24. Trennung

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Tren.nung
Substantiv, feminin [die]
das Trennen; das Getrenntsein

Mai 2020

Als die sechs Monate im Februar vorbei gewesen sind habe ich ihm auch schon gesagt, dass es zu früh ist und dass ich noch drei weitere Monate bleibe. Und jetzt, da sich die drei Monate dem Ende nähern, rufe ich ihn erneut an um zu sagen: Hey, ja ich weiss ich sollte in zwei Wochen nach Hause kommen aber es ist noch zu früh, ich bleibe nochmal drei Monate. 

Ich sitze auf der Bank vor dem simplen Hostel, in dem ich zur Zeit hause. In Malaysia angekommen habe ich relativ schnell Laura kennengelernt. Sie war es, die mich auf ein Surfcamp in Südafrika aufmerksam gemacht hat, welches und noch diverse Leiter und Leiterinnen sucht, die die Surflehrer unterstützen und einfach Zeit mit den Kindern verbringen. Das ist mein nächstes Ziel. 

Aus der Entfernung nehme ich zwar das Getümmel der Leute und das Rauschen der Wellen wahr, doch ich kann mich nur auf Ethans Stimme konzentrieren, welcher ich am anderen Ende der Leitung lausche. Ethan erzählt mir gerade, dass er sich unheimlich freut mich wieder zu sehen und dass er schon den ganzen Tag für uns geplant hat. "Was hältst du von deinem Lieblingsessen? Sushi?"

Ich öffne den Mund, jedoch verlässt kein einziger Ton meine Kehle. Es ist, als wären meine Stimmbänder eingefroren. Wie soll ich ihm jetzt nur sagen, dass ich noch nicht nach Hause komme? Die Freude, die in seiner Stimme liegt, ist kaum zu überhören. Natürlich vermisse ich ihn. Jedoch weiss ich, dass man meine Hilfe in Südafrika sicher gut gebrauchen wird und ich der Welt etwas zurückgeben will. Ich kann meine Reise noch nicht beenden, egal wie sehr ich Ethan vermisse.

"Kasia?", fragte Ethan, als ich ihm nicht antwortete. "Bist du noch da?" Ich krächze und räuspere mich. "Ethan ...", beginne ich. Ich höre ein Seufzen, in dem unglaublich viel Enttäuschung herauszuhören ist. Ich muss nichts mehr sagen, denn Ethan weiss bereits, auf was ich hinaus will. "Du kommst nicht, oder?" Es klingt mehr nach einer Feststellung, als nach einer Frage, doch ich antworte ihm trotzdem. "Nein. Ich kann einfach noch nicht." Ich versuche ihm meine Beweggründe darzulegen. "In Südafrika gibt es ein Surfcamp, welches noch freiwillige Helfer sucht. Die Kinder dort kommen aus armen Verhältnissen und die Organisation möchte ihnen unter die Arme greifen. Neben dem Surfen werden sie dort auch unterrichtet." Ethan antwortet nicht. Die Stille, die darauf folgt, scheint sich unendlich in die Länge zu ziehen. Sie ist nicht auszuhalten. Ein kleiner Stein fällt mir vom Herzen, als Ethan das Schweigen zwischen uns schliesslich bricht. "Findest du das nicht ein wenig egoistisch von dir?" Er klingt aufgebracht, unglaublich wütend und enttäuscht zu gleich. "Es ist egoistisch von mir, wenn ich in einem Surfcamp helfen will und freiwillige Arbeit leiste?"

"Nein, aber es ist egoistisch von dir, dass du dabei keine Sekunde an mich und an unsere Beziehung denkst." Ich entgegne: "Das stimmt nicht. Wenn du nur sehen würdest, wie viel Armut es auf dieser Welt gibt, dann könntest du verstehen..."

"Ich würde gar nichts verstehen, Kasia" Seine Stimme ist lauter geworden. Ich beisse mir auf meine Unterlippe und senke meinen Blick. "Denkst du auch nur ein einziges Mal an mich?" "Natürlich", sage ich mit gedrückter Stimme. "Weisst du wie ich mich fühle?", fährt Ethan weiter. "Zuerst ist es ein halbes Jahr, dann verlängerst du nochmal drei Monate und jetzt, kurz vor deiner Rückkehr heisst es "nein, ich kann noch nicht zurückkommen", findest du das fair? Ich warte hier, tagtäglich darauf, dass meine Freundin wieder in meinen Armen liegt mir von ihren Reisen erzählt, ich sie wieder anschauen kann und ihr strahlendes Lächeln sehen kann. Das scheint dir einfach egal zu sein." Meine Lippen beginnen unkontrolliert zu zittern und meine Augen fangen an zu brennen. Nein, denke ich, Ethan wird nicht mit mir Schluss machen, dafür lieben wir uns zu sehr.

"Ich weiss, wie das klingt und ich weiss, wie schrecklich das für dich ist." "Nein weisst du nicht." "Ich kann es mir aber gut vorstellen, Ethan." Das kann ich wirklich. Natürlich vermisse ich Ethan genauso, wie er mich vermisst. Womöglich habe ich hier allerdings die bessere Ablenkung und bin in einer anderen Umgebung, wo mich nicht alles an ihn erinnert. Er sieht mich jeden Tag auf den Bildern in seinem WG-Zimmer, riecht mich vermutlich noch immer in seiner Bettwäsche, auch wenn diese schon hunderte Male gewaschen wurde, seitdem ich nicht mehr da bin. Er spürt mich in jedem Sushi-Restaurant und in jedem schwarzen Kaffee. Womöglich nimmt er mich in jedem Buch wahr, dass er in die Hand nimmt und riecht mich in meinem Shampoo, welches in seinem Badezimmer steht.

"Ich kann dich nicht länger vermissen, Kasia." Seine Stimme klingt mittlerweile ebenso zittrig, wie meine. "Bitte versuch es."
"Wie soll das gehen?"

"Ich werde jetzt noch nicht zurückkommen. Das kann ich einfach nicht. Was ist also die Alternative? Wirst du mit mir Schluss machen und mich dann einfach nicht mehr vermissen?" Die Worte sprudeln aus mir heraus, ehe ich sie überdenken kann. Obwohl ich ihn nicht sehe, kann ich mir sein perplexes Gesicht vorstellen. "Tut mir leid", sage ich. "Das wollte ich eigentlich gar nicht sagen."

Ethan reagiere nicht. "Wie lange?", fragt er. "Ich weiss es nicht", sage ich ganz ehrlich. Denn ich hatte mir noch wirklich nicht überlegt, wie lange ich noch hier bleiben würde. "Wie lange?", fragt Ethan erneut. Ich atme tief ein, ehe ich sage: "Bis ich mit gutem Gefühl nach Hause kommen kann. Wahrscheinlich noch drei Monate."

Ethan trennt sich erst eine Woche später von mir. Ich habe es irgendwie schon vermutet. Unsere Telefonate wurden immer stiller und seine Nachrichten immer kürzer. Als er mich an besagtem Tag anruft, stellt er mir ein Ultimatum. Entweder, ich komme nach Hause, oder er wird die Beziehung beenden. So sehr ich ihn auch liebe, ich kann nicht zulassen, dass er mir ein Ultimatum stellt und er mich so kontrolliert. Auf keinen Fall. Also entscheide ich mich zu bleiben. Seither hat sich keiner von uns gemeldet. 

Ich finde die Ablenkung in den Kindern, im Surfen und in all den anderen freiwilligen Helfern. Es dauert nicht lange, bis ich mich nicht mehr in den Schlaf weine und mein Herz mit Ethan abgeschlossen hat.

Lovely DarlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt