#20 - liberty

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song für's chapter: LULLABIES (ADVENTURE CLUB REMIX) - YUNA
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Felix und ich hatten es zum Glück pünktlich zum Nachmittagsunterricht geschafft. Also schien das mit meiner Unpünktlichkeit doch nicht zur Regel zu werden. Im Flur trennten sich schließlich unsere Wege, nachdem ich mich erneut bei ihm für das leckere Essen und die angenehme gemeinsame Zeit bedankt hatte.

Mit einem Lächeln im Gesicht betrat ich kurz darauf meinen Englischkurs. Meine Lehrerin saß bereits an ihrem Pult und begann sobald ich am Platz saß ihren Unterricht. Meine gute Laune ließ sich auch nicht durch den Unterricht trüben, der meiner Meinung nach ziemlich gut gestaltet war.

Mitten in der zweiten Stunde unserer Doppelstunde bekam ich einen Zettel, auf dem mein Name stand, zugesteckt. Erst schaute ich mich um, um zu erkennen von wem die Nachricht kam, aber niemand blickte zu mir. Mit zusammengezogenen Augenbrauen faltete ich den Zettel daraufhin auseinander.

Es tut mir leid, bitte verzeih mir. Ich warte nach der Stunde bei den Tischtennisplatten. Bitte lass uns reden.

Es gab nur eine Person, von dem diese Nachricht kommen konnte. Ich drehte mich zu Jonas um, der ziemlich direkt hinter mir saß, mich aber nicht beachtete. Arschloch.

Seufzend drehte ich mich wieder um und ließ meinen Gedanken freien Lauf, während ich den Zettel in kleine Fetzen zerriss. Sollte ich mich mit ihm treffen? Was würde das bringen? Für mich war klar, dass ich ihm nicht verzeihen würde. Was er getan hatte ging eindeutig zu weit.

Andererseits konnte ich durch ein letztes Gespräch vielleicht besser mit der Sache abschließen. Und es war auch besser für ihn, wenn er Bescheid wusste. Ihm zuliebe würde ich ihm ein letztes Mal entgegentreten, denn - so ironisch es auch klang - ich hatte immer noch Gefühle für ihn. Gefühle konnte man nicht einfach so ausschalten, Gefühle entwickelten sich über längere Zeiträume - wenn sie entstanden und auch wenn sie langsam verschwanden.

Dank meiner philosophischen Überlegungen endete die Stunde viel früher als gedacht. Langsam packte ich meine Sachen und hob mein Longboard auf. Ich schaute nicht auf, als Jonas den Raum verließ. Ich folgte ihm nicht. Ich ließ mir einfach Zeit für den Weg und als die Tischtennisplatten schließlich in Sicht kamen, erkannte ich ihn sofort, wie er mit dem Rücken zu mir auf einer der hinteren saß und seinen Kopf gesenkt hielt.

Langsam ging ich auf ihn zu und fasste dabei den Entschluss, nicht wütend zu werden. Ich wollte einen glatten Bruch zwischen uns bringen, sodass wir beide am einfachsten damit abschließen konnten. Mit kleinen Schritten umrundete ich die Tischtennisplatte und blieb schließlich vor ihm stehen.

"Hey", begrüßte ich ihn. Meine Stimme klang weder warm noch kalt, sie hatte einfach keine Gefühle in sich, sie war leer. Jonas hob seinen Blick zu meinem Gesicht und begrüßte mich ebenfalls. Keiner von uns beiden lächelte.

"Dreylis", begann er und streckte seine Hand zu mir aus, als würde er mich anfassen wollen. Doch ich rührte mich nicht, ich betrachtete ihn weiter mit einem ausdruckslosen Gesichtsausdruck.

Jonas ließ seine Hand langsam sinken und fuhr fort: "Es tut mir so unendlich leid, Dreylis. Ich weiß, dass es falsch war, was ich getan habe. Es wird nie wieder vorkommen. Bitte gib mir noch eine Chance. Bitte."

Sein Blick durchbohrte meinen und in seinen braunen Augen sah ich Tränen glitzern. "Ich weiß, dass du genauso fühlst. Wir können das doch nicht wegen so einem dummen Fehltritt beenden. Bitte."

Ich betrachtete ihn lange, während ich mehrere Male tief ein- und ausatmete. Ehrlich gesagt verletzte es mich, dass er sich schlecht fühlte. Dass er sich wegen mir schlecht fühlte. Auch ich spürte Tränen bei all unseren gemeinsamen Erinnerungen in mir aufkommen, doch blinzelte diese schnell wieder weg.

Dann fasste ich meinen Mut zusammen und sagte: "Jonas, ich werde dir nicht verzeihen. Egal, was du sagst. Egal, was du mir versprichst. Du kannst es nicht wieder gut machen, es ist aus."

Plötzlich sprang Jonas von der Tischtennisplatte und war mir nun um einiges näher. Sein Gesichtsausdruck wurde wütender und er sagte durch zusammengebissene Zähne: "Aber es war nicht mal mein Fehler. Hannah hat mich einfach nach unten gezerrt, dann hat sie mich abgefüllt und mich geküsst. Was hätte ich denn machen sollen?"

Ich wich einige Schritte vor seiner Wut zurück, doch blieb standhaft. "Du hättest ihr sagen können, dass du es nicht möchtest. Und zu deiner Info, ich habe gesehen, wie du sie geküsst hast. Nicht andersherum."

"Man, das ist doch jetzt auch vollkommen egal. Es geht hier um uns, Dreylis, um uns beide." Frustriert fuhr er sich durch seine Haare und ließ seine Hand dann langsam sinken.

Erneut blinzelte ich die Tränen aus meinen Augen, erwiderte fest seinen Blick und sagte: "Es gibt kein 'uns' mehr. Leb wohl." Meine Stimme brach am Ende und ich drehte mich schnell um, damit er meine Tränen nicht sehen musste.

Nach ein paar Schritten rief ich ihm über die Schulter noch zu: "Hannah kannst du übrigens ausrichten, dass ich auch mit ihr nichts mehr zu tun haben möchte." Noch so ein Gespräch dieser Art - auch wenn es mich bei Hannah wahrscheinlich nicht so sehr treffen würde wie bei Jonas - würde ich nicht aushalten.

Mit schnellen Schritten verließ ich das Schulgelände. Das Longboard blieb dabei unter meinen Arm geklemmt, denn zum Fahren war ich jetzt nicht im Stande. Immer wieder kaute ich auf meiner Unterlippe herum und wischte mir meine Tränen weg. Brech jetzt hier bloß nicht zusammen, gleich bist du zu Hause, sprach ich mir Mut zu und so schaffte ich es schließlich auch bis in die Wohnung.

Aaron war zum Glück nicht da, sodass ich ungestört in meinem Zimmer verschwinden konnte. Ich ließ mich mit dem Kopf voran auf mein Bett fallen, griff in die Decke und konnte meinen Tränen und Schluchzern endlich freien Lauf lassen.

Wenn ich ehrlich war, ging es mir gestern viel zu gut. Gestern hatte ich die endgültige Trennung von Jonas und mir noch nicht verstanden. Doch jetzt gerade, nach dem Gespräch, verstand ich, was es bedeutete. Ich hatte einen der wichtigsten Menschen meines Lebens verloren. Und mit Hannah war auch eine weitere Konstante aus meinem Leben gerissen worden.

Nachdem ich mich nach einiger Zeit wieder beruhigt hatte, verwandelte sich das schreckliche Gefühl des Schmerzes in ein Gefühl von Freiheit. Ich fühlte mich ausgeglichener und befreit. Und das war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es sprach mir Mut zu, dass ich mit Jonas abschließen konnte. Hoffentlich konnte er das ebenfalls.

teach me. | dnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt