39. Freundschaft

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Freund.schaft
Substaniv, feminin [die]
auf gegenseitiger Zuneigung beruhendes Verhältnis von Menschen zueinander

Es ist halb vier als mir eine verschlafene Quinn die Tür öffnet. Nachdem Ethan mich alleine auf dem Balkon zurückgelassen hat, konnte ich nicht wieder in mein Bett zurückkehren. Die Vorstellung am Morgen aufzuwachen und schlimmsten Falls mit all den Anderen zusammen zu frühstücken und so zu tun, als hätte mir Ethan nicht erneut das Herz gebrochen war unerträglich. Ich habe also kurzerhand entschlossen bei Quinn unterzukommen.

„Um himmels Willen, es ist...", sie bricht ab als sie mein verweintes Gesicht sieht. Ihre Augen weiten sich. „Was ist passiert?"
Mit hängenden Schultern stehe ich vor ihr. Meine Augen sind schrecklich verquollen und brennen bereits. „Kann ich... kann ich heute bei dir schlafen, bitte?" Ich schluchze erneut als mich Quinn in die Wohnung zieht, die Tür schliesst und mich fest in den Arm nimmt. „Natürlich, du kannst bleiben solange du willst", sagt sie während sie mir sanft den Rücken streichelt. Mein Kopf liegt auf ihrer Schulter, meine Tränen nässen ihr weisses T-Shirt.

Nach einer Weile dirigiert sie mich auf das kleine Ledersofa. „Setz dich, ich mach uns eine Tasse Tee." Sie verschwindet in der Küche und ich lasse mich nieder. Quinns Wohnung ist nicht besonders gross. Zwei Zimmer, eine kleine Küche und ein noch kleineres Badezimmer. Ich bin erst einmal hier gewesen, als wir nach einer Schicht im Allure zu ihr gegangen sind und eine Flasche Rotwein geöffnet haben.
Sie kommt mit zwei dampfenden Tassen zurück, von denen sie mir eine in die Hand drückt, und lässt sich neben mich sinken. Ich habe mich einigermassen beruhigt, meine Augen sind zugeschwollen un brennen vor lauter Weinen.
„Ist es wegen Michael? Ist er gestorben?", fragt Quinn vorsichtig. Ich spüre wie sich ihre Hand auf meine Schulter legt, als ich die Frage verneine. Und dann erzähle ich ihr von den letzten Tagen. Wie ich gerade bei Ethan war, als ich den Anruf erhalten habe, wie er mich ins Krankenhaus gefahren hat und er nicht von meiner Seite gewichen ist. Wie ich die letzten beiden Nächte bei ihm gewesen bin und wie wir in einer davon miteinander geschlafen haben. Als ich zu dem Part komme, indem er mir auf dem Balkon eine Abfuhr erteilt, schiessen mir frische Tränen in die Augen. Meine Stimme bricht ab.

„Oh Kasia." Quinns Stimme ist mit Mitleid gefüllt. Sie kann sich wahrscheinlich schon denken, was passiert ist. Vorsichtig fragt sie, wobei es mehr nach einer Feststellung klingt; „Er hat sich für Taylor entschieden, oder?" Ich nicke und erzähle ihr dann auch von den Dingen, die er gesagt hat und von den Signalen, die er gesendet hat. Ich erzähle ihr alles, alles, was ich so lange für mich behalten habe. Aus Angst man würde schlecht von mir denken, weil ich einen vergebenen Mann liebe und mit ihm zusammen sein möchte. Doch in diesem Moment, wie ich auf Quinns Ledersofa sitze und sie mir den Arm um die Schulter gelegt hat weiss ich, dass sie mich versteht und mich nicht verurteilen wird.

„Ich kann mir nur vorstellen, wie du dich gerade fühlst und es muss bestimmt schrecklich sein." Sie fordert mich dazu auf, sie anzusehen. „Das wird jetzt eine Weile weh tun, und ich weiss, dass du das nicht hören willst, aber es geht vorbei." Ich schüttle den Kopf und wische mir die salzigen Tränen von der Wange. „Doch, natürlich wird es das. Du bist schonmal über ihn hinweggekommen, das schaffst du auch noch ein zweites Mal."
Ich widerspreche ihr: „Ich war gar nicht über ihn hinweg, das dachte ich nur."
Nun ist es Quinn, die widerspricht. „Klar warst du über ihn hinweg. Bevor du wieder nach Houston gekommen bist, hast du keinen Gedanken an ihn verschwendet. Okay..," willigt sie ein und korriegiert sich: „Du hast vielleicht ein paar Mal an ihn gedacht, aber du warst über ihn hinweg. Du hast weiter gemacht und du hast mir selbst mal gesagt, dass es richtig war nicht für ihn zurückzukommen, oder?" Dagegen kann ich nichts sagen, denn Quinn hat Recht. „Wenn du ihn nicht wieder getroffen hättest, hättest du gar nicht das Verlangen nach ihm."
„Aber ich habe ihn wieder getroffen", entgegne ich.
„Und das war vielleicht genau richtig so. Schau mal...", beginnt sie zu erklären als sie meinen verwirrten Blick gesehen hat. „Ihr habt euch nach der Trennung gar nicht persönlich aussprechen können. Da war noch so viel ungeklärtes und ungesagtes zwischen euch. Du hast so viel erlebt auf deiner Reise und du hast so viele neue Eindrücke gewonnen und Erinnerungen geschaffen. Du hattest vermutlich gar keine Zeit richtig damit abzuschliessen. Und er hier in Houston, umgeben von Freunden und Familie, er war da möglicherweise einfach schon ein Stück weiter als du."
Ich lasse Quinns Worte auf mich wirken. Ich habe gar nicht gewusst, dass diese Frau so viel reden kann. „Und warum hat er sich dann wieder auf mich eingelassen?"
Sie hebt ihren Zeigefinger. „Ich habe nicht gesagt, dass er schon abgeschlossen hat ich habe lediglich gesagt, dass er schon ein Stück weiter war wie du." Sie macht eine Pause, um an ihrem Tee zu nippen. Meiner steht noch immer unangerührt auf dem kleinen Couchtisch. „Du warst womöglich einfach in die gemeinsame Erinnerung und in die vergangene Zeit mit Ethan verliebt, nicht in Ethan selbst."

Erneut steigen mir Tränen in die Augen und Quinn nimmt mich schnell in den Arm. Sanft fährt ihre Hand meinen Rücken auf und ab, doch das macht es kein Stück besser. Mein Herz fühlt sich an, als würde es sich selbt zerreissen. Ein starker Druck lastet auf meiner Brust, sodass ich kaum atmen kann. Ich habe das Verlangen meinem Körper zu entfliehen. Wut, Enttäuschung, Trauer und Verzweiflung kämpfen in mir.

„Du bist so ein toller Mensch und eine wahre Bereicherung für diese viel zu graue Welt. Du verdienst jemand, der dir die Welt zu Füssen legt und dich mit jeder Faser seines Körpers liebt und dich so akzeptiert wie du bist. Gib dich nicht mit weniger zufrieden. Du verdienst mit Sicherheit niemanden, der sich nicht zwischen dir und einer anderen entscheiden kann. Du verdienst es nicht die zweite Wahl zu sein."

Diese Worte muntern mich sogar etwas auf, zu meiner eigenen Überraschung. Warum sollte ich jemand wollen, der mich nicht will? „Und ganz ehrlich", Quinns Stimme wird etwas lauter. „Willst du mit einem Betrüger zusammen sein?" Ich antworte nicht. „Vermutlich willst du das alles gerade nicht hören, aber irgendwann wird es einen Sinn ergeben, Kasia. Und bis dahin tut es weh aber das macht dich nur stärker. Irgendwann wirst du das verstehen, ich verspreche es."

Quinn spricht mir die restliche Nacht gut zu und erst als die ersten Sonnenstrahlen durch die Vorhänge ins Wohnzimmer fallen, schlafen wir gemeinsam auf dem kleinen Sofa ein, mein Kopf in ihrem Schoss. Quinn streichelt mit gleichmässigem Rhythmus meinen Kopf und ich merke nicht mehr, wie ihre Bewegungen immer wie langsamer werden.

Lovely DarlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt