38. Balkon

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Bal.kon
Substantiv, maskulin [der]
vom Wohnungsinnern betretbarer offener Vorbau, der aus dem Stockwerk eines Gebäudes herausragt

Ich weiss nicht wie lange ich im Bett gelegen bin und Löcher in die Luft gestarrt habe. Nachdem sich Taylor und Ethan zurückgezogen haben, habe auch ich mich in meinem Zimmer verkrochen. Das Angebot von Joanna, mit ihr und Harry The Wolf of Wallstreet anzuschauen, habe ich dankend abgelehnt.

Immer wieder habe ich mein Handy gecheckt um zu sehen, ob Ethan mir eine Nachricht geschickt hat, in der er mir die Ungewissheit nimmt und mich darüber ins Klare setzt, was passiert ist. Doch er hat sich nicht gemeldet. Ich würde also abwarten müssen, und habe deshalb versucht mich mit dem Fakt abzufinden, dass die Sache endgültig vorbei war. So wäre die Enttäuschung nicht all zu gross.

Doch egal, was ich versucht habe. Ich konnte mich mit dem Fakt, dass Ethan und Taylor zusammenbleiben einfach nicht abfinden. Vor lauter Kopfzerbrechen und Gedanken machen sind mir irgendwann die Augenlider zugefallen.

Durch ein sanftes Rütteln an meinem linken Arm und ein grelles Licht werde ich geweckt. "Kasia", dringt eine leise Stimme an mein Ohr. Mühsam öffne ich die Augen, nur um sie kurz darauf wieder zu schliessen. Ich grummle. Blind strecke ich meinen Arm aus und taste nach dem Handy, welches sich mit aktivierter Taschenlampe vor meinem Gesicht befindet. Ich bekomme einen muskulösen Unterarm zu fassen, den ich daraufhin sanft wegstosse, ehe ich mich aufrapple und mir das Gesicht reibe. "Was ist?", krächze ich verwirrt.

"Ich bin's", erklingt die sanfte Stimme, von der ich natürlich direkt weiss, wem sie gehört. Prompt bin ich hellwach und reisse meine braunen Augen auf. Ich blicke direkt in Ethans wunderschönes Gesicht.

Er kniet in Jogginghose und Kapuzenpulli neben meinem Bett auf dem Boden und lächelt mich schuldbewusst an. "Tut mir leid", flüstert er. "Ich wollte dich eigentlich nicht wecken, du brauchst durch die ganze Aufregung bestimmt eine Menge Schlaf und Erholung." Ich schüttle den Kopf und hebe abwehrend die Hand. "Schon gut."

Schweigend schauen wir uns einen Moment lang an, mit einer unglaublichen Intensitivität, die ich so schon lange nicht mehr erlebt habe. Ich verliere mich zum wiederholten Mal in seinen wunderschönen grünen Augen. Obwohl mich die Neugier innerlich fast umbringt, geniesse ich die Ungewissheit, denn sobald Ethan zu sprechen beginnen würde, droht mein Herz ein erneutes Mal auseinander zu brechen.

Ich weiss nicht ob wir nur wenige Sekunden so da sassen oder ob es doch schon Minuten waren. doch schliesslich ist es Ethan, der die friedliche Stille zwischen uns bricht. "Wir sollten reden." Ich schlucke und nicke kurz darauf. Ethan erhebt sich und reicht mir die Hand, die ich ohne zu zögern ergreife. Ich lasse mich von ihm hochziehen. "Zieh dir was warmes über. Ich warte auf dem Balkon auf dich."

Kaum hat sich Ethan leise aus meinem Zimmer geschlichen beginnt mein Herz wie wild zu schlagen. Mit tiefem Durchatmen versuche ich mich zu beruhigen, was mir nur halb gelingt. Schnell schlüpfe ich in meine weisse Jogginghose und streife mir die gebrauchten Kuschelsocken über die Füsse, die schon seit Tagen zerknüllt auf dem Fussboden liegen. Ich öffne in aller Hektik meinen Kleiderschrank und ziehe wahllos den erst besten Pullover heraus. Ich bücke mich, um meine Hausschuhe unter dem Bett hervorzuholen, ehe ich leise mein Zimmer verlasse.

Die Nachtluft ist wärmer als erwartet, dennoch bekomme ich im ersten Moment eine Gänsehaut als ich auf den Balkon trete und die Glastür hinter mir leise schliesse. Der Himmel ist bewölkt, weshalb das Mondlicht nur fade durchdringt. Doch es reicht um zu sehen wohin ich laufe und dass ich nicht einen der Blumentöpfe umstosse. Ethan lehnt am Geländer, mit einer Kippe im Mund. Er mustert mich, während er den Rauch der Zigarette langsam ein- und wieder ausatmet.

"Wie spät ist es?", frage ich, nicht mehr flüsternd, dennoch leise. "Kurz nach drei", beantwortet Ethan meine Frage. "Ich habe bis jetzt kein Auge zugetan." Aus der Entfernung höre ich das Hupen eines Autos. "Ich lag auch lange wach. Sehr lange sogar."

"Wie geht es dir?" Ich stöhne aus und halte mir die Hände an die Schläfen, ehe ich meine Arme wieder sinken lasse und sie vor der Brust ineinander verschränke. "Können wir den unsinnigen Smalltalk bitte sein lassen?" Meine Stimme klingt flehender als ich es beabsichtigt habe. Ethan mustert mich einen Augenblick lang schweigend, ehe er seufzend nickt. Er lässt die abgebrannte Zigarette auf den Boden fallen und drückt sie mit dem linken Fuss aus. Ein kleiner schwarzer Fleck bleibt auf den Fliesen zurück.

"Du hast also nicht mit ihr gesprochen?", ich lasse es wie eine Frage klingen, doch es ist eher eine Feststellung. Taylor wäre wohl kaum so entspannt gewesen, hätte Ethan ihr gebeichtet, was letzte Nacht zwischen ihm und mir vorgefallen war.

Er beisst sich verlegen auf die Unterlippe und weicht meinem Blick aus. "Nein habe ich nicht", antwortet er schliesslich mit einem leichten Kopfschütteln. Ich spüre, wie das Herz in meiner Brust schneller zu schlagen beginnt. Mit zittriger Stimme frage ich: "Warum nicht? Wolltest du nicht?" Ich spüre, wie sich meine Augen mit salzigen Tränen zu füllen beginnen, doch ich rede mir ein, jetzt bloss nicht vor Ethan in Tränen auszubrechen. Also beisse ich mir fest auf die Unterlippe und schlucke sie tapfer runter.

"Das ist nicht so einfach Kasia." Ich merke, wie sich eine Wut in mir aufbaut und weiss dabei genau, dass ich kein Recht habe sauer zu sein. Ich kann von Ethan nicht erwarten seine Beziehung mit Taylor über Board zu werfen und sich wieder mir hinzugeben, auch wenn ich es mir wünsche.

Ethan holt tief Luft und nimmt meine Hände in seine. Noch bevor er auch nur ein Wort gesprochen hat, weiss ich, wie das hier enden wird.

"Es ist Taylor. Tut mir leid, ich weiss nicht wie..." Ethan hält inne. Unsicher ob er fortfahren soll, oder nicht. Der Schmerz in der Brust kehrt zurück. Das von ihm gesagte wiederholt sich einige Male in meinem Kopf. Ich seuftze. In mir fühlt es sich so an, als würde etwas zerbrechen.
„Es ist Taylor", wiederholt er ganz leise, so dass ich es fast nicht verstehen kann.
Ich entziehe ihm meine Hände und presse die Lippen aufeinander.

Tränen füllen meine Augen und ich versuche sie hektisch wegzublinzeln. Mein Blick ist gesänkt. Ich möchte Ethan gerade nicht ansehen.
„Es tut mir leid, Kasia", seine Stimme ist leise. „Es war nicht meine Absicht dich zu verletzen. Kannst du mich bitte ansehen?"
Mein Blick ist stur auf den Boden gerichtet. Ich möchte Ethan nicht ansehen und ich kann ihm auch nicht antworten. Denn sobald ich meinen Mund öffne und Gebrauch von meiner Stimme mache, werden die Tränen aus mir herausbrechen. Ich möchte nicht vor Ethan weinen, nicht jetzt.

„Bitte, sieh mich an." Versucht er es erneut, doch ich bleibe still. Ich gebe keinen Mucks von mir.
Ich weiss nicht wie viel Zeit vergeht, doch irgendwann höre ich Ethan seufzen und nehme aus dem Augenwinkel wahr, wie er in Richtung Balkontür geht.
Erst als er wieder in der Wohnung ist und die Balkontür hinter sich geschlossen hat sinke ich auf die Knie und lasse meinen Tränen freien Lauf.

Lovely DarlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt