandert in Harrys Richtung. "Ach so", nuschelt Joanna und wirft Harry erneut einen Blick zu. Diesmal wirkt er hilferufend. Harry ergreift das Wort: "Wir feiern."

Joanna nickt angestrengt, ehe sie verwundert den Kopf schüttelt. "Naja, feiern würde ich jetzt nicht sagen." Ihre Augen fallen auf mich. "Wir haben uns nur ausgesprochen und festgestellt, dass wir wirklich null zueinander passen und, dass wir es deshalb bei einigen Ausrutschern belassen."

Harry stimmt ihr zu. "Ja, und wir sind uns darüber einig geworden, Taylor's Regeln in Zukunft zu befolgen." Ihre Worte lösen ein winziges Schmunzeln in mir aus. "Das freut mich für euch, wirklich. Ich dachte schon, dass jetzt eine ganz angespannte Stimmung in der WG herrschen wird."

Joanna winkt kopfschüttelnd ab. "Nein, Quatsch. Es ist alles geklärt." Ich presse meine Lippen zusammen und ziehe die Mundwinkel hoch. "Na dann", deute ich an und gehe in Richtung meines Zimmers. Angekommen, stelle ich fest, dass ich die Nachttischlampe wohl angelassen habe, als ich mich auf den Weg zu Ethan gemacht habe, um mein Ladekabel zu holen. Ich knipse sie aus, greife nach meinem Laptop und nach dem Roman, der gerade das Glück hat von mir gelesen zu werden.

Ich habe mir vorgenommen, mich nun endlich für ein Studiengang anzumelden. Ich muss, da mir die Zeit davon läuft. Noch immer schwanke ich zwischen Kunst und Geografie, weshalb meine Entscheidung wohl eine spontane Sachen werden wird. Aber das ist in Ordnung. Falls ich meine Spontanität in dieser Sache bereuen sollte, so würde ich mich für nächstes Jahr einfach für einen anderen Studiengang einschreiben. Ich befinde mich in einer Lebensphase, in der ich Fehler machen kann und auch darf.

Ich verabschiede mich mit einem kurzen Winken von meinen Mitbewohnern und laufe den Weg zurück zu Ethans Auto. Kaum steige ich ein, legt er das Handy beiseite. "Hast du alles?", fragt er und ich nicke. Dann fährt er in Richtung Krankenhaus, um mich dort abzusetzen.

Wir verabschieden uns nicht mit einem Kuss, so wie wir es sonst immer getan haben. Dafür ist die Zeit noch nicht reif genug und die Situation noch nicht bereit. Also bedanke ich mich schlicht und einfach fürs Fahren und Ethan sagt, dass er sich bei mir melden wird. Sobald er mit Taylor gesprochen hat. Doch das sagt er nicht, aber ich weiss, dass er es denkt.

Michael hat sich nicht verändert. Er liegt noch immer in der selben Position, wie beim letzten Mal. Leise schliesse ich die Tür hinter mir und lasse mich auf den Sessel nieder. Davor, streiche ich noch über seine Hand, die unglaublich fahl und trocken wirkt. Aber sie ist warm, was ich als gutes Zeichen interpretiere.

Ich lasse mich also neben seinen Bett nieder, stecke das Kabel in den Laptop und klappe ihn auf. Vor lauter Zittern in meinen Händen gebe ich mein Passwort gleich zweimal falsch ein.
Auf der offiziellen Internetseite der Universität von Houston scrolle ich immer weiter runter und lese mich durch hunderte von Informationen.

Ich bin so vertieft, dass ich gar nicht merke, wie die Zeit vergeht und Mom plötzlich im Zimmer steht. "Hallo Maus", sagt sie. Beim Klang ihrer Stimme fahre ich leicht zusammen. Man sieht, dass sie geweint hat. Ihre Nase ist gerötet, die Augen sind geschwollen und wässrig. Ich schiebe den Laptop von meinem Schoss und stehe auf, damit ich sie in die Arme nehmen kann.

"Wir müssen zuversichtlich sein", sagt sie mit leiser, brüchiger Stimme. "Auch wenn es schwer ist." Ich nicke leicht. Ihre kurzen Haare kitzeln meine Nase.

"Ich habe uns Essen vom Asiaten mitgebracht." Erst jetzt bemerke ich die Plastiktüte, die sie auf dem kleinen Tisch abstellt. "Wir müssen was essen, sonst verhungern wir noch." Mom zwingt sich zu einem Lächeln, welches ganz und gar nicht echt aussieht. Ich gebe ihr, ein ebenso gefälschtes Lächeln, zurück.

Lovely DarlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt