35. Erkenntnis

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Er.kennt.nis
Substaniv, feminin [die]
durch geistige Verarbeitung von Eindrücken und Erfahrungen gewonnene Einsicht

Die Schuldgefühle kommen erst am nächsten Morgen, als ich nackt in seinen starken Armen aufwache. Wobei ich nicht weiss, ob Schuldgefühle der richtige Ausdruck ist, denn ich bereue letzte Nacht nicht. Aber dennoch ist da ein komisches Gefühl in mir, welches ich nicht zuordnen kann.
Taylor gegenüber ist es natürlich nicht fair. Zugegeben, ich mag Taylor nicht sonderlich, aber nicht, weil sie seine Freundin ist, sondern eher, weil sie zickig und arrogant ist.

Die Erinnerungen an vergangene Nacht sind überwältigend. Ich habe nicht gewusst, wie sehr ich Ethan und seine Nähe wirklich vermisst habe. Während wir miteinander geschlafen haben, haben meine Emotionen an Kontrolle gewonnen, sodass ich einige Tränen verbraucht habe. Ethan scheint dies allerdings nicht bemerkt zu haben, und wenn doch, dann hat er sich nichts anmerken lassen. Ich beobachte, wie sich seine nackte Brust gleichmässig auf und ab senkt.

Er sieht so friedlich aus, so sorglos. So, als ob alles gut wäre. Ich könnte ihn ewig so anschauen und ich hätte es bestimmt getan, hätten sich Ethans Augen in diesem Moment nicht geöffnet. Er blinzelt einige Male, um sich an das helle Licht zu gewöhnen. Als er bemerkt, dass ich ihn gerade beobachtet habe, lächelt er. "Hast du mir beim Schlafen zugesehen?" Seine Stimme klingt tief und so warm, dass sie mein Herz zum Springen bringt. Ich winke theatralisch ab. "Ich bin auch gerade erst wach geworden."

Ethan hebt seinen Arm und streicht mir mit den Fingern eine Haarsträhne hinters Ohr, die mir in die Stirn gefallen ist. Sein Daumen verweilt etwas länger an meinem Gesicht, wo er an meiner Wange auf und ab fährt. "Hast du gut geschlafen, Liebling?"

Wie konnte es nur sein, dass ein Mann mit einem simplen Wort so viel Kontrolle über mich hat und derartiges in mir auslöst? Das Wort Liebling löst nicht nur ein Kribbeln auf meinem gesamten Körper aus, sondern auch die Rötung, die sich auf meinen Wangen bildet. Liebling. So hat er mich früher oft genannt. Ob er Taylor auch so nennt? Sofort ändert sich meine Stimmung und mein Lächeln verschwindet. Ethan bemerkt es. Seine Augenbrauen zuehen sich zusammen und er legt seine Stirn in Falten als er fragt: "Ist alles in Ordnung?"

Ich seufze leise und setze mich auf, darauf bedacht, dass die schneeweisse Bettdecke meine Oberweite bedeckt. Ethan stütze sich auf den rechten Unterarm. "Sprich mit mir, Kasia", fordert er mich auf. "Sag mir, was los ist."

Ich schüttle kaum merklich den Kopf, als ich die Schultern hebe. "Was ist es wohl?" Ethan versteht mich und ihm entfährt ebenfalls ein Seufzen. Seines klingt verzweifelter. "Ich weiss", sagt er schliesslich. Leise, sodass ich es fast nicht verstehe.

"Bereust du es?" Es dauert eine Weile, bis er antwortet: "Bereuen ist das falsche Wort, ich habe eher ein schlechtes Gewissen Tay gegenüber." Ich nicke. "Ich weiss aber auch, dass du das gebraucht hast und wenn ich wirklich ehrlich zu mir bin, habe ich es auch gebraucht." Eine Pause entsteht. „Bereust du es denn?" Ich verneine. Wie könnte ich auch? Ich liebe Ethan immer noch und ich bin mir sicher, dass ich nie aufgehört habe ihn zu lieben.

Ethan klingt erleichtert. "Ich wollte nur sicher gehen, da ich das Gefühl hatte... naja, ich habe geglaubt du würdest mir aus dem Weg gehen."
"Das bin ich auch", bestätige ich. "Warum?" Seine Stirn ist gerunzelt. "Das fragst du noch? Weil ich geglaubt habe, es sei besser für uns. Für dich und für Taylor, aber auch für mich. Ich wollte dich nicht sehen, weil sich das unerträglich angefühlt hat, zu wissen, dass ich nicht diejenige bin, neben der du abends einschläfst und morgens wieder aufwachst. Dass ich dich weder umarmen, noch küssen darf. Aber dann habe ich die Erkentnis gewonnen, dass es besser für mich ist, wenn ich in deiner Nähe bin," ich zögere. "Findest du das egoistisch?"

"Nein, warum?" Inzwischen hat er sich ebenso aufgesetzt. "Weil ich nur an mich gedacht habe. Ich wusste, das Beste für mich ist deine Nähe. Aber das ist ja vielleicht nicht das Beste für dich und für Taylor ist es das garantiert nicht."

"Ich bin aber auch nicht das Beste für sie." Ich richte mich ein wenig auf. "Nicht?"
"Nein", Ethan lacht aber es klingt schrecklich gequält und unecht. "Warum?"
"Ich habe sie in dieser Nacht mit meiner Exfreundin betrogen, die ich ihr verheimlicht habe, auch, als sie in ihre Wohnung eingezogen ist."

"Wie hast du das eigentlich geschafft?"
"Was meinst du?"
"Na, mich so gut zu verheimlichen. Haben deine Eltern oder dein Bruder meinen Namen nicht mal erwähnt?"

Er lacht belustigt. "Welche Eltern erwähnen den Namen der Exfreundin, wenn der Sohn mit einer neuen Freundin auftaucht?" Ich schnalze mit der Zunge. "Ich meine ja nicht, dass sie mich absichtlich erwähnt haben, eher so in einem Gespräch, wo irgendwas aufkommt in Relation zu mir, oder zu unserer Beziehung." Ich kneife ihm in die Seite, da wird er wieder ernst.

"Nein, tatsächlich haben sie nie ein Wort über dich verloren. Sie haben Taylor aber auch erst zweimal gesehen. Vielleicht dreimal. Ich glaube, sie mögen sie nicht besonders." Ich frage weshalb er das glaubt, dabei kann ich mir die Antwort schon ausmalen. Und ich habe Recht. "Ach komm, du denkst doch dasselbe", sagt er mit einem leichten Schmunzeln. "Taylor kann sehr arrogant und zickig sein. Sie sieht auf den ersten Blick auch so aus, mit ihrem pinkfarbenen Lippenstift und der perfekt gestylten Haaren vermittelt sie halt schon den Eindruck. Aber wenn man sich mit ihr unterhält und eine gewisse Tiefe in den Gesprächen erreicht, dann ist sie ein wahnsinnig toller Mensch."

Ihn so über sie sprechen zu hören, beunruhigt mich. "Sie kann ziemlich charmant sein und ist sehr kontaktfreudig. Sie unterhält sich eigentlich gerne mit fremden Menschen und lernt auch gerne Menschen kennen."

Ich sehe ihn skeptisch an. "Den Eindruck hatte ich nie. Ich habe immer geglaubt, ich würde ihr auf den Keks gehen."
"Dann hast du einfach noch keine Tiefe mit ihr erreicht", er macht eine Pause. "Es wird schwer, ihr das beizubringen."

"Du willst es ihr sagen?" Ethan zuckt mit den Schultern. "Ich weiss, dass ich muss. Aber ich habe keine Ahnung wie."

"Und was heisst das? Für uns meine ich?" Meine Stimme klingt unsicher und mein Herz klopft wie verrückt. Ich habe ehrliche Angst vor seiner Antwort. Er kann schliesslich immer noch einen Rückzieher machen und sagen; Hey, Kasia. Hör mal. Das war ein Fehler und hätte niemals passieren dürfen. Ich bin jetzt mit Taylor zusammen und die darf nie etwas von dem hier erfahren. Aber das sagt er nicht. Stattdessen sagte er: "Ich weiss es ehrlichgesagt nicht."

"Verstehe", sagt ich langsam. Ich habe mich inzwischen mit dem Rücken gegen die Bettlehne gelehnt. "Du liebst sie oder?" Ethan schaut mich nicht an, als er meine Frage beantwortete. "Ja, das tue ich. Aber diese Liebe ist anders. Nicht so wie bei dir."

Ich bekomme eine Gänsehaut. "Und wie geht es jetzt weiter?"
Ethan rauft sich die Haare. "Ich habe absolut keine Ahnung. Sie kommt heute Abend wieder. Ich schätze, wir werden dann sehen." Er legt mir seine Hand auf den Oberschenkel und drückte ihn sanft. "Mach dir darüber keine Sorgen, okay?"

Ich nicke langsam. Wie stellt er sich das denn vor? Als ob er wirklich glaubt, dass ich das so einfach ausblenden kann.

"Was hast du heute vor?"

Meine Gedanken wandern zurück zu Michael. "Ich werde meinem Boss anrufen, Schichten absagen und dann zu Michael ins Krankenhaus fahren."

Ethan nickt, steht auf und hält mir seine Hand hin um mich ebenso auf die Beine zu ziehen. "Erstmal Kaffee, okay?"

Lovely DarlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt