#32 - roe deer fawn

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song für's chapter: PARTY - SCHOOLBOY Q
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Felix von der Ladens POV:

Schwer atmend wachte ich auf und griff panisch um mich. Doch in dem kleinen Bett war niemand außer mir. Ich beugte mich nach vorne und atmete mehrere Male tief ein und aus. Gott, warum träumte ich in letzter Zeit so einen Scheiß?

Genervt fuhr ich mir mit meiner Hand übers Gesicht und rieb diese schnell an der Decke ab. Mein Gesicht war klitschnass. Wie immer, wenn ich Albträume hatte.

Naja, immerhin war ich jetzt wach, denn mein Wecker würde sowieso in zehn Minuten klingeln, wie ich mit einem Blick auf mein Handy feststellte. Doch es waren nicht die großen Ziffern der Uhrzeit, die meine Aufmerksamkeit auf sich zogen, sondern mein Lockscreen. Es war ein Bild von meiner Familie und mir aus dem letzten Sommerurlaub. Nichts Besonderes, aber es frustrierte mich trotzdem. Ich hatte keine Nachricht bekommen.

Lustlos entsperrte ich das Smartphone und rief den Chat mit Dreylis auf. Wobei das ganze eher wie ein Chat mit mir selbst aussah.

Felix: Selbe Zeit, selber Ort wie gestern?

Felix: Drey?

Felix: Dreylis, was ist los? x

Felix: Dreylis, soll ich rüberkommen? Bitte sag mir, was los ist.

Sie hatte auf keine dieser Nachrichten geantwortet. Aber das schlimmste war, dass sie sie gelesen hatte. Sie hatte sie gelesen, aber mir nicht geantwortet. Irgendwas war da definitiv nicht in Ordnung. Und ich Dummkopf hätte gestern einfach wirklich zu ihr hingehen und sie fragen sollen.

Mit einem Seufzen schälte ich mich aus der feuchten Bettdecke, stand auf und schmiss das Handy auf das Bett. Ich streckte mich kurz und beschloss dann, eine Dusche zu nehmen. Da es noch so früh war, war zum Glück niemand im Waschraum. Es störte mich, dass das Bad auf dem Gang war, denn ich persönlich achtete sehr auf meine Privatsphäre.

Das Wasser beruhigte mich wenigstens etwas, wobei ich definitiv einen anderen Weg wusste, wie ich mich schneller beruhigen könnte. Aber Dreylis ignorierte mich. Kurzerhand fasste ich den Entschluss, sie einfach heute in ein Gespräch zu verwickeln. Egal, dass es vor den anderen Schülern war. Egal, über was wir redeten. Ich wollte nur wissen, dass sie okay ist. Dass wir okay sind.

Wir. Für mich klang es immer noch unglaublich, dass es überhaupt ein "Wir" gab. Zwar konnte ich immer noch schwer einschätzen, was Dreylis empfand, aber ich war mir sicher. Ich hatte mich in dieses kleine, süße Mädchen mit dem gar nicht so kleinen und süßen Mundwerk verliebt.

Einen Moment später stieg ich aus der Dusche und wickelte mir das große Handtuch um die Hüften. Ich verließ den kleinen Waschraum und bevor ich wusste, wie mir geschah, prallte ich direkt mit jemandem zusammen. Aus Reflex ergriff ich die Person, um sie vor dem Hinfallen zu retten.

Sandra Meermann, die Englischlehrerin mit der unser Deutschkurs zusammen auf dieser Studienfahrt war, hob ihren Kopf und blickte mich mit einem erstaunten Gesichtsausdruck an, den ich wahrscheinlich ebenso erwiderte. Doch als ich realisierte, wie nah sich unsere Gesichter waren, wich ich zurück.

"Hoppla, etwas schnell unterwegs?", meinte ich in einem freundlichen Ton.

"Ja, tut mir leid!", entschuldigte sie sich lächelnd. Doch ihr Blick traf nur kurz meinen, denn sie schaute direkt auf meinen nackten Oberkörper, der von der Dusche immer noch leicht feucht war.

Ich musste ehrlich sagen, dass es mich freute, dass sie mich so anblickte. Natürlich, jeder wollte so angesehen werden. Aber leider war sie die falsche Person. Ich wollte von jemand anderem so angesehen werden.

"Ich geh mich dann mal umziehen. Wir sehen uns gleich beim Frühstück, Sandra", meinte ich mit einem freundlichen Lächeln.

"Kann's kaum erwarten, Felix!", hörte ich sie hinter mir kichern, als ich zu meinem Zimmer zurück ging. Es war komisch, dass sie mich bei meinem Vornamen nannte, denn das taten eigentlich nur meine Familie und meine Freunde. Und natürlich Dreylis. Ihr hatte ich das fast sofort angeboten. Aber in der Schule nannten mich meine Kollegen alle bei meinem Nachnamen; die meisten siezten mich sogar. Nur Sandra hatte mir auf der Hinfahrt das "du" angeboten und man kann solch ein Angebot nun mal einfach schlecht abschlagen.

***

Dreylis war nicht zum Frühstück erschienen. Jetzt konnte ich mir sicher sein, dass sie mich ignorierte. Auch wenn mich das nicht wirklich beruhigte, sondern eigentlich nur noch nervöser machte. Was zur Hölle war nur mit ihr los?

Doch bevor ich die Chance hatte, mit ihr zu sprechen - wie üblich lief sie gemeinsam mit Maite als eine der ersten voraus - verwickelte mich Sandra in ein Gespräch über Filme. Es war eine gemeinsame Leidenschaft von uns, sodass wir den gesamten Aufstieg darüber redeten. Das Gespräch war interessant, auch wenn es mich von meinem eigentlichen Vorhaben ablenkte.

Wir legten eine Pause bei einer kleinen Alm, die gleichzeitig ein Café war, auf dem Berg ein und tranken alle einen Kaffee. Für die meisten war der Koffein ziemlich nötig, da sie vom Aufstieg komplett fertig waren - so wie ich auch. Ich hatte mir Wandern ehrlich gesagt viel angenehmer und weniger anstrengend vorgestellt. Aber es war in Ordnung. Man hatte die Natur um sich herum, was man als Bewohner einer Großstadt nicht so oft von sich behaupten konnte, und ich war mir ziemlich sicher, dass es ein gutes Ausdauertraining war.

Ich kündigte an, dass wir uns wieder auf den Weg zurück machten, und durchsuchte die Schüler, bis ich das bekannte Gesicht, welches von diesen schönen nussbraunen Haaren umrahmt war, fand. Ohne zu überlegen lief ich auf sie zu und zog eine Augenbraue hoch, als sie stehen blieb, weil sie feststellte, dass sie mein Ziel war. Dieses Mal entkam sie mir nicht. Die anderen Schüler liefen an mir vorbei und Dreylis und ich waren einen Moment später die einzigen unseres Kurses, die sich noch hier befanden.

"Dreylis", begann ich und trat noch einen weiteren Schritt auf sie zu. Sie blickte mich mit ihren großen grün-blauen Augen an und bewegte sich kein Stück. Wie ein kleines Rehkitz, das gerade von einem Jäger gespäht wurde und nun um sein Leben fürchten musste. "Was machst du bloß mit mir?"

teach me. | dnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt