Kapitel 3-Flammen

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Kapitel 3- Flammen

Sie hatte keine Zeit sich darüber Gedanken zu machen, dass diese Nachricht auch gut eine Drohung hätte sein können. In dem Moment, in dem sie die Zeilen sah, ertönte durch die offene Luke ein Poltern. Schwere Schritte, die sich viel zu schnell dem Dachboden näherten. Panik erfasste sie. Blinde, alles überlagernde Panik. Und dennoch blieb ihr Kopf auf eine seltsame skurrile Weise klar. Als hätte sich ihr Geist von ihrem immer noch erstarrten Körper gelöst, betrachtete sie das viereckige Loch im Boden, nahm zum ersten Mal die beiden Ringe an beiden Seiten war und bemerkte die Eisenstange, die dahinter lag. Ihr Verstand erfasste sofort welchem Zweck diese Vorrichtung diente und in dem Augenblick, als das Dielenbrett direkt unter der Luke einem Gewehrschuss gleich krachte, schoss sie vor. Verschwendete keinen Moment damit hinab zu sehen sondern schob die Abdeckung über das Loch, packte die Stange und schob sie durch beide Ringe bis sie wie ein Riegel quer über der Luke lag und sie damit verschloss. Gerade im richtigen Moment, denn schon erzitterte dass nun viel zu dünne Holz unter Faustschlägen bei dem vergeblichen Versuch sie zu öffnen.

Mit wild rasendem Herzen richtete sie sich wieder auf. Das würde nicht ewig halten, dessen war sie sich nur allzu sehr bewusst. Aber für den Moment war sie sicher und saß gleichzeitig in der Falle. Auf den ersten Blick.
Ihr Handy piepte wieder, doch sie hatte keine Zeit darauf zu achten. Ohne genau darüber nachzudenken, schoss sie Bilder von der Wand, packte den Laptop und stopfte ihn in den Armeerucksack. Schwer und sperrig lastete er auf ihren Schultern, als sie ihn sich auf den Rücken hievte.
Das Holz gab ein Knirschen von sich. Etwas schob sich zwischen den winzigen Spalt, den die Metallstange nicht verhindern konnte. Ihr lief die Zeit davon und dennoch. Das hier war Michaels Werk! Es war ihm so wichtig gewesen, dass er alles dafür geopfert hatte und irgendetwas sagte ihr, dass der, der da versuchte herein zu kommen, es auf keinen Fall sehen durfte.

Und so nahm sie nicht reis aus sondern raffte die Decke und das Kissen vom Feldbett zusammen und legte es direkt unter all die Papiere an der Wand. Tränen der Furcht ließen ihre Sicher immer wieder verschwimmen während es hinter ihr ein lautes Krachen gab und sie herum fahren ließ. Ein Faustgroßes Loch klaffte in dem Holz unter der Stange. Eine Hand schob sich hindurch, tastete umher und befühlte die Eisenstange. Voll Entsetzten beobachtete Sevil wie sie das kalte Metall umfasste und ein winziges Stück zurück schob.
Nur mühsam riss sie sich von dem grauenvollen Anblick los und wühlte hektisch ihre Taschen durch bis sie fand, was sie so dringend suchte. Das Feuerzeug klickte sofort und Sekunden später leckte die kleine Flamme über den trockenen, dünnen Stoff der Decke, entfachte jeden Rand der Notizen, die sie erreichen konnte und breitete sich zügig aus.

Ein lautes Schaben hinter ihr, ließ sie herum fahren. Nur noch Millimeter fehlten bis die Stange aus ihrer ersten Halterung gerutscht war. Und Sevil reagierte. Ohne zu Zögern, tat sie einen Satz nach vorn und trat mit aller Kraft auf die Hand. Ein wütender und gleichermaßen Schmerzerfüllter Schrei, dann ein lautes Krachen und Poltern als etwas schwer hinab auf den Boden stürzte. Dann erst warf sie sich herum, schnappte sich den Hoodie ihres Bruders und öffnete das Fenster um sich hinaus zu schwingen. Kurz stieg eine Erinnerung in ihr auf. An das düstere Zimmer, an die nackte Angst. An den einzigen Fluchtweg, der ihr blieb.
‚Nicht zögern, nicht hinsehen', wiederholte sie das Mantra aus Kindertagen, als sie sich auf den Fenstersims schwang, behindert durch den viel zu großen Rucksack auf ihrem Rücken. Doch sie hatte Glück und schaffte es das Gleichgewicht zu behalten. Der Baum war noch größer geworden, der abgeneigte Ast was noch dichter. Sie konnte es schaffen!

‚Nicht zögern, nicht hinsehen.' Sie sprang. Das raue Holz riss ihr die Handflächen auf, doch sie ließ nicht los und zog sich hinauf. Keuchend und um Atem ringend, hielt sie gerade lange genug inne um zu sehen, wie nun, genährt von der Luft, die durch das offene Fenster drang, große Flammen die gesamte Wand einnahmen. Dann schob sich etwas Dunkles durch den dichter werdenden Rauch. Wuchs, wie in einem Alptraum in die Höhe, wurde größer und breiter und Sevil sprang.
Ein heftiger Schmerz schoss ihr linkes Bein hinaus und beschwor eine neuerliche Erinnerung empor. Eine klaffende Wunde, in der etwas Weißes schimmerte. Wütende Schreie, Schmerz. Alles verzehrender Schmerz überlagert von Angst. Auch diese Erinnerung drängte sie zurück. Stattdessen rannte sie zu ihrem Wagen, sprang hinein und startete den Wagen. Ohne sich um den Verkehr zu kümmern, schoss sie mit quietschenden Reifen von der Einfahrt und sah ihm Augenwinkel gerade noch wie die Haustür aufflog, dann raste sie davon.

Erst viele Meilen weiter, wurde ihr bewusst was gerade geschehen war und die Panik schlug nachträglich über ihr zusammen. Eilig lenkte sie den Wagen an den Straßenrand und saß am ganzen Leib zitternd einfach nur da, starrte durch die Windschutzscheibe und spürte mit einem Mal, als hätte jemand einen Schalter umgelegt all die Gefühle, die sie vorher hatte ignorieren müssen. Das Entsetzen, die Panik und der Schmerz. Überall Schmerz. Grenzenloser Schmerz. In ihrem Inneren. In jeder Faser ihres Körper. Sie wollte schreien. Weinen. Und letztendlich tat sie genau das. Sie schrie sich den Schmerz und die Angst von der Seele. Weinen allerdings, tat sie nicht.

Wie lange es brauchte, konnte sie hinterher nicht mehr sagen. Irgendwann kamen keine Laute mehr aus ihrem Mund. Nur noch das Rauschen in ihren Ohren, das das erneute Piepen ihres Telefons allerdings nicht übertönen konnte. Ächzend angelte sie es hervor und rief die Nachrichten auf, die die Unbekannte Nummer ihr wieder und wieder geschickt hatte.

‚Bist du draußen?'

‚Sevil! Antworte mir!'

„Bitte sag mir, dass es dir gut geht!'

Sie zögerte. Einen Moment erlag sie der Versuchung diesen Mistkerl einfach in dem Glauben zu lassen sie wäre gestorben. Doch seine nächste Nachricht machte diese Vorstellung zunichte.

„'Ich sehe dass du dich bewegst. Antworte!'

Und dann kochte die Wut in ihr hoch. Sie war wütend. Auf Michael, der sie belogen und betrogen und dafür mit dem Leben bezahlt hatte. Auf diese Gruppe, die ihn da mit hinein gezogen hatte und jetzt einfach weiter ihr Leben lebten. Und auf diesen Mistkerl, der sie schon am Anfang immer wieder einmal belästigt hatte und seit dem Tag von Michaels Beerdigung fest entschlossen schien, mit ihr in Kontakt zu bleiben.

‚Ich bin am Leben, Arschloch. Und DICH will ich hier nicht haben!'

Dann schaltete sie das Handy aus, startete den Wagen und setzte ihren Weg nun achtsamer und ein wenig ruhiger als zuvor fort.

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