Kapitel 4- Entschlossen
Zwei Tage lang, ließ sie das Handy einfach ausgeschaltet währen sie sich in ihrer Wohnung verkroch und nichts weiter tat als zusammen gerollt auf ihrem Bett zu liegen und ins Leere zu starren. Nur ein einziges Mal war sie an ihrem eigenen Laptop gewesen um sich den angesammelten Urlaub zu nehmen, der ihr zustand, dann war sie in Lethargie verfallen.
An diesem Morgen aber reichte es ihr. Ihr Verhalten war gefährlich. Zu groß war die Gefahr wieder in dieses Loch zu rutschen, in dem sie nach Michaels Tod immer tiefer gesunken war. Sie musste leben. Für Michael. Und für sich selbst, selbst wenn sie nichts Lohnenswertes darin entdecken konnte.
Es wurde Zeit sich wieder an die Arbeit zu machen, auch wenn das nur ein Vorwand war um sich nicht mit den Notizen und Ereignissen aus diesem Haus beschäftigen zu müssen. Nur noch die eine Seite und sie hätte das Projekt beendet, konnte es abschicken, den Auftrag damit abschließen und hatte Zeit sich mit anderen Dingen zu befassen. So lautete die Ausrede. Und, verdammt nochmal, sie war wirklich gut.
Ihr hätte klar sein müssen, dass das nicht klappen würde und so quälte sie sich drei Stunden lang mit jeder einzelnen Linie, jedem noch so kleinen Strich herum bis sie schließlich frustriert aufgab und nach ihrem Handy griff. Sie zögerte, unsicher ob sie wissen wollte, was der Unbekannte geantwortet hatte und schaltete es endlich wieder ein. Dann wartete sie. Nichts. Keine Nachricht. Überhaupt keine Reaktion. Sollte sie jetzt enttäuscht der erleichtert sein? Ein kleiner, streitlustiger Teil in ihr war ziemlich beleidigt, dass er es nicht einmal für nötig befunden hatte zu antworten. Ein anderer, mindestens ebenso lästiger Teil, rief ihr in Erinnerung, dass er ihr das Leben gerettet hatte. Hätte er sie nicht vorgewarnt....schnell schüttelte sie diesen Gedanken ab. Sie war entkommen. Das Haus war abgebrannt, darüber war sie inzwischen informiert worden und zu ihrem Glück war niemand auch nur auf den Gedanken gekommen sie hätte etwas damit zu tun. Eine Sorge weniger.
Und nun? Nachdenklich betrachtete sie das schwarze Display, dann rief sie widerwillig die Fotos auf. Scrollte hindurch, zoomte heran, las, vermerkte gedanklich und machte weiter. Bevor sie sich versah war sie gefesselt von dem, was sich Stück für Stück vor ihr ausbreitete. Von dem, was Michael da verfolgt hatte und doch waren da lose Enden. Das große Ganze war noch lange nicht komplett und wieder kamen ihre die Zeilen des Gutachters in den Sinn. ‚...können wir Fremdverschulden nicht gänzlich ausschließen. Weitere Untersuchungen werden uns mehr Erkenntnisse liefern um den Fall endgültig zum Abschluss zu bringen.'
Aber zu diesen Untersuchungen war es nie gekommen, denn schon am nächsten Tag war der Wagen, dem wiederum darauf folgenden Gutachten nach, aufgrund einer unentdeckten Beschädigung und Fehlfunktion der Elektronik in Flammen aufgegangen und vollständig ausgebrannt wobei ein Praktikant von außerhalb glücklicherweise nur leicht verletzt worden war. War das ein Zufall? Damals hatte sie es noch geglaubt, aber jetzt?
Ihr Handy erschreckte sie beinahe zu Tode.
Unbekannte Nummer.
‚Schön dass du wieder da bist, Sevil.'
Sie zögerte. Gab sich alle Mühe die erneut aufkochende Wut in den Griff zu bekommen.
‚Hatte ich nicht gesagt ich will dich nicht in meinem Leben?'
Die Antwort kam sofort.
‚Du wirst meine Hilfe brauchen, wenn du den Tod deines Bruders aufdecken willst. Und alle Spuren führen nach Duskwood.'
Ihr Blick huschte über das Netzt, dessen Ursprung tatsächlich dieser ihr bis dahin vollkommen unbekannte Ort bildete. Dann musterte sie wieder die Nachricht.
‚Ich will deine Hilfe nicht. Scher dich zum Teufel.'
Was auch immer sie tun würde, wie auch immer all das weiterging. Eines wusste sie genau: Weder mit diesem Kerl noch mit einem der Anderen wollte sie etwas zu tun haben. Und so ignorierte sie die Tatsache, dass er schrieb und schaltete das Handy wieder aus. Dann musterte sie mit zusammen gekniffenen Augen die Bilder nur um kurz darauf aufzuspringen und sich ihre Sachen zu schnappen. Ein Plan reifte in ihrem Kopf heran und es wurde Zeit ihn in die Tat umzusetzen.
Ihr erstes Ziel war der Copy Shop an der Ecke. Klein und ein wenig eingestaubt wirkte er auf den ersten Blick nicht wie die Goldgrube, die er in Wirklichkeit war. Mick, der bebrillte, immer etwas verhuscht wirkende junge Mann hinter dem Tresen, hatte für jedes Problem eine Lösung und war dazu auch noch ein unheimlich interessanter Gesprächspartner. Sollte es einem denn gelingen ihn aus der Reserve zu locken und so etwas gehörte zu Sevils wenigen Talenten.
