28- Schnitzeljagd
„Und ihr seid sicher, dass wir euch nicht fahren sollen?", wollte Cleo mir besorgter Stimme wissen, als es für Jake und Sevil endlich Zeit wurde aufzubrechen.
„Es ist schön draußen.", wehrte der Schwarzhaarige sogleich ab. „Und wir zu zweit."
Dagegen konnte wohl keiner von ihnen etwas sagen, auch wenn sie allesamt eher unzufrieden wirkten.
Sevil war ein wenig unwohl Zumute. Gerade war ihr klar geworden, dass sie bald allein mit Jake sein würde. Und dass das, was zwischen ihnen vorgefallen war, noch offen war. Sie hatten nicht noch einmal über den Kuss gesprochen und angesichts der Art, wie er zurückgewichen war, stand eigentlich fest dass es sich dabei um eine einmalige Sache handelte. Was sie hätte erleichtern sollen. Warum also tat es das dann nicht? Warum spürte sie einen Stich in ihrer Herzgegend, wann immer sie sich genau das vor Augen führte.
„Lässt du mich an deinen Grübeleien teilhaben?", unterbrach Jake ihre Gedanken.
„Nein.", gab sie hastiger als gewollt zurück. „Doch."
Seine Augenbrauen glitten in die Höhe.
„Richy meinte Michael hätte einen Stick von ihm bekommen. Mit Zugangsdaten, Spuren. Weißt du davon?"
Er wirkte erstaunt. Offenbar hatte er mit etwas anderem gerechnet.
„Nein.", gab er nach kurzem Schweigen wieder. „Von einem Stick hat Michael nie etwas erwähnt. Was hat Richy noch gesagt?"
Damit war ihre Frage, wie viel er mitgehört hatte wohl beantwortet. Sie gab ihm eine kurze Zusammenfassung von dem, was der Andere ihr anvertraut hatte, wähend sie Seite an Seite durch das nächtliche Duskwood schlenderten. Jake hörte schweigend und aufmerksam zu. Er unterbrach sie nicht und sie war froh darüber.
Als sie geendet hatte, sagte er noch immer nichts. Schien viel mehr tief in Gedanken versunken.
„Hast du mir zugehört?"
„Ja das habe ich. Sagtest du nicht Michael hätte die Notizen besonders gut verschlüsselt?"
Der Themenwechsel verwirrte sie, doch sie bemühte sich seinen Gedankensprüngen nachzugehen.
„Ja Viel mehr als sonst. Darum dauert so lange die einzelnen Botschaften zu entschlüsseln."
„Ich denke damit sollte wir uns ganz dringend befassen. Oder du. Ich bin noch immer damit beschäftigt die Daten von dem fremden Handy zu entschlüsseln."
„Scheint nicht so einfach zu sein."
„Das ist es in der Tat nicht.", murmelte er. „Die einzelnen Dateien sind jeweils noch extra verschlüsselt. Es wird Zeit in Anspruch nehmen. Er kannte sich aus."
Was die ganze Sache nicht einfacher machte. Seufzend fuhr Sevil sich durchs Haar und ließ den Blick über die Umgebung schweifen. Den Stadtkern hatten sie schon länger hinter sich gelassen. Die Häuser wurden spärlicher und damit auch die Straßenbeleuchtung.
„Wo genau bringst du mich hin?", wollte sie wissen, als ein mulmiges Gefühl in ihr aufstieg. Mit jedem Schritt, den sie taten, kam der Wald etwas näher. Und von dem hatte sie vorerst die Nase ziemlich voll.
„Wir sind da."
Vor einem schlichten, unauffälligen Haus, ein wenig abseits von den anderen in der Straße, blieb er stehen und zog ein Paar Schlüssel aus seiner Tasche. Einen reichte er ihr.
„Was Richy sagte, klingt beunruhigend.", knüpfte er am ursprünglichen Thema wieder an, als sie durch die Tür traten.
