Kapitel 24-Die Warnung

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Kapitel 24- Die Warnung

Die Nacht war nervenzerfetzend gewesen. Immer wieder waren sie aus einem unruhigen Dämmerzustand aufgeschreckt mit dem sicheren Gefühl sich einer unbekannten Bedrohung gegenüber zu sehen.
Und kaum, dass es hell wurde, hatten sie sich erhoben. Während Jake zu den Computern zurück kehrte und sich den Dateien widmete, die er dem Unbekannten entrissen hatte, machte sich Sevil daran das Notizbuch ihres Bruders zu entschlüsseln. Ein Unterfangen, das schwieriger war als gedacht und erwartet.

Offenbar war Michael auf Nummer Sicher gegangen und hatte die Verschlüsselung noch ein wenig optimiert. Nun allerdings, zwei Stunden später saß sie stocksteif da und starrte wie betäubt auf die Worte, die sie mühsam zusammen gesetzt hatte.

SEVIL TRAUE KEINEM GEFAHR

Das Herz schlug ihr bis zu Hals. Es war ihr gelungen den Schmerz beiseite zu schieben. Jedes Mal, wenn sie aufgeblickt hatte, hatte sie ihn erwartet. Gespannt und amüsiert darauf wartend, dass sie seine Botschaft entzifferte. Doch Michael würde nie mehr darauf warten. Da war nur noch Jake, der in seine Arbeit vertieft über vor dem Monitor brütete.
Sollte er Teil dieses ‚Keinem' sein oder bezog sich die Warnung ausschließlich auf die Gruppe? Warnte er sie hiermit auch vor ihrem alten Freund aus Kindertagen, dessen Rückkehr er vor ihr verborgen gehalten hatte? Oder war Jake der einzige, dem ihr Bruder hatte vertrauen können?

Als hätte er gespürt, dass ihre Gedanken sich mit ihm beschäftigten, wandte Jake ihr den Kopf zu und ihre Blicke kreuzten sich. Einen Moment musterte er aufmerksam ihre angespannte Miene, dann erhob er sich und kam zu ihr herüber.
„Vielleicht möchte ich gar nicht wissen was er noch schreibt.", hauchte sie tonlos.
Jake nickte.
„Das verstehe ich. Aber wir haben keine andere Wahl."
Damit hatte er absolut Recht. Aber was sollte sie tun, wenn sich irgendwo in diesen Zeilen die Botschaft befand, die sie gerade am meisten fürchtete? Was, wenn es doch einen Hinweis darauf gab, dass Jake in alles verwickelt war?
Sie kannten einander nicht mehr, auch wenn sie ihm inzwischen mehr vertraute als ihr lieb war.
Der Junge von damals hätte keiner Seele etwas zu Leide tun können aber wie stand es um den Mann, der er heute war?

„Hab Vertrauen.", unterbrach er ihre Gedanken und ließ sich vor ihr in die Hocke sinken um ihr in die Augen sehen zu können.
„Wenn Michael mich verdächtigt hätte, hätte er einen anderen Weg gesucht. Ich hatte die ganze Zeit Zugriff auf dieses Buch und hätte die Botschaften entschlüsseln können. Wir haben den Code zusammen entwickelt, weißt du noch?"
Das war ein gutes Argument und nur zu gern ließ sie es gelten. Bebend atmete sie ein, bevor sie nickte und wieder auf das Buch in ihren Händen sah.
„Das hier kann er nicht erst kurz vor...nicht kurz vorm Ende gemacht haben.", würgte sie hervor und blätterte ziellos durch die Seiten.
„Er muss von Anfang an daran gearbeitet haben."
„Oder zumindest früh genug dass es rechtzeitig fertig wurde."
Erst jetzt fiel ihr auf, dass er keineswegs in die Notizen sah, sondern in ihr Gesicht.
„Lass uns eine Pause machen."
„Und dann? Die ändert auch nichts."
„Nein. Aber sie hilft dabei einen klaren Kopf zu bekommen und es gibt etwas, dass ich gern besprechen würde."
Misstrauisch fixierte sie ihn wobei sie es nur widerwillig zuließ, dass er ihr das Buch abnahm und zur Seite legte.
„Es wird Zeit, dass auch ich in Erscheinung trete."
„Was? Nein, das kannst du nicht!"
Sie musste sich verhört haben. Das konnte nicht sein Ernst sein. Aber Jake lächelte nur leicht.
„Niemand weiß wie ich aussehe und vielleicht bewegen wir unserenTäter so zu einer Handlung."
„Wie denen, die dich suchen zu stecken wo du dich aufhälst, sowas vielleicht?"
„Ich glaube nicht dass er das tun wird. Dann hätten er es schon getan, oder nicht?"