Ein Lächeln hellte sein Gesicht auf, als sie zur Tür herein kam und instinktiv erwiderte sie es. Wenn irgendjemand einem Freund am nächsten kam, dann war es Mick. Und irgendwann, während sie über eine seiner heiß geliebten Zeitschriften gebrütet hatten, hatte er ihr gestanden, dass es ihm mit ihr ganz genauso ging.
Sie war es gewesen, die er angerufen hatte, als seine langjährige Beziehung in die Brüche gegangen war nachdem er seinen Freund mit der Nachbarin erwischt hatte. Und sie war es gewesen, die die ganze Nacht bei ihm geblieben war um ihn wieder aufzumuntern und danach wochenlang jeden einzelnen Tag im Laden vorbeigesehen hatten um sich zu vergewissern, dass es ihm gut ging.
Und es war Mick gewesen, der auf Michaels Beerdigung ihre Hand gehalten hatte und bis zum Schluss geblieben war.
„Sieh an. Die Sonne geht auf!", begrüßte er sie nun und kam um den Tresen herum um sie in die Arme zu schließen.
„Hey Mick.", murmelte sie gegen seine Brust und genoss für einen kurzen Moment das sichere Gefühl seiner Gegenwart. Dann aber besann sie sich und schielte an ihm vorbei zu dem Vorhang, der den winzigen Aufenthaltsraum vom Verkaufsraum trennte
„Können wir reden?"
Damit spielte sie auf Micks neueste Errungenschaft Tyler an, der Mick zwar überwiegend glücklich, Sevil dagegen aber misstrauisch machte. Sie konnte sich einfach nicht helfen. Irgendetwas gefiel ihr an diesem Kerl nicht und so traute sie ihm nicht über den Weg.
Mick verkniff sich gut sichtbar mit den Augen zu rollen, nickte aber. Natürlich belastete es ihn dass seine gute und, zugegeben, einzige richtige Freundin ein Problem mit seinem neuen Freund hatte. Aber wenn Mick eines war, dann positiv und so glaubte er nach wie vor daran es würde schon werden, wenn die Beiden sich erstmal besser kennen lernen würden.
Sevil sah das anders, sparte sich allerdings jede Diskussion darüber.
Stattdessen holte sie ihr ausgeschaltetes Handy hervor.
„Ich brauche möglichst viele Einzelausdrucke...und ein neues Handy."
Micks Augenbrauen glitten in die Höhe während er das Gerät, das nach einschalten sofort neue Nachrichten verkündete, entgegen und mit zu seinem Computer nahm.
„Verrätst du mir warum?"
„Wenn ich mehr weiß."
War er gerade noch nur milde verwundert, stand nun echte Besorgnis auf seinem offenen Gesicht.
„Steckst du in Schwierigkeiten?"
Einen Moment blitzte die Szene aus dem Haus vor ihrem inneren Auge auf. Die Hand, die durch Loch in der Abdeckung langte und umher tastete, der dunkle massive Schatten inmitten des Rauchs. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Nein nicht wirklich. Ich will nur...etwas nachvollziehen."
„Und dafür brauchst du ein neues Handy?"
„Mit herausnehmbarem Akku!", fügte sie hastig hinzu. Nun war Mick hellauf alarmiert, doch sie würgte weiteres Nachfragen mit einer ungeduldigen Geste ab
„Ich habe wirklich nicht viel Zeit. Ich erklär dir alles in Ruhe, wenn ich mehr weiß und alles besser verstehe. Das verspreche ich dir aber jetzt brauche ich einfach nur deine Hilfe. Hast du meine Kamera noch?"
Mick musterte sie einen Moment lang nachdenklich. Dann seufze er und betätigte ein paar Tasten, bevor er sich vom Computer abwandte und an einen kleinen Schrank in seinem Rücken trat.
„Kamera, Handy, Diktiergerät, ein Elektroschocker weil Sicherheit immer vorgeht und ein kleines, mobiles Überwachungssystem falls du vorhast in zwielichtigen Hotelzimmern mit noch zwielichtigeren Gästen abzusteigen." Er holte Luft um noch etwas hinzufügen, schüttelte dann aber resigniert den Kopf und seufzte schwer während er ihr die Sachen rüber schob.
„Melde dich zwischendurch. Lass mich regelmäßig wissen dass es dir gut geht."
Sie lächelte, nahm die fertigen Ausdrucke entgegen und hauchte ihm einen Kuss auf den Mundwinkel.
„Das mache ich auf jeden Fall. Ich danke dir."
Dann hastete sie auf die Tür zu, als seine Stimme noch ein letztes Mal erklang.
„Pass auf dich auf, Little. Einen zu verlieren reicht."
Fast schon verloren stand er da mitten im Laden, mit herab hängende Armen und echter Sorge im Gesicht. Sevil eilte zurück und drückte ihn an sich.
„Ich komme bald zurück und dann werde ich dir alles erklären. Hörst du? Ich komme zurück!"
Erst dann brachte sie es über sich zu gehen ohne zu ahnen dass dies ein Abschied für immer war.
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Scambled Papers
FanfictionAls ihr Bruder Michael bei einem mysteriösen Autounfall stirbt, begibt sich Sevil auf die Suche nach der Wahrheit. In Duskwood gerät sie in die verworrenen Geschehnisse einer Gruppe von Freunden hinein, denen Michael zuvor nach aller Kraft zu Helfen...