Kapitel 14- Die richtige Atmosphäre

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Kapitel 14- Die richtige Atmosphäre

Die Heimfahrt war reibungslos verlaufen, auch wenn sie unterwegs noch einmal hatte anhalten müssen als sie die Stelle passiert hatte, an der sich der Wagen ihres Bruders mehrfach überschlagen hatte.
Sie hatte darauf verzichtet irgendeine Art des Andenkens an diese Stelle zu legen. Sie selbst würde sie nie vergessen und das sollte ausreichen.

Doch sie hatte sich verboten sich von der Trauer überwältigen zu lassen und als hätte er geahnt dass sie gerade zu kämpfen hatte, ließ Jake sie in just diesem Moment wissen, dass es besser werden würde. Nun, vielleicht wusste er tatsächlich genau wo sie sich befand und hatte inzwischen sicherlich alles herausgefunden was es heraus zu finden gab.

Als sie am Abend müde Zuhause ankam, stellte sie erstaunt fest, dass ihr das düstere Motel fehlte. Verrückt.
„Keine falschen Hoffnungen.", murmelte sie zu sich und zückte ihr Handy um Lilly eine Nachricht zukommen zu lassen, dass sie gut angekommen war. Dann ließ sie es auch noch Jake wissen, auch wenn das eher Höflichkeit als Notwendigkeit war.

Es passte gar nicht zu ihr so schnell Vertrauen zu jemandem zu fassen und doch spürte sie ganz deutlich dass Jake sie mehr und mehr für sich einnahm. Ein gefährlicher Zustand, gegen den sie ankämpfen musste. Immerhin wusste sie, dass es ihm in erster Linie um seine Schwester ging. Nicht, dass sie es nicht verstanden hätte doch es war immer gut sich die Fakten vor Augen zu führen.

Vor dem Schlafen gehen hatte sie sich noch die Leseprobe durchgelesen, die Elenor ihr hatte zukommen lassen. Das hätte sie besser sein gelassen, denn die Lektüre beherrschte ihre Träume sodass sie mit klopfendem Herzen und schweiß gebadet erwachte. Schon wieder.
Erschöpft kämpfte sie sich aus dem Bett, tappte schlaftrunken ins Bad und erst nach der Dusche konnte sie spüren wie ihre Lebensgeister allmählich erwachten. Sie hatte noch Zeit bevor sie sich mit dem Kunden treffen wollte und so beschloss sie bei Mick vorbei zu schauen. Doch hinter der Theke wartete nicht der freundlichste Nerd aller Zeiten sondern ein ihr Unbekannter, der sie wissen ließ, dass er die Vertretung sei. Mick wäre krank und niemand wüsste wann er zurück sei.

‚Wann hast du dein Treffen heute?', wollte Jake wissen, gerade als sie den Laden deutlich beunruhigter wieder verließ.
‚Konntest du das noch nicht alleine heraus finden?', gab sie zurück, zögerte einen Moment und machte sich dann auf den kurzen Weg zu Micks Wohnung.
‚Das könnte ich. Aber ich dachte das wäre dir nicht so recht.'
Ihr entkam ein Seufzen. Manchmal wirkte er wie der humorloseste Mensch, den sie je kennen gelernt hatte.
‚Das war ein Scherz. In einer Stunde etwas außerhalb der Stadt. Wünsch mir Glück!'
Darauf antwortet er nicht mehr und sie spürte den leichten Anflug von Enttäuschung in sich aufkommen. Wofür sie sich sofort schalt.

Drei Straßen weiter blieb sie vor einem unscheinbaren Backsteingebäude stehen und betätigte den Klingelknopf, wartete kurz und klingelte dann wieder. Allmählich wurde sie unruhig. War ihm etwas passiert? War er nicht vielleicht nicht im herkömmlichen Sinne krank sondern irgendwie verletzt? Natürlich war sie davon ausgegangen er läge mit einer Grippe oder etwas ähnlichem im Bett. Aber genauso gut könnte er im Krankenhaus liegen. Ihr blieb nichts anderes übrig als nach Hause zurück zu kehren und sich für ihr Treffen mit dem, zugegeben, exzentrischen Autoren fertig zu machen. Seine Anweisungen waren knapp gehalten gewesen. Eine Stimmungsvolle Umgebung um ihr einen Eindruck für sein Werk zu vermitteln. Sie hasste solche Klienten, die gar nicht mal ungewöhnlich waren. Zwar bestanden längst nicht alle auf solche extra Tour, doch es geschah immer mal wieder und sie spielte das mulmige Gefühl, das sie bei dem Gedanken an das alte Fabrikgelände beschlich, eisern herunter.

DAS lag nur an dem Genre, mit dem sie bisher beruflich noch nie zu tun gehabt hatte und der gegenwärtigen Situation. Davon würde sie sich nicht klein kriegen lassen. Also Augen zu und durch.
Sie entschied sich für ein lockeres Outfit, schnappte sich ihre Sammelmappe und machte sich auf den Weg. Dabei konnte sie nicht verhindern dass ihre Gedanken immer wieder zurück zu Mick wanderten. Vielleicht sollte sie sich später einmal an den Ladeninhaber wenden. Der kannte sie und wusste um ihre Freundschaft zu Mick. Vielleicht würde er ihr mehr sagen. Und sollte dieser Idiot tatsächlich im Krankenhaus liegen, würde sie noch am selben Tag hinfahren und ihn ausreichend dafür büßen lassen, dass er ihr solche Sorgen bereitet hatte.

Gestärkt durch diesen Entschluss, rollte sie schwungvoll auf den Parkplatz der leer stehenden Papierfabrik.
Früher waren sie oft hier gewesen. Hatten die leeren Räume erkundet und sich weiter oben ein kleines Geheimversteck eingerichtet. Auch wenn sie sich besonders am Abend oft gefürchtet hatte. Aber sie war kein kleines Mädchen mehr und der Abend war noch einige Stunden entfernt. Dennoch musste sie zugeben dass das große Industriegebäude mit seinen hie und da eigeschlagenen Fensterscheiben, der bemoosten Verkleidung und den sichtlichen Spuren des Verfalls durchaus unheimlich war. Ein leichter Schauder erfasste sie, den sie sogleich energisch unterdrückte.
Suchend sah sie sich um. Kein anderer Wagen war zu sehen. Und doch hatte sie das sichere Gefühl nicht allein zu sein. Und erst jetzt ging ihr auf, dass sie keinen genauen Treffpunkt ausgemacht hatten. Wenn sie also hier draußen stand, während der Kunde im Inneren wartete, würde er innerhalb kürzester Zeit ungehalten sein. So waren diese Typen eben. Wenn sie aber reinging und er würde in dieser Zeit ankommen wobei er sie draußen erwartet hatte, würde dasselbe dabei heraus kommen. So oder so, in jedem Fall konnte sie verlieren. So war das eben. Einen Moment zögerte sie noch. Lauschte auf ein nahendes Fahrzeug, doch außer dem Wind, der sich in den Blättern der Bäume fing, konnte sie nichts hören. Also straffte sie die Schultern und machte sich festen Schrittes auf den Weg zur Tür. Wenn da nur nicht das immer stärker werdende Gefühl gewesen wäre, beobachtet zu werden.