„Der Täter hat doch was er wollte. Offenbar macht Richy wieder mit.", lenkte Sevil ein. Das Haus war schlicht eingerichtet. Doch es reichte für ihre Zwecke und im Wohnzimmer befand sich bereits die Zentrale. Ein Detail allerdings hatte Jake verändert. Sein Reich stand nun nicht mehr allein. Außerhalb der Kamera, die er hin und wieder würde benutzen müssen, neben seinem überladenen Schreibtsch, stand ein weiterer Tisch. Ausgestattet mit Stiften, Papier, einer Lampe und ihrem Laptop. Michaels Notizbuch entdeckte sie erst auf den zweiten Blick, in einer unauffälligen Ablage des Tisches.
Es war förmlich zu spüren, dass er sie beobachtete, doch sie ließ sich nichts anmerken und schließlich stieß er ein kaum zu hörendes Seufzen aus, dass verdächtig nach Resignation klang.
„Aber der Täter weiß jetzt dass Richy schwankt und das macht ihn zu einer Schwachstelle."
„Warum hat er ihn dann nicht gleich im Wald aus dem Weg geschafft?"
Jake zuckte die Achseln.
„Weil er ihn noch brauchte?"
„Und du meinst wenn er ihn nicht mehr braucht..."
Allein der Gedanke erschreckte sie und sein stummes Nicken machte es nicht besser.
„Dann müssen wir schneller sein.", sagte sie entschlossen und erntete ein Lächeln, das ihr Herz schon wieder aufgeregt flattern ließ.
„Das wollte ich hören."
Erleichtert, dass sie mit Tatendrang die lastende Spannung zwischen ihnen ausgehebelt hatten, machte Sevil sich an die Arbeit. Doch schon nach kurzer Zeit spürte sie die Erschöpfung. Die Ereignisse der vergangenen Tage und auch Wochen forderten ihren Tribut, was sie nicht davon abhielt verbissen weiter zu machen.
„Bist du müde?"
Jake saß hoch konzentriert vor seinen Monitoren. Kurz war die Frage in ihr aufgestiegen wo er all dieses Zeug versteckt hatte oder ob er nicht vielleicht sogar schon die ganze Zeit hier seine Zentrale gehabt hatte, doch sie hatte es sich gespart das auszusprechen.
„Etwas."
Sein Kopf neigte sich leicht zur Seite. Das tat er immer wenn er jemanden einzuschätzen versuchte, wie er es auch schon als Kind getan hatte.
„Du wirst aber nicht schlafen gehen."
„Nein. Noch nicht."
„Hm."
Da war sie wieder. Diese seltsame Spannung und sie verfluchte sich für ihre flatternden Nerven, wann immer sein Blick auf ihr ruhte.
Doch mitten in diese Überlegungen sprang ihr etwas ins Auge. Zahlen. Buchstaben. In einer bestimmten Position.
Verwirrt musterte sie diese etwas genauer, betrachtete dann weiter die Wörter, die entschlüsselt hatte und hielt den Atem an.
GEH MIT JAKE FOLGT DEM WEG UND SUCHT WAS MEINEN NAMEN TRÄGT
„Was zum..."
Der Stuhl knarrte leise als Jake ihn zurück schob und aufstand um ihr über die Schulter blicken.
Eine Weile herrschte Schweigen. Jeder von ihnen versuchte auf seine Weise zu begreifen was genau das zu bedeuten hatte.
„Sind das...", setzte Sevil zögernd an.
„Koordinaten.", bestätigte Jake und war mit eine Satz wieder zurück an seinem Pc.
„Die Bibliothek.", stellte er verwirrt fest.
„In der Bibliothek in Duskwood ist was, das seinen Namen trägt?", wollte Sevil wissen. Jake zuckte nur die Achseln. Er sah genau so ratlos aus, wie sie sich fühlte.
„Folgt dem Weg und sucht was meinen Namen trägt.", wiederholte sie langsam. „Weißt du wie das klingt?"
Jake nickte.
„Wie ein Rätsel von einer Schnitzeljagd."
„Genau. Aber...warum hier?"
Er schnaubte.
„Dein Bruder kannte dich ziemlich gut. Wahrscheinlich war ihm klar dass du herkommen findest und hat darauf gebaut dass ich mich dir anschließen würde."