Sevil hob zu einer Antwort an, doch das Klingeln eines seiner Telefon hielt sie davon ab. Stumm lauschte sie dem knappen Gespräch und stellte fest, wie merkwürdig es war, wieder die verzerrte Stimme zu vernehmen. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie sich so sehr an seine Anwesenheit gewöhnt, dass es ihr seltsam sureal vorkam wie sie anfangs in Kontakt getreten waren.
Als er auflegte, sah er sich flüchtig um.
„Zeit zu packen."
Verwirrt starrte sie ihn an ohne sich zu rühren.
„Warte. Was? Warum?"
Doch statt ihr zu antworten, begann er damit alles abzubauen.
„Schreib in die Gruppe dass jemand deinen Wagen demoliert hat. Richy wird dir seine Hilfe anbieten und ich bin mir sehr sicher, dass sich mindestens eine Person aus der Gruppe anschließen wird. Sicher ist sicher."

„Wenn er hier auftaucht wird er sehen dass der Wagen nicht demoliert ist."
Jake hielt inne und sah sie wortlos an. Ihr kamen die seltsamen Laute vom Vorabend wieder in den Sinn. Das Klirren, dass nach zerspringendem Glas geklungen hatten.
„Oh...oh nein."
Bevor er sie aufhalten konnte, hastete sie zur Tür und riss sie auf.
Der Wagen stand noch da, wo sie ihn nach ihrem ausweichmanöver hatten stehen lassen. Nur sah er nicht mehr so aus, wie sie ihn hinterlassen hatte.
Sanft zog Jake sie zurück ins Haus und schloss die Tür wieder.
„Was...machst du dann?", wollte sie wissen und gab sich alle Mühe sich zu beruhigen.
„Ich bereite unseren neuen Unterschlupf vor und werde euch später treffen."
Neuen Unterschlupf. War es in dem Telefonat darum gegangen? Hatte er noch andere Kontakte in Duskwood?
„Ich halte das für keine gute Idee."
Er sah auf sie herab und musterte sie einen Moment schweigend.
„Man könnte fast auf den Gedanken kommen, du machst dir Sorgen um mich."
„Natürlich mache ich mir Sorgen, ohne dich werde ich das Ganze nie aufklären können!"
Er lachte leise.
„Und das ist der einzige Grund?"
Sie schluckte. Sie wusste um diese Atmosphäre, die sich gerade zwischen ihnen aufbaute. Sie hatte die Anzeichen schon längst erkannt und gab sich alle Mühe sie zu unterdrücken. Nur leider schien er vollkommen andere Pläne zu verfolgen.
„Ja.",murmelte sie wenig überzeugend.
Wenn er sie nur nicht so ansehen würde!
„Du...bringst alles durcheinander.", sagte er ohne den Blick von ihr zu lösen und hob die Hand an ihr Gesicht. Hauchzart strich sein Daumen über ihre Wange, fuhr ihren Mundwinkel nach und malte die Konturen ihrer Lippen nach.
„Normalerweise hat meine Sicherheit und die Wahrung meiner Identität oberste Priorität. Und jetzt bist da plötzlich du und alles woran ich denken kann ist, wie zum Teufel ich dich in Sicherheit bringen kann. Ich weiß wie falsch das hier gerade ist und doch...machst du es mir unmöglich mich anders zu verhalten."
Und bevor sie noch etwas erwidern konnte, beugte er sich endgültig herab. Sanft schmiegten sich seine Lippen an die ihren während er sie dichter an sich zog. Hungrig nahm er von ihr Besitz als ihr ein Seufzen entschlüpfte. Das Herz hämmerte gegen ihre Rippen und auch seines konnte sie schnell und kräftig unter ihrer Hand spüren.

Dann war es plötzlich vorbei. Fluchend und so schnell, als hätte er sich verbrannt, wich er zurück. Raufte sich einen Moment das Haar währen der sie beinahe schon verzweifelt anstarrte und wandte sich dann eilig seinen Geräten zu. Und dabei sah er so verwirrt aus, wie sie sich fühlte.

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