Die schwere Tür ging problemlos auf und verursachte zu ihrem großen Erstaunen keinen Laut.
„Hallo?"
Sie schrak beim Klang ihrer eigenen Stimme zusammen. „Hier ist Sevil Pierce. Ist jemand da?"
Sie hielt den Atem an um zu lauschen. War da nicht ein Scharren gewesen?
Angestrengt starrte sie in das vorherrschende Zwielicht. Durch die vielen Fenster war es nicht vollkommen dunkel im Inneren. Und doch war es nicht hell genug um die gesamte riesige Halle auszuleuchten. Den Stehtisch, den jemand genau in deren Mitte aufgebaut hatte, konnte sie allerdings problemlos erkennen. Und auf diesem Tisch lag etwas, das sie von ihrem Standort an der Tür nicht ausreichend erkennen konnte. Zutiefst verunsichert warf sie einen letzten Blick zurück, suchte noch einmal nach einem anderen Fahrzeug, konnte aber noch immer nichts entdecken. Schließlich gab sie sich einen Ruck. Wahrscheinlich war alles, was sie gerade fühlte, genau das was der Autor gewollt hatte. Denn wie in einem Thriller, kam sie sich gerade durchaus vor und irgendwo in ihrem Inneren meldete sich die kleine abenteuerlustige Stimme seit langer Zeit endlich wieder einmal zurück und verkündete, dass sie Spaß hatte.

Langsam bewegte sie sich von der Tür fort. Versuchte dabei die Schatten mit Blicken zu durchdringen und alles um sie herum im Auge zu behalten. Ein unmögliches Vorhaben.
Auf dem Tisch lag tatsächlich etwas. Ein paar Seiten Papier. Ein Text. Nun musste sie doch lächeln und Erleichterung durchflutete jede Faser ihres Inneren. Es gehörte also tatsächlich zu dem skurilen Plan ihres Kunden sie nervös zu machen. Vermutlich damit sie noch empfänglicher war für die Bilder, die seine Zeilen in ihr hervorrufen würden. Immerhin würde sie sie zu Papier bringen.
Nun neugierig geworden zog sie die Blätter dichter an sich heran und begann gespannt zu lesen.


Ich beobachte dich aus meinem Versteck aus den Schatten heraus. Du, die du alles zerstört hast. Mit deinen Lügen. Mit deinem Einfluss auf ihn. So hatte es nicht kommen sollen. Alles was geschehen ist, ist ganz allein deine Schuld. Und nun sollst du dafür bezahlen.
Ich bleibe ganz still während du inne hältst. Misstrauisch schweift dein Blick umher, streift mein Versteck ohne mich wahr zu nehmen. Aber so bist du, nicht wahr? Du hast mich noch nie wahrgenommen. Schon gar nicht wenn er dabei war. Dann galt deine ganze Aufmerksamkeit ihm allein und mit deinem Sirenengesang hast du ihn immer mehr in deinen Bann gezogen. Solange, bis er bereit war und deinem Locken nachgehen wollte.
Bis er bereit war alles aufzugeben nur um dir zu gefallen. Du, die du alles zerstört hast, wirst nun dafür büßen. Heute sollst du alles erfahren. Heute sollst du dich dem stellen, was du angerichtet hast. Ein letztes Mal sollst du ihn sehen und dann bezahlen. Damit du niemals mehr anderen dieses Leid zufügen kannst. Damit du andere, die füreinander bestimmt sind, nie wieder auseinander bringst ....
Und so verlasse ich mein Versteck. Leise bewege ich mich auf dich zu. Du hast keine Ahnung wie nah ich dir schon bin. Wie leichtfertig du dich mir dar bietest. Du wirst es nicht kommen sehen. Du wirst MICH nicht kommen sehen. Aber ich bin da. Schon die ganze Zeit. Und gerade, stehe ich genau hinter dir und lese über deine Schulter hinweg jedes einzelne Wort mit.

Mit jedem Wort hatte sie sich unwohler gefühlt. War unruhiger geworden und hatte dem Drang widerstehen müssen, sich ängstlich umzusehen. Diese Zeilen waren persönlich. Bei den letzten Zeilen packte sie das nackte Grauen, auch wenn sie sich stoisch zur Ruhe zwang. Hätte sie es nur nicht getan. Gerade spürte sie einen warmen Lufthauch, der über ihre Haut strich und öffnete den Mund zum Schrei. Doch dieser erstarb noch bevor er entstanden war. Ein kräftiger Schlag traf ihren Hinterkopf, sandte glühenden Schmerz und riss sie von den Füßen. Sie spürte wie sie mit dem Gesicht den Tisch erwischte, den Aufprall am Boden spürte sie nicht mehr.

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