„Aber...wozu? Was wollte er damit bezwecken?"
„Naja. Zum einen ist das ein guter Weg wirklich sicher zu gehen dass nur die Person erhält was übergeben werden soll, die dafür vorgesehen ist. Dasselbe habe ich für Michael auch gemacht, kurz bevor er ...gestorben ist."
Undmerklich zuckte sie zusammen, hielt den Blick aber auf den Tisch gesenkt. Sie wusste selbst dass sie es in den meisten Fällen vermied es deutlich auszusprechen. Sie suchte nach Umschreibungen, die genauso verdeutlichten,d ass Michael nicht mehr da war. Noch war sie nicht so weit.
„SO habe ich ihn und Lilly dazu bekommen, zusammen zu arbeiten."
„Aber wenn das mit diesem Text hier verwoben ist. Dann muss er das auch schon länger geplant haben."
„Mindestens seit seinem ersten Besuch in Duskwood, ja."
Das ganze wurde immer verworrener.
„Und was jetzt? Auf den nächsten Seiten gibt es kaum noch Zahlenwörter. Ich...komme nicht weiter."
Jake lächelte milde, schaltete seinen Computer aus und trat auf sie zu.
„Ich würde sagen morgen besuchen wir Duskwoods Bibliothek und sehen was sie für uns bereit hält. Und jetzt wird es Zeit uns etwas auszuruhen. Hier sollten wir erst einmal Ruhe haben."
Einen Moment verhakten sich ihre Blicke ineinander. Unfähig ihren abzuwenden, sah sie zu ihm empor und bemerkte so, wie der seine kurz zu ihren Lippen huschte.
„So wird es nicht ewig sein.", sagte er leise und hob die Hand an ihre Wange. „Ich bin nicht für immer auf der Flucht."
„Und was bedeutet das für mich?"
Wieder dieses Lächeln. Warm . Echt. Mit einem Hauch von Wehmut.
„Ich verlange nicht, dass du wartest, Sevil. Ich erwarte nicht dass du auf das vertraust, das in dieser ganzen verfahrenen Situation entsteht. Dass es so sein würde, war nicht geplant."
„Nein das war es nicht. Aber nicht nur du hast dein Päckchen zu tragen."
Und damit straffte sie die Schultern und tat einen Schritt zurück.
Doch sie kam nicht weit. Da griff er nach ihr und zog sie wieder zu sich heran. Sevil stockte der Atem.
„Sag mir dass du nicht so empfindest.", sagte er fest und ließ nicht zu, dass sie den Blick abwandte.
„Ich habe erst meinen Bruder und dann einen guten Freund verloren, wäre beinahe selbst Opfer des einen Irren geworden und werde noch immer von dem anderen Irren gejagt. Ich kann mich gerade nicht auf meine Gefühle verlassen."
Er lächelte. Eine Spur zu Siegessicher.
„Aber auf deine Instinkt."
„Du behandelst mich wie ein Jojo!"
Dieser Vorwurf schien ihn vollkommen aus dem Konzept zu bringen. Und sie nutzte ihre Chance. Energisch machte sie sich los und wich soweit zurück, dass er sie nicht einfach so ergreifen konnte.
„Du sorgst dich, bleibst bei mir, drängst mich in die Enge und sobald wir uns wirklich nahe kommen fällt dir ein, dass das keine gute Idee ist und stößt mich doch wieder weg. Entscheide dich für das, was du WILLST, Jake und dann erst kann ich entscheiden ob ich mir selbst über den Weg trauen kann."
Und mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und verschwand in eines der beiden Schlafzimmer, wo ein karges Bett und eine Flut an Erinnerungen bereits auf sie warteten.
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Scambled Papers
FanfictionAls ihr Bruder Michael bei einem mysteriösen Autounfall stirbt, begibt sich Sevil auf die Suche nach der Wahrheit. In Duskwood gerät sie in die verworrenen Geschehnisse einer Gruppe von Freunden hinein, denen Michael zuvor nach aller Kraft zu Helfen...