#31 - numb

2.3K 110 18
                                    

song für's chapter: DON'T YOU (FORGET ABOUT ME) - SIMPLE MINDS
__________________________

"Komm schnell, wir sind gleich da!" Wie konnte Maite immer noch solch eine Energie und positive Einstellung haben? Schwer atmend folgte ich ihren schnellen Schritten die mindestens 30-prozentige Steigung hinauf. Natürlich wollte Maite als erstes auf dem Berg ankommen und hatte mich die ganze Zeit in einem unnatürlich schnellen Tempo hinter sich her gezogen. Hätte ich das mal so gemacht wie Nina, die jetzt in gemächlicherem Schritt mit der Klasse weit hinter uns her lief.

Nachdem ich auch noch die letzten Schritten gegangen war und am liebsten auf der geraden Aussichtsfläche des Berges zusammen brechen wollte, holte Maite allen Ernstes ihr Handy heraus.

"Selfie!", grinste sie und machte mehrere Bilder von uns beiden mit den umliegenden atemberaubenden Bergen im Hintergrund. Ich schaute sie einfach nur entgeistert an und schenkte ihrer Handykamera dann einen genervten Blick mit einem unechten Lächeln.

Doch Maite schien nichts davon zu bemerken. Sie nahm meine Hand und zog mich mit sich zur anderen Seite, auf der sich die meisten Touristen befanden. Von dort aus hatte man einen heftigen Ausblick bis an den Horizont. Doch das interessierte mich gerade recht wenig - zumal ich das so ähnlich auch schon mit Felix zusammen genossen hatte - und ich ließ mich einfach auf das Gras fallen, um für einen Moment meine Augen zu schließen und meinen Atem zu normalisieren.

Einem war ich mir sicher: Wanderurlaub ist der letzte Scheiß überhaupt! Und das konnte ich schon nach der Hälfte der Woche behaupten. Wobei ich zugeben musste, dass es heute schon definitiv besser lief als noch gestern. Das hieß aber nicht, dass es heute okay lief. Nein, es hieß, dass es gestern einfach nur noch viel schlimmer als heute gelaufen war.

Erschöpft legte ich mir meinen Arm über meine Augen, um mich vor der Sonne, die an diesem Nachmittag auf mich herunter brannte, zu schützen. Langsam beruhigte sich mein Atem und ich nahm einige Schlucke aus meiner Wasserflasche.

"Ist das nicht der Wahnsinn?", hörte ich Maites Stimme neben mir begeistert rufen. Sie ließ sich im Schneidersitz neben mir nieder und blickte mit großen Augen um sich. Immerhin hatte einer von uns hier Spaß.

"Wenn man erstmal den ganzen verdammten Berg hoch gelaufen ist", murrte ich leise und betrachtete sie mit einem Stirnrunzeln.

"Ach, komm. Das ist doch halb so schlimm. Und es lohnt sich", entgegnete sie und ließ sich neben mich fallen.

"Geht", meinte ich nur und schenkte ihr ein halbherziges Lächeln.

Hinter uns trafen gerade die anderen Schüler ein, die sich ein Beispiel an uns nahmen und sich auch auf das Gras setzten. Einige liefen allerdings auch an den Rand, um die Aussicht mit ihren Kameras festzuhalten. Wenn gleich noch jemand einen Selfie-Stick herausholte, würde ich ausrasten. Scheiß Touristen.

Ich erblickte Felix, der sich direkt rechts neben uns gemeinsam mit der Lehrerin des Englischkurses, der zusammen mit unserem Deutschkurs auf dieser Studienfahrt war, niederließ. Unsere Blicke trafen sich und er schenkte mir ein tiefes Lächeln, welches ich augenblicklich erwiderte. Tagsüber schafften wir es nie viel zu reden, aber wir hatten uns auch gestern Abend erneut getroffen und waren gemeinsam draußen spazieren gegangen. Wobei wir uns eigentlich wenig bewegt hatten...

"Es ist echt atemberaubend hier!", meinte die junge Lehrerin gerade und zog somit Felix' Aufmerksamkeit wieder auf sich. Interessiert beobachtete ich ihr Gespräch, was gemischte Gefühle in mir auslöste.

"Ja, es war wirklich eine gute Idee von dir, hierher zu fahren", antwortete Felix mit einem Lächeln. Sein Ernst? Er duzte sie und er machte ihr verdammt nochmal Komplimente?

"Besonders mit dir", sagte sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht, welches ich ihr am liebsten sofort aus diesem wischen wollte. Flirtete die etwa gerade mit meinem Freund?

Felix Reaktion schockte mich allerdings noch mehr. Er wurde doch tatsächlich rot. Als die billige Frau, die ihre Augen scheinbar nicht von meinem Freund lassen konnte, dann auch näher zu ihm hinrutschte, machte er nicht mal Anstalten, zurückzuweichen. Er ließ es einfach geschehen, wie sie sich fast auf ihn drauf schmiss.

Ich spürte Wut in mir aufkommen, konnte meinen Blick allerdings nicht von den beiden abwenden. Die Lehrerin blinzelte nun zu ihm auf und fragte ihn zuckersüß: "Warum hat so ein attraktiver junger Mann wie du eigentlich keine Freundin?"

"Die Frage kann ich nur zurückgeben", erwiderte Felix mit einem Lächeln. Halt, Stopp! Was?! Das hatte er doch nicht gerade wirklich gesagt, oder?

Doch, hatte er. Die Frau wurde rot und strich sich schüchtern eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Dann tauschten die beiden einen langen Blick. Am liebsten würde ich dazwischen gehen. Schließlich war Felix mein Freund. Ich konnte mir das doch nicht gefallen lassen, dass eine einfach so daher gekommene Frau ihn anbaggerte. Aber ihm schien das zu gefallen. Er schien das ganze zu genießen.

Auf meiner Schulter spürte ich eine Maites Hand, die mir beruhigend darüber strich. Ich blickte zu ihr und vernahm ihren mitfühlenden Gesichtsausdruck. Also hatte sie das gerade wohl mitbekommen und auch genauso verstanden wie ich.

"Hey, Drey. Alles wird gut, das war bestimmt nicht so gemeint", meinte sie leise zu mir und nahm meine Hand, die sie beruhigend drückte. "Komm, wir gehen ein Stück weg von hier."

Zustimmend nickte ich und stand gemeinsam mit ihr auf. Wir gingen zurück auf die andere Seite des Berges, wo wir uns am Rande des steilen Weges, der hier hinauf führte, niederließen. Maite hatte wohl das Gefühl, dass ich gleich in Tränen ausbrechen würde oder so etwas in der Art. Aber so war es nicht. Ich fühlte mich einfach nur leer. Alles war taub.

"Drey, sprich doch mit mir!", forderte sie mich auf und drückte erneut meine Hand.

Ich zuckte nur mit den Schultern und meinte leise: "Was gibt's da zu sagen? Er hat gerade unsere Beziehung geleugnet und heftig mit der Frau geflirtet." Maite und ich versanken daraufhin in eine Stille. Nur ab und zu spürte ich ihre Hand, die meine drückte. Kurze Zeit später machten wir uns dann alle auf den Rückweg, der in Form von mehreren Stunden wandern frustrierend vor uns lag.

Das Schlimmste daran war aber nicht der anstrengende Weg, sondern die Stille, die auch weiterhin zwischen Maite und mir lag. Ich hatte viel zu viel Platz für meine Gedanken, die einfach nicht aufhören wollten. Warum hatte Felix das alles gesagt? Er hatte doch gewusst, dass ich praktisch neben ihm saß und alles mitbekam.

Diese Taubheit, die ich fühlte, kam mir regelrecht bekannt vor. Es erinnerte mich daran, wie ich mich nach der Geburtstagsparty von Hannah gefühlt hatte. Nachdem Jonas mich betrogen hatte. Nachdem er mit einer anderen etwas angefangen hatte.

Und dieses gleiche Gefühl war berechtig. Denn mal ehrlich, was war so groß anders an der Situation, die gerade vor meinen Augen passiert war?

Warum musste so eine Scheiße eigentlich immer mich treffen?

__________________________

A/N: ich habe 3/4 meiner abi-klausuren geschafft, woop woop! jetzt nur noch am 12. mai die mündliche prüfung und (wenn ich dann hoffentlich nicht in eine nachprüfung muss, daumen sind gedrückt 🙈) dann gibt's auch wieder regelmäßigere uploads!

teach me. | dnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt