Kapitel 30- Wer ist Mrs. Tenner?

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Hallo ihr Lieben!

Wir nähern uns mit großen Schritten dem Ende dieser Duskwood Story und ich hoffe sie konnte euch die Wartezeit ein wenig verkürzen =) 

Wir alle warten warten gerade wohl immer noch jeden Tag auf das ersehnte Finale. Bleiben wir hoffnungsvoll :P 

Jetzt aber erst einmal viel Spaß beim Lesen und einen herrlich sonnigen Sonntag =) 


Eure Holly 



Kapitel 30- Wer ist Mrs Tenner

Sie zitterte noch immer. Und ihr war kalt. Grauenhaft kalt. Der Schuss, denn nichts anderes war es gewesen, hallte noch immer tief in ihrem Inneren nach. An ihren Händen klebte Blut. Jakes Blut.
Und dazu diese Stille. Nach den Schreien, dem neuerlichen ohrenbetäubenden Krachen der Waffe irgendwo in der tiefen Schwärze des Waldes und dem Rauschen ihres eigenen Blutdrucks, war diese Stille nun mindestens genauso laut.
Er saß ganz still. Blass und mitgenommen sah er aus. Das Haar klebte schweißnass an seiner Stirn während er sie gewähren ließ.
Sie hatte ihn angefleht ins Krankenhaus zu fahren, allerdings nur eine heftige Abfuhr erhalten. Stattdessen saß sie nun selbst in dem Badezimmer, am ganzen Leib zitternd und hatte es endlich geschafft die Blutung zu stoppen.

Er sprach kein Wort. Außer der Tatsache, dass er auf keinen Fall ins Krankenhaus gehen würde, hatte er bisher noch überhaupt nicht mit ihr geredet.
Reglos starrte er einfach nur stur gegen die Wand und mied es sie anzusehen. Sevil hätte sich gewünscht mit ihm sprechen zu können. All die Dinge, die geschehen waren seit sei am Morgen aufgebrochen war, lasteten schwer auf ihren Schultern und sie konnte spüren wie sie mehr und mehr die Fassung zu verlieren drohte.
„Fertig.", murmelte sie tonlos und rappelte sich mühsam wieder auf. Ihre Beine fühlten sich an wie Wackelpudding und einen Moment hatte sie die Befürchtung, sie würden sie nicht tragen. Ihr Schwanken erregte nun doch seine Aufmerksamkeit. Blitzschnell schoss seine Hand vor und schloss sich um ihren Unterarm während er sich gleichzeitig bedächtig erhob.
Doch sobald sie sicher stand, ließ er sie wieder los und schob sich an ihr vorbei um ins Wohnzimmer zu verschwinden.

Sie blieb zurück. Kämpfte eisern gegen die Tränen, die schon wieder in ihren Augen brannten. Mit flauem Gefühl in der Magengegend machte sie sich daran das Blut von ihren Händen zu waschen und das helle Rot in dem Weiß des Waschbeckens war einer der schlimmsten Dinge, die sie je gesehen hatte. Das Zittern ihres Körpers verstärkte sich. Einen Moment war ihr, als würde sie keine Luft mehr bekommen. Doch statt sich der herannahenden Panik zu ergeben, schloss sie die Augen, atmete konzentriert und sehr bewusst bis es vorüber war.
Als sie die Augen wieder aufschlug lehnte Jake im Türrahmen und beobachtete sie mit undeutbarer Miene.
„Das hättest du sein können.", brach er endlich sein Schweigen und hob leicht den verletzten Arm. Nur ein Streifschuss. Die Wunde war nicht so tief, wie sie zunächst in ihrer panischen Angst geglaubt hatte.
„Du könntest jetzt schwer verletzt irgendwo in diesem verdammten Wald liegen!"
Seine Stimme schwoll an. Seine Augen waren vor Wut eine Nuance dunkler geworden. „Oder sogar tot!"
Sevil schluckte. Rang fieberhaft nach Worten und fand doch einfach nicht die Richtigen. Ihr Kopf war wie leer gefegt.
„Wie konntest du nur so dumm sein?", fuhr er sie weiter an. „Reicht es nicht dass du hier bist und damit in direkter Gefahr? Musst du auch um jeden Fall dafür sorgen dass er dich bemerkt und auf dich aufmerksam wird?"
„Du warst nicht da.", würgte sie hervor und erkannte ihre eigene Stimme kaum wieder. „Ich dachte du wärst weg."
Mit einem Satz war er bei ihr. Beinahe scherzhaft schlossen sich seine Hände um ihre Oberarme und sie sog erschrocken die Luft ein. Wäre am liebsten zurück gewichen angesichts der verzweifelten Wut in seiner Miene.
„Ich würde dich NIE allein lassen!", sagte er fest. „Als ich zurück kam und nichts von dir sah... als ich dich einfach nicht erreichen konnte obwohl es dunkel war dachte ich DU wärst fort. Er hätte dich geholt. Ich hätte dich verloren!"
Zu ihrem Erstaunen konnte sie Tränen in seinen Augen schimmern sehen. Das traf sie mehr als alle Worte es je vermocht hätten.
„Richy hat mich angerufen und mir erzählt dass du bei ihm warst. Er hatte keine Ahnung was vor sich ging und ich konnte mir erst auch keinen Reim darauf machen. Und dann... ist mir aufgegangen was vor sich geht."
Seine Stimme war rau geworden.

Sein Blick fixierte sie und ließ sie keine Sekunde los.
„Tu mir das nie wieder an. Nie wieder, verstehst du?"
Sie nickte. Unfähig etwas zu erwidern. Wie gebannt von seiner Aufgewühltheit und dem Blick, der sie einfach festnagelte.
Dann zog er sie endlich in seine Arme und Sevil ließ es geschehe. Mehr noch. Sie barg ihr Gesicht an seiner Halskuhle, denn nun, da er ihr so nahe war, stürzte ihre Selbstbeherrschung in sich zusammen. Ein unterdrücktes Schluchzen entschlüpfte ihren Lippen während er sie hielt und nur noch ein bisschen fester an sich drückte. Sie spürte wie seine Lippen sich in ihr Haar drückten, wie seine Stimme leise Worte wisperte. Er würde sie nie allein lassen. Er würde immer da sein um sie zu beschützten. Selbst wenn sie ihn nicht wollen würde, würde er immer da sein und auf sie achten.
Überrascht hob sie den Kopf und sah zu ihm auf.
„Wenn ich dich nicht will?", schniefte sie und ärgerte sich über den jämmerlichen Klang ihrer Stimme.
„Ich dachte du..."
„Ich war unterwegs um zu klären was geklärt werden muss. Ich bin frei, Sevil. Es gibt keine Jagd mehr. Ich kann da sein. Bei dir."

Jake forschte in ihrer Miene und musterte aufmerksam jeden einzelnen Zug in ihrem Gesicht. Er beobachtete wie ihr langsam zu dämmern schien was er da sagte. Und aus Erstaunen wurde Unglaube. Doch zumindest weinte sie nicht mehr.
„Ich bin dir noch eine Antwort schuldig.", sagte er leise. „Du hast mich gestern regelrecht vor eine Wahl gestellt."
Und bevor sie etwas erwidern konnte beugte er sich vor und eroberte ihre Lippen. Dieses Mal tastete er sich nicht langsam heran sondern nahm sie gleich in besitzt. Hielt sie hungrig gefangen und nutzte den leisen Laut, der ihr entwich zu seinem Vorteil. Und sie begegnete ihm mit gleicher Sehnsucht. Mit gleichem Hunger.
Erst als sie Atem schöpfen mussten, lösten sie sich ein wenig voneinander. Ihre Wangen waren gerötete, ihre Lippen schimmerten leicht und ein verhangener Ausdruck lag in ihren Augen. Und unwillkürlich musste er lächeln.
„Meine Entscheidung bist du. Das wirst du immer sein, Sevil Pierce."
Sie sah zu ihm auf und endlich konnte er ein Lächeln erkennen.

Doch es verblasste beinahe sofort wieder als ihr Blick zu der Stelle an seinem Oberarm huschte, an der sich die brennende Wunde unter einem festen Verband verbarg.
„Du hättest sterben können. Und es wäre meine Schuld gewesen."
„Wir waren beide ziemlich dämlich.", räumte er ein, denn erst jetzt wurde ihm wirklich bewusst was sie zuvor gesagt hatte. Sie hatte gedacht er wäre gegangen. Natürlich hatte sie das denken müssen. Er war mindestens ebenso leichtsinnig gewesen wie sie.
Seufzend schüttelte er über sich selbst den Kopf und zog sie einfach mit sich ins Wohnzimmer.
„Wir brauchen beide Ruhe.", verkündete er entschlossen.
„Was ist mit dem Stick?", protestierte sie. „In der Truhe war ein Stick."
Und ein Brief aber dem wollte sie sich erst später widmen.
„Das können wir auch durchsehen während wir uns ausruhen."
Mit diesen Worten angelte er nach seinem Laptop. Den Schmerz ließ er sich nicht anmerken auch wenn ihm das mehr schlecht als recht gelang.
Ihr Blick verriet es.
Ein kurzer Moment der Befangenheit kam auf, als er sich auf dem Sofa ausstreckte und sie zögernd vor ihm stand.
Er lächelte zu ihr auf.
„Ich falle nicht über dich her, versprochen."
Ein entzückendes Rot zierte ihre Wangen, doch sie ließ es zu dass er sie zu sich zog und kuschelte sich endlich in seine Arme.
„Zumindest noch nicht."
Ein seltenes Lachen entkam ihm als sie sich augenblicklich versteifte und Anstalten machte wieder aufzustehen, aber er ließ sie nicht.
Stattdessen stellte er ihr den Laptop auf die Knie um mit ihr den Inhalt des USB-Sticks zu sichten, den Michael so sehr hatte schützen wollen.

Bilder. Überwiegend Bilder einer Frau, die Sevil nur zu gut kannte.
„Das...ist Mrs Tenner.", stieß sie aus. „Ich habe sie heute in der Bibliothek kennen gelernt."
Und wieder hatte sie das eigentümliche Gefühl die Andere zu kennen. Als wären sie einander schon zuvor begegnet. Eine flüchtige Begegnung vielleicht, die man gleich wieder vergaß.
Jake schwieg. Er musterte die Frau auf den Bildern. Wie sie in Duskwood einkaufte, die Bibliothek betrat, wie sie vor einem Haus nach etwas in ihrer Tasche suchte.
„Ich muss dir etwas sagen.", offenbarte er mit einem Mal angespannt.
Sevil wandte den Kopf um ihn ansehen zu können. Neugierig und ein wenig beunruhigt ob seines Tonfalls.
„Und was?"
Er zögerte. Rang ganz offensichtlich mit sich. Dann atmete er durch.
„Ich habe Hannah schon vor drei Jahren gefunden."
„Aber ich dachte..."
„Ich weiß." Er schnitt ihr einfach das Wort ab und schnitt eine Grimasse. „Der Kontakt brach auch wieder ab. Aber damals hat sie mir geholfen. Ohne zu wissen wer ich tatsächlich bin."
Sie runzelte die Stirn, sagte aber nichts weiter sondern ließ ihn einfach reden. Das schien ihm wichtig zu sein und sie wollte es ihm nicht unnötig erschweren.
„Ich sagte dass ich euch nie aus den Augen gelassen habe. Aber ich habe noch mehr getan. Du weißt vermutlich am besten das plötzlich Beweise gegen Marianne auftauchten."

Der Themenwechsel erwischte Sevil kalt. Dennoch nickte sie langsam.
„Das war ich. Ich habe mich auch die Suche gemacht und Hannah hat die Sachen weiter geleitet. Ich konnte nicht mit den Behörden in Kontakt treten. Zu der Zeit noch nicht, also hat Hannah das getan."
„Okay", murmelte sie langsam unsicher worauf sein Geständnis hinaus laufen würde. Insgeheim hatte sie eine dunkle Vorahnung, aber sie schwieg.
„Hannah war außer sich als sie erfuhr was diese Frau alles getan hat. Sie ist ziemlich impulsiv musst du wissen."
„Da haben sie und Lilly schon mal eine Gemeinsamkeit."
Er lächelte schwach. Unbewusst strich er ihr Gedankenverloren über den Arm. Die Wärme ihres Körpers half ihm dabei sich mit dem auseinander zusetzen was ihn schon die ganze Zeit über beschäftigte. Sie half ihm schon die ganze Zeit ohne auch nur das Geringste zu ahnen.
„Sie fuhr hin. Zu Marianne. Und hat sie zur Rede gestellt."
Sevil stockte der Atem. Sie stellte sich vor wie die junge Frau sich vor ihrer harschen kaltherzigen Pflegemutter aufbaute und ihr die Meinung sagte.Ihr auf den Kopf zusagte dass sie genau wüsste was sie getan hatte. Wie hatte Marianne reagiert? Abschätzend? Oder doch nervös?
„Als ich das erfuhr hätte ich sie am liebsten geschüttelt. Marianne war zu ihrer Kindheit schon gefährlich und hat sich nicht gerade zum Guten entwickelt. Und das liegt offenbar in der Familie."
Nun horchte sie auf.
„Marianne hatte keine Familie.", sagte sie erstaunt.
„Keine Blutsverwandten. Sie ist bei einer Pflegemutter aufgewachsen, genau wie du. Und der Name dieser Pflegemutter war Luise Tenner."

Die Erkenntnis durchzuckte sie wie ein Blick. Sie richtete sich so abrupt auf, dass der Laptop beinahe von ihren Beinen rutschte.
„Aber...", stammelte sie. „Die Beerdigung...wenn sie eine Schwester hatte..."
„Sie war uns besuchen Sevil.", sagte er eindringlich. „Eine Woche bevor sie mich und Michael wegschickten war sie im Haus. Bei Marianne. Viel mehr konnte ich nicht herausfinden. Ich wusste nicht einmal dass sie in Duskwood lebt."
Sevil antwortete nicht. Wie vom Donner gerührt saß sie da und starrte auf das Bild. Er hatte Recht. Nun erinnerte sie sich an den Besuch. Die kalten Augen. Die klauenartige Hand, die sich eisern um ihren dünnen Oberarm schloss. Harsche Worte.
„Eine Art Pflegeschwester.", hauchte sie leise.
Er setzte an etwas zu erwidern. Doch viel zu laut und vollkommen unerwartet, drang das Klingeln der Haustür an ihre Ohren.
Sie erstarrten Beide. Saßen einfach nur da und lauschten angespannt.
Dann aber rappelte Sevil sich entschlossen auf. Ihr Widersacher würde kaum an der Tür klingeln und brav darauf warten, dass man ihm öffnete.
Vorsichtig schlich sie zur Tür und zuckte zusammen als der eindringliche Ton erneut ertönte, gefolgt von einem energischen Klopfen.
„Sevil? "drang eine Stimme dumpf durch das Holz. Eine Stimme, die sie kannte.
Verwirrt öffnete sie die Tür. Und war noch ein wenig verwirrtet als sie nicht nur Richy vor sich erblickte sondern die gesamte Gruppe.
„Gott sei Dank!", stieß der Blonde aus und nahm sie impulsiv in den Arm. Nur einen Moment, bevor er sie abrupt wieder los lies und sichtlich verlegen war.
Sein Blick huschte an ihr vorbei.
„Wolltest du mir nicht Bescheid sagen?", wollte er vorwurfsvoll wissen. Sie wandte den Kopf und entdeckte Jake hinter sich.
„Wir haben uns Sorgen gemacht. Schon wieder.", erklärte Cleo.
Jake trat vor.
„Kommt rein. Wir müssen uns unterhalten."